Bücherwurm

Ich lese, also bin ich

Die Nase in ein Buch stecken – Studien zufolge machen genau das 13% der Deutschen in der Pandemie wieder häufiger.
20. Mai 2021
Ich schwöre feierlich: Ich bin ein Bücherwurm. Von der Harry Potter-Reihe über den Roman „Eine wie Alaska“ bis hin zum Klassiker „Das Parfum“ – Leser*innen können durch Bücher in neue Welten abtauchen. Doch sie schaffen noch viel mehr: In ihnen habe ich mich selbst gefunden.

Bumm. Endgültig klappe ich ein weiteres Buch zu und lasse mich in die weiche Umarmung des Sessels fallen. Wie in Trance schweift mein Blick zu der eintönigen Wand gegenüber. Mein inneres Auge sieht jedoch etwas ganz anderes. Wie im Schnelldurchlauf blitzen einzelne Bilder auf: Bilder einer Welt, die während des Lesens in meinem Kopf erblühte. Sie wirkt so real und vertraut. Und das war sie auch für einen kurzen Augenblick, in dem ich mich verloren habe.

„Lesen heißt durch fremde Hand träumen.“

Fernando Pessoa, portugiesischer Schriftsteller und Dichter

Kaum auszumalen, dass manche Menschen auf den Buchseiten nur einzelne Sätze erkennen – wo es doch zwischen den Zeilen so viel mehr zu entdecken gibt. Es gibt nichts Schöneres als der Fantasie freien Lauf zu lassen. Ein Grund, warum Filme unter Bücherwürmern oft unbeliebt sind. Diese ohnehin sehr bekannte Haltung wurde zusätzlich durch die Untersuchung des Hörbuch-Anbieters „Audible“ gestützt. Während Bücher und Hörspiele sich in ihrer Beliebtheit kaum unterschieden, litten Verfilmungen unter deutlich schlechteren Bewertungen. Ich gebe zu, auch ich habe schon diesen einen nervigen Satz gesagt: „Das Buch war besser.“ Irgendwo auch verständlich. Ein 700 Seiten-Inhalt lässt sich schließlich immer schwer in 120 Minuten quetschen. Filme können in den seltensten Fällen meine eigene Vorstellungskraft und Träumereien übertreffen. Denn die Fantasie ist eine der wenigen Dinge, die uns niemand nehmen kann; in der uns niemand etwas vorschreibt. Wie Fernando Pessoa einst sagte: „Lesen heiß durch fremde Hand träumen.“

Vom Bücherwurm bis hin zum Lesemuffel – verschiedene Personen erzählen von ihrem Bezug zu Büchern.
Vom Bücherwurm bis hin zum Lesemuffel – verschiedene Personen erzählen von ihrem Bezug zu Büchern.
Vom Bücherwurm bis hin zum Lesemuffel – verschiedene Personen erzählen von ihrem Bezug zu Büchern.
Vom Bücherwurm bis hin zum Lesemuffel - verschiedene Personen erzählen von ihrem Bezug zu Büchern.

Ohne Bücher wäre ich nicht ich

Ich habe einmal zu meinem Lehrer gesagt, dass ich ohne Bücher nicht der Mensch wäre, der ich heute bin. Die fiktiven Geschichten haben meine Meinung, Handlungen und sogar Facetten meines Charakters geprägt. Dabei spielt die Vielfalt der Genre definitiv eine wichtige Rolle: In meinem Bücherregal stapeln sich Liebesromane neben dicken Thrillern; Fantasy wird zusammen mit Poetry-Slam in ein Fach gequetscht. Was ist schon vielfältiger als Literatur? Vielleicht die Persönlichkeit. Und selbst die kann durch Lesen stark beeinflusst werden.

Ich erwarte nicht, dass das jeder versteht. Aber wenn ich ein gutes Buch lese, dann passiert etwas mit mir: Ich empfinde. Freude, Trauer, Wut – das volle Programm. Eine Kommilitonin hat im Übrigen über genau dieses Phänomen geschrieben und beschreibt, was Lesen mit uns machen kann. Zum Beispiel Folgendes: Ich baue eine emotionale Bindung zu den rauen Seiten in meiner Hand auf. Zu den vielen Buchstaben, die sich in meinem Kopf wie von selbst zu Worten, Sätzen und schlussendlich Welten zusammensetzen. Manche Charaktere geben mir das Gefühl, verstanden zu werden – obwohl sie nicht real sind. Oder ich fange an, das Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten und, schwups, plötzlich überdenke ich meine ganze Einstellung. So schnell kann’s gehen. In diesen Momenten sitze ich manchmal in meinem Sessel und frage mich, ob ich seltsam bin. Aber Entwarnung liebe Bücherwürmer: Tatsächlich ist dieses Phänomen wissenschaftlich belegt.

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Welchen Fun Fact kanntest du noch nicht? Durch das Tippen auf die pinken Infoboxen könnt ihr noch mehr erfahren. | Quelle: Leonie Kühn

Obwohl das Gehirn laut einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts fiktive und reale Inhalte an zwei unterschiedlichen Stellen im Gehirn verarbeitet, aktiviert es beim Lesen mehrere Areale gleichzeitig. Auch das Areal für Emotionen – was ein Nervenkitzel! Das erklärt die Literaturwissenschaftlerin Maryanne Wolf in ihrem Buch „Das lesende Gehirn“. Bei digitalen Inhalten ist das übrigens schwieriger – was auch meine Abneigung gegenüber dem mir geschenkten E-Book erklären würde. Meine Gefühle beim Lesen eines Buches sind also echt. Auch wenn das mein kleiner Bruder kaum glauben möchte, wenn er mich laut auflachend in meinem Sessel vorfindet. Er verlässt dann kopfschüttelnd das Zimmer. In diesen Momenten fühle ich mich als Bücherwurm schon ein wenig verkorkst.

Menschen tanzten vor der Bühne zu lauter Musik, es wurde geredet und gelacht. Und ich? Verkroch mich mit elf Jahren lieber in meiner Bücherwelt – abseits vom Trubel im Dunkeln mit einer Kerze in der Hand.

Kann viel Lesen auch ungesund sein?

Wenn schonmal das Stichwort ‚verkorkst‘ fällt: Kann man auch zu viel lesen? Der Buchhändler meines Vertrauens verneint das mit einem amüsierten Lachen. Und auch ich lache. Noch. Denn später bleibt mein Blick an meinem Bücherregal hängen und ich mustere es mit abschätzig hochgezogener Augenbraue. Eigentlich wollte ich beim Umzug in meine eigene Wohnung nur ein paar wenige auserkorene Werke mitnehmen. Nun platzt meine Sammlung schon wieder aus allen Nähten. Beim Thema „ungesund“ erinnere ich mich außerdem grinsend an die vielen – zu vielen – Tage, an denen ich bis spät in die Nacht in meinen Büchern blätterte. Ja, liebe Bücherwürmer, binge-reading ist ein ernstzunehmendes Problem. Bei anderen ist es die Netflix-Serie, bei uns ist es nun mal die Sucht nach Büchern. Statt der einen Folge ist es „nur noch dieses eine Kapitel“, das in der Regel mit einem Cliffhanger endet. Aufhören kann ich selbstverständlich dann nicht. Doch ich bin mir sicher, dass viel lesen immer noch gesünder ist als täglich am Bildschirm zu hängen. Da bekommt man doch viereckige Augen. Daher der Appell an meine Lesemuffel: Greift mal wieder zum Buch anstatt zur Fernbedienung!

So wie ich: Denn unschlüssig stehe ich schon wieder vor meinem Bücherregal. Irgendwie reizt mich schon das nächste Buch. Abtauchen, abschalten, die Welt um mich herum vergessen – das ist es, was ich jetzt brauche. Also lasse ich das schon verstaubte E-Book ein weiteres Mal links liegen und greife stattdessen zu einem neuen, lebensverändernden Buch meiner Sammlung.