Als US-Soldat in Deutschland

Wenn das Herz Vorrang hat

Jose lebt mit gemischten Gefühlen in seiner neuen Heimat Deutschland.
10. Dez. 2018

Was, wenn plötzlich alles anders ist als man es kennt? Ein US-Army-Soldat tauscht freiwillig Ruhm, Karriere und Unbeschwertheit in der Heimat gegen Druck, Niedriglohn und Sorgen in Deutschland ein: Aus welchem Grund entscheidet man sich für einen solch extremen Lebenswandel?

Jose ist müde. Nach acht Stunden körperlicher Arbeit und eiligem Zwischenstopp in seiner kleinen Wohnung steht er endlich auf der glänzenden Eisfläche im Stadion. Sein Körper schmerzt, sein Herz rast. Dieses Spiel will er unbedingt gewinnen: „Ice hockey is the only hobby I have left in Germany. I feel free on the ice.“ In der eiskalten Hallenluft steigt sein Atem wie Rauch vor seinem Gesicht auf. Die Zuschauermenge grölt. Dazwischen sie: Das Mädchen, für das er alles aufgegeben hat und kämpft.

Kampfgeist zu zeigen ist für Jose seit Kindheitstagen eine Selbstverständlichkeit. Sein Vater, erfolgreicher Eishockeytrainer, brachte ihn in seiner alten Heimat zu dieser Einstellung und zu diesem Sport. Mit ‚alter Heimat‘ verbindet der 24-jährige Jose die USA. Der Amerikaner ist schon als Kind viel umgezogen: Richtig zur Ruhe kam er erst in Maryland, wo er die meiste Zeit seiner Jugend verbrachte. Nach seinem College-Abbruch suchte er eine neue Richtung für sein Leben. Im Oktober 2014 entschied er sich dafür, es seinen Eltern gleichzutun und Soldat bei der US-Army zu werden.

„I was proud to be in the Army, because I wanted to give my life a purpose. I loved the idea to fight for the safety of the American government and to be part of a big strong community.“

Jose H.

Adrenalinrausch. 54. Spielminute. Der Puck schießt über das Eis auf Jose zu, der auch hier Teil einer Mannschaft ist. Mit seinen Kufen bremst er scharf, nimmt ihn an und entscheidet in Sekundenbruchteilen. Sein eiskalter Atem baut sich auf. Das ist seine Chance. Mit einem kraftvollen Schlag wuchtet er den Puck ins Tor. Fleiß und Ehrgeiz der letzten Wochen haben sich ausgezahlt.

Diszipliniertes Verhalten hat Jose in seiner Zeit bei der US-Army gelernt. Hier musste er wochentags um 5 Uhr aufstehen, in der Formation geradestehen, sich in Körper- und Renntrainings beweisen und stundenlang arbeiten. Es war hart, doch Jose fand tiefe Freundschaften, Anerkennung und einen Sinn in seiner Tätigkeit. Die Zukunftsaussichten waren glänzend, seine Eltern sehr stolz.

Jose in seiner Anfangszeit bei der US-Army

Joses großes Ziel bei der Army war es, Teil der Spezialeinheit ‚Special Forces‘ zu werden, um in einer Kampftruppe aktiv zu sein. Mit seinem Ehrgeiz schaffte er es in kurzer Zeit beim Militär bis zu Rang E4. Dies ist der zweitbeste Rang der Kategorie ‚Mannschaften und Unteroffiziere ohne Portepee‘, den man nur mit guter Arbeit, Fleiß und physischem Training erreicht. Als E4 arbeitete Jose als ‚Intelligence Specialist‘ mit geheimen Informationen. Sein nächstes Ziel war es ‚Staff Sergeant‘ zu werden, was Rang E6 entspricht und ihm besonders viel Verantwortung zugesprochen hätte.

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Fakten zur US-Army (in Deutschland) | Quelle: Tamara Wörner

Auf dem Heimweg ist der ehemalige US-Soldat Jose direkt im Auto auf dem Beifahrersitz eingeschlafen; zu groß war die Erschöpfung vom Tag. Auf dem Parkplatz vor seinem neuen Zuhause weckt sie ihn sanft.

Die US-Army schickte Jose nach Deutschland und stationierte ihn in der Panzerkaserne Böblingen. Joses Plan damals: Nur für eine kurze Zeit in Deutschland bleiben. Hier waren seine ersten Tage sehr befremdlich für ihn...

Trotz der schwierigen Anfangszeit lebte er drei volle Jahre in Böblingens Kaserne, in die USA kehrte er nie zurück. Er verließ die US-Army im April 2018 und entschied sich für Deutschland. Der Grund war sie: Ein Mädchen aus Vaihingen, das er in Stuttgart kennenlernte. Er verliebte sich sofort und konnte sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Dass dies bedeutete, sein altes erfülltes Leben, seinen Wohlstand, seine Träume sowie seine Heimat aufzugeben, war ihm bewusst – doch sein Herz hatte sich entschieden. Nie war er sich einer Sache so sicher gewesen.

Angekommen im Alltag ist Jose an lange, anstrengende Tage gewöhnt. Obwohl es inzwischen sehr spät ist und er morgen schon früh in die Kaserne zur Arbeit muss, besiegt sein Hunger die Müdigkeit. Während des nächtlichen Kochens schaut Jose besorgt die eingegangenen Rechnungen durch:

„I’m not getting paid really well and suddenly I have financial problems – I never had that before.“

Jose H.

Solche Sorgen hatte Jose in den USA nicht: Die Bezahlung bei der US-Army war sehr attraktiv, er wohnte in einem großen Haus, pflegte eine enge Beziehung zu seiner Familie, seinen Freunden, seinen Hunden und der Natur. Sein neues Leben hier scheint mit dem alten kaum vergleichbar: vom angesehenen Soldaten zum Ladenverkäufer. Bei seinem Job in einer kleinen Tankstelle mit anknüpfendem Laden innerhalb der Kaserne verdient er für das Aufstocken sowie Verkaufen der Ware und Sauberhalten des Geschäfts nur 8,25 Dollar pro Stunde. Dies entspricht lediglich 7,20 Euro – und liegt damit deutlich unter dem deutschen Mindestlohn. Die Arbeit in der Kaserne ist eine der strengen Bedingungen, denen seine Aufenthaltserlaubnis unterliegt. Jose fragt sich ständig, was passiert, wenn es Probleme bei seinem Job gibt und ob er wirklich hier in Deutschland bleiben darf. In keiner seiner Lebensstationen hat er je einen solchen Druck empfunden.

„I grew up being an Army child“
„I loved to hang out with my best friends. It's hard not seeing them anymore.“
„The Army taught me a lot about myself. I learned that I'm good in dealing with different circumstances and that I have difficulties not to show feelings in front of high ranked people.“
„When I'm playing ice hockey, I forget my worries. It's my balance for the daily stress that I feel here in Germany.“
„I'm a peaceful person but I like to play shooting games because it reminds me of my past as a soldier.“

Niemand ist online. Jose isst eine Portion Nudeln vor seinem Computerbildschirm in einem kleinen Zimmer und zockt. Mittlerweile ist es 3 Uhr nachts. Bevor er wieder arbeiten gehen muss, bleiben ihm nur noch drei Stunden Schlaf.

Sobald sein Job, der einer Vollzeitbeschäftigung gleicht, auf der Kippe steht, ist seine Zukunft in Deutschland ebenfalls gefährdet. Dieser Gefahr ist sich auch seine Freundin Nina* bewusst:

„Meine größte Angst ist, dass uns das gemeinsame Leben, das wir uns hier aufbauen, irgendwann von einem Tag auf den anderen weggenommen wird. Mittlerweile bedeutet er mir einfach alles.“

Nina U.

Der Wecker reißt Jose aus den Träumen. Er kämpft sich aus dem Bett. Zwar ist der Alltag in Deutschland hart, jedoch hat er mit Nina mittlerweile neue Ziele, die er ehrgeizig verfolgt. Daher macht er sich auch heute auf den Weg in die Kelley Baracks nach Stuttgart-Plieningen – mit im Gepäck: seine Eishockey-Ausrüstung, denn das Training nach dem Feierabend wartet schon.

Jose möchte in den nächsten Jahren nicht nur seine Deutschkenntnisse verbessern, sondern auch ein Studium in Cyber Security beginnen. Eine solche Ausbildung würde seine Chance auf einen sichereren Job erhöhen, durch den er eine finanzielle Grundlage schaffen könnte. Diese liegt Jose auch deshalb am Herzen, da er plant, mit Nina eine eigene Familie zu gründen. Nina ist sein Fels in der Brandung. Dabei stellt sie nicht nur einen emotionalen Beistand dar, sondern auch eine Unterstützung bei alltäglichen Problemen: „Ich kümmere mich auch um Joses Friseur- und Arzttermine, Rechnungen und Verträge. Das ist auch für mich oftmals eine zusätzliche Belastung, die ich aber gerne in Kauf nehme“, so Nina. Jose kämpft also nicht allein – sie ist an seiner Seite. Die beiden tun alles für eine gemeinsame Zukunft in Deutschland, auch wenn dieser Weg kein leichter ist.

*Name von der Redaktion geändert