Videobeweis

Von klaren Fehlentscheidungen

Schiedsrichter*innen haben es nicht immer leicht. Der Videobeweis macht ihnen das Leben noch schwerer.
17. Febr. 2023
Der Videobeweis soll den Fußball (eigentlich) gerechter machen. Tatsächlich sorgt der VAR aber seit seiner Einführung im Wochentakt für Aufreger, sportliche Diskussionen rücken in den Hintergrund. Warum das System nicht mehr zu retten ist und daher abgeschafft werden sollte.

Erneut ein Pfeifkonzert. Als am zwölften Spieltag der laufenden Bundesligasaison der Dortmunder Karim Adeyemi seinen Frankfurter Gegenspieler im Strafraum zu Fall brachte, wartete das gesamte Stadion auf den Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Sascha Stegemann. Doch der ließ auf sich warten. Zum Glück gibt es ja den „Video Assistant Referee“ (VAR), der solche klaren Fehlentscheidungen aufdecken und korrigieren soll. Spätestens nach der ersten Zeitlupe waren sich nämlich sämtliche Betrachter*innen sicher: Hier muss es Strafstoß geben. Gab es aber nicht. Denn Videoassistent Robert Kampka eilte dem Kollegen Stegemann nicht zur Hilfe, die Leitung aus dem berühmten „Kölner Keller“ blieb stumm. Das Pfeifkonzert der Fußballfans wurde dafür umso lauter.

Denn die Wiederholung, die die Zuschauer*innen auf ihre Bildschirme gespielt bekamen, schaffte es schlichtweg nicht auf einen der Monitore in Köln. VAR Kampka konnte aus den ihm zugespielten Perspektiven nicht die so häufig erwähnte „klare Fehlentscheidung“ erkennen, die einen Eingriff möglich macht. In ihrer Häufung lassen solche Pannen einen drastischen Schluss zu: Der Sport ist nicht gemacht für den VAR.

Den Video-Assistant-Referee (kurz: VAR) gibt es in der deutschen Bundesliga seit etwa fünf Jahren. Er soll dem Schiedsrichtergespann auf dem Platz in schwierigen Situationen helfen und bei klaren Fehlentscheidungen eingreifen. Weitere Infos führt der Deutsche Fußball-Bund auf seiner Website aus.

Während in anderen Sportarten der Videoassistent längst eine akzeptierte und etablierte Größe ist, kommt er im Fußball nicht an. Der große Unterschied: In keinem anderen Sport sind so viele Situationen Auslegungssache. Nirgends spielen Emotionen eine derartige Rolle, nicht zuletzt deshalb werden VAR-Entscheidungen konstant mit Pfeifkonzerten untermalt. Fans fragen sich auch nach fünf Jahren mit dem Videobeweis immer noch: Kann ich über das erzielte Tor meiner Mannschaft jubeln oder wird es zurückgenommen? Was ist eigentlich eine klare Fehlentscheidung? Zu häufig finden auch die Verantwortlichen darauf keine zufriedenstellende Antwort.

Zu viele Fehler

Die laufende Bundesligasaison ist noch nicht einmal an ihrer Halbzeit angelangt. Dennoch kam es alleine am fünften und sechsten Spieltag zu vier Entscheidungen, die der DFB im Nachhinein als klar falsch deklarierte. Hinzu kommen fast wöchentlich weitere Stimmen von Schiedsrichter*innen und ihren Obmännern über die aktuellsten Aufreger. Jener öffentliche „Walk of Shame“ ist für die Verantwortlichen seit der Einführung des Videoassistenten immer mehr zur Regel geworden. Diese Erklärungsnot würde ohne den VAR sicherlich abnehmen.

Mehr Raum für Emotionen

Dazu muss gesagt werden: Auch nach einer Abschaffung wird es in deutschen Stadien und hinter den Fernsehbildschirmen Pfeifkonzerte geben. Die Reaktionen werden jedoch von geringerem Ausmaß sein. Ein menschlicher Fehler des Unparteiischen auf dem Platz wird nach erster Aufregung als solcher eingestuft werden. Der Ärger wäre da, die Nachwirkung geringer.

Viel mehr: Mit der Abschaffung des Videoassistenten könnte die vollständige Professionalisierung der Schiedsrichter*innen in den deutschen Profiligen einhergehen. So könnten sich die momentan noch anderweitig beruflich tätigen Referees noch mehr auf ihre Rolle konzentrieren.

Der VAR hat die Emotionen an der falschen Stelle hochkochen lassen. Mit diesem technischen Hilfsmittel muss es möglich sein, konstant richtige Entscheidungen zu treffen. Zu Recht ist der öffentliche Anspruch darum eine Null-Fehler-Politik. Nur diese würde dem Fußball das Gerechtigkeitsgefühl geben, nach dem der Videobeweis strebt. Alles andere ist Grund genug, den Fußball wieder in seiner puren Art aufleben zu lassen, in der er vor dem Videoassistenten strahlte.

Zum Scheitern verurteilt

Seit 2012 ordnet das Online-Portal „Wahre Tabelle“ strittige Entscheidungen ein. Dazu werden durch Fehlentscheidungen resultierende Ergebnisänderungen in der Tabelle berücksichtigt. Die wahre Tabelle eben. Dass dieses Portal auch fünf Jahre nach der Einführung des Videobeweises immer noch eine Daseinsberechtigung hat, ist Zeichen genug. Dass Eintracht Frankfurt nach zwölf Spieltagen schon ganze fünf Punkte durch falsche Entscheidungen genommen wurde, symptomatisch. Dass sie mit makelloser VAR-Arbeit Tabellenführer wären, das Leitmotiv des Pfeifkonzertes.

Das Beispiel zeigt exemplarisch: Der Videobeweis ist im Fußball zum Scheitern verurteilt. Sein Ruf ist zu sehr zerstört, das Streben nach Perfektion wird wohl durch keine Reform erfüllt werden. Ein Fußball ohne Videobeweis ist purer und emotionaler. Die klarste Fehlentscheidung – nämlich die Einführung selbst – muss noch korrigiert werden. Sodass die Schiedsrichter*innen auf dem Platz wieder die Dirigenten der Pfeifkonzerte werden.

Unser Redakteur Timo vertritt eine andere Meinung. In seinem Kommentar schreibt er darüber, warum der VAR beibehalten werden sollte.