Kolumne

Lauf mal drüber nach

Der Laufsport gibt mir die Möglichkeit, für kurze Zeit aus dem Alltag zu entfliehen.
03. Juni 2019

Beim Laufen kann ich ganz für mich sein und meinen Gedanken freien Lauf lassen. In Social Media geben Influencer auf Instagram & Co. Einblick in ihren sportlichen Alltag. Während das einige Fitnessfans sicherlich dazu motiviert, ihre Trainingsziele noch mehr zu verfolgen, merke ich, wie in mir der Druck steigt, diesen Anforderungen irgendwie gerecht zu werden. 

Als ich am Morgen meine Vorhänge aufziehe und einen Blick nach draußen werfe, fallen mir die ersten Sonnenstrahlen ins Gesicht. Ich mache das Fenster auf, rieche die frische Morgenluft und höre den Vogelgesang der Amseln. Frühling. Perfektes Wetter meine Laufschuhe zu schnüren und eine Runde zu drehen! Ich fühle in meinen Bauch ein Grummeln. Zuerst Frühstück? 

Während ich meinen Kaffee trinke, checke ich wie jeden Morgen ob es irgendetwas Neues gibt. Auf Instagram sehe ich mir die Postings und Stories anderer Sportler wie beispielsweise Florian Liebig, Lisa del Piero oder Pamela Reif an. Die ersten frühsportlichen Einheiten wurden erfolgreich absolviert. Es ist 7:34 Uhr. Sonntagmorgen. Wo ich mich nur umsehe: Longruns, Ausschnitte aus dem Krafttraining, Bestzeiten auf zehn Kilometer, Kooperationen, Rabattcodes für Supplemente, Wettkampfvorbereitungen, Abnehm- und Ernährungstipps. Ein erfolgreicher Sportler fastet zum Beispiel zunächst 16 Stunden, bevor er seine erste Mahlzeit einnimmt. Trainieren auf nüchternen Magen soll den Fettstoffwechsel ankurbeln und sich so auf längere Sicht den Erfolg im Training steigern. Mit Frühstück sieht es also eher Mau aus. Je länger ich mich auf der sozialen Plattform bewege, desto eher bekomme ich den Eindruck, dass die Influencer hier im virtuellen Wettstreit zueinanderstehen. Mehr als 800 Millionen Menschen nutzen heute das soziale Netzwerk, täglich werden Millionen von Fotos hochgeladen und Milliarden Likes verteilt. Um nicht in den Schatten anderer zu geraten, müssen sich natürlich immer wieder neue Dinge ausgedacht werden, Follower wollen ja schließlich unterhalten werden. Kein Wunder also, dass sie in den neuesten Kollektionen verschiedenster Sportmarken vor dem eigenen Schlafzimmerspiegel posieren.

Während diese kurzen, oberflächlichen Einblicke in das Leben dieser sportaffinen Menschen mit ihren Erfolgen und gesundem Lebensstil andere Fitnessfans sicherlich dazu motivieren ebenfalls an ihren eigenen Zielen zu arbeiten, merke ich, wie in mir der Druck steigt, diesen Anforderungen irgendwie gerecht zu werden. Um ehrlich zu sein, vergeht mit schlagartig die Lust auf meinen geplanten Lauf. Für mich soll das Laufen kein Zwang oder Leistungsdruck sein. Doch wenn ich mich auf Social Media umsehe, bekomme ich schnell das Gefühl, dauerhaft konstante Leistungen in meinem Hobbysport vollbringen zu müssen. Mir wird dadurch der Spaß am Laufen genommen.

Für mich ist der Laufsport etwas ganz Besonderes. Ich nehme mir bewusst Zeit für mich, kann dem Alltag für eine kurze Zeit entfliehen und meinen Gedanken folgen. Der Sport ist eine Art Therapie für mich. Denn egal wie mein Tag verlaufen ist, vor welchen Herausforderungen ich stehe oder welche Ängste mich plagen: nach einem Lauf fühle ich mich, als hätte ich den Reset-Button gedrückt. Ich nehme plötzlich alles ganz anders wahr und blicke Dingen viel positiver entgegen. Das Laufen hilft mir, meinen Alltag besser zu meistern. Mit jedem Lauf laufe ich mir ein Stück weit entgegen, denn ich lerne mich mit jeder Einheit selbst mehr und mehr kennen.

Trotz des Drucks auf Social Media ist mir die Lust am Laufen noch nicht vergangen. Und während die Influencer weiter fleißig Werbung für Abnehmshakes machen, denke ich daran, wie gut es mir nach meiner Runde gehen wird, werfe mein Handy in die Ecke und laufe los.