Bosnienkrieg

„Ich höre immer noch ihre Stiefel in meinen Albträumen“

19. Jan. 2023
Der Bosnienkrieg ist nun knapp 28 Jahre her. Doch der Schmerz von damals, wie auch die Trauer, begleitet die Überlebenden bis heute noch. Eine von ihnen ist Mirsada. Auch wenn sie in Deutschland Sicherheit gefunden hat, wird sie die Kriegsverbrechen nie vergessen.

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um Vergewaltigung und Krieg.

„Ich stand noch im Bad und habe meine Zähne geputzt, als plötzlich durch Megafon und Radio gerufen wurde: ‚Bitte ergebt euch, ansonsten werdet ihr Konsequenzen erleben‘. Ich habe nichts mehr verstanden.“

Mirsada Simchen-Kahrimanovic war 13 Jahre alt, als der Bosnienkrieg begann. Das friedliche Leben, wie auch das Miteinander der orthodoxen Serben und muslimischen Bosniaken, gab es auf einmal nicht mehr, erinnert sich Mirsada.

Wie kam es zum Bosnienkrieg?

In der Teilrepublik von Jugoslawien „Bosnien-Herzegowina“ lebten 3 verschiedene Bevölkerungsgruppen: Der größte Teil waren die meist muslimischen Bosniaken, dann die christlich-orthodoxen Serben und auch katholische Kroaten.

Am 03. März 1992 kam es zum Ausruf der Unabhängigkeit der „Republik Bosnien und Herzegowina“ durch den damaligen Präsidenten Alija Izetbegovic.
Dies geschah gegen den Willen der Serben, auch wenn diese schon am 09. Januar 1992 die „Serbische Republik in Bosnien“ ausgerufen hatten.

Der Grund des Krieges war somit die Unabhängigkeitserklärung und die internationale Anerkennung dieser.
Am 01. April 1992 wurde in Bijeljina die nicht-serbische Bevölkerung durch die serbische Freiwilligengarde vertrieben und getötet. In der Nacht vom 04. auf den 05. April begann dann die knapp vierjährige Belagerung der Hauptstadt Sarajevo durch die Armee der bosnischen Serben und der jugoslawischen Volksarmee. Der Krieg breitete sich im ganzen Gebiet von Bosnien aus.

Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung, Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

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Die serbische Republik bildet zusammen mit der Föderation Bosnien und Herzegowina den Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina. | Quelle: Pixabay, Sara Hadzihasanovic

Mirsadas Zeit im Lager

Die serbische Armee zwang alle Menschen, die sich versteckt hielten, an eine Sammelunterkunft zu kommen. Somit kam Mirsada mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in das Lager Trnopolje. In diesen 25 Tagen Aufenthalt kam es jeden Tag zu psychischer und physischer Folter. Im Bosnienkrieg wurden laut der Bundeszentrale für politische Bildung  schätzungsweise 100.000 Erwachsene und Kinder getötet und mindestens 25.000 muslimische Frauen vergewaltigt.

Mirsadas Vater blieb zurück, da er das Dorf beschützen wollte. Später kam heraus, dass er von serbischen Soldaten gefoltert und dann getötet wurde.

Nachdem internationaler Druck ausgeübt wurde, kam es zur Schließung des Lagers. Auch wenn Mirsada jetzt frei war, musste sie sich mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in den umliegenden Dörfern verstecken. Der Krieg war noch immer in vollem Gange.

Meine Mutter, wie auch drei weitere Frauen, mussten unglaubliche Schmerzen erleiden

Mirsada Simchen-Kahrimanovic

Mirsada kam mit ihrer Mutter und Schwester im Haus von Bekannten unter. Dort wurden sie von serbischen Soldaten überfallen. „Der Hausherr und der Hund wurden sofort getötet. Meine Mutter, wie auch drei weitere Frauen mussten unglaubliche Schmerzen erleiden“, erzählte Mirsada mit Tränen in den Augen.

Traumata

Mirsada entwickelte eine Furcht vor engen Räumen und hört in ihren Albträumen immer noch die Stiefel der serbischen Soldaten. Lange Zeit wollte sie nicht mit einem Psychologen reden, da er „das Geschehene auch nicht mehr ungeschehen machen kann“.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie PD Dr. Thomas Maier kennt solche Aussagen. Als ehemaliger Leiter des Ambulatoriums für Folter und Kriegsopfer in Zürich hat er auch bosnisch-stämmige Patienten behandelt.Doch warum wollen sich viele nicht helfen lassen?

Maier beschreibt, dass es mitunter an der Stigmatisierung von psychischen Krankheiten liegt: „Das gibt es nicht und darüber spricht man nicht.“ Der zweite Grund ist die Vermeidung – und davon das Gegenteil ist die Therapie. „Man kann es nicht löschen, sondern muss darüber sprechen und es durcharbeiten. Deshalb ist die Therapie schmerzhaft und anstrengend“.

Vor dem Interview war Mirsada joggen. Jeden Morgen 12 Kilometer, „um ihren Kopf frei zu kriegen“. Dr. Maier beschreibt das als „Coping“: „Das Laufen wird benutzt, um Kontrolle über sich und den Körper zu haben, was man in der Gefangenschaft nicht haben konnte.“

Was diese Menschen erlebt haben, ist eine reale Angst – diese sollte und kann man nicht wegtherapieren.

PD Dr. Thomas Maier

Kriegsflüchtlingen die Angst zu nehmen, gestalte sich schwierig. „Was diese Menschen erlebt haben, ist eine reale Angst – diese sollte und kann man nicht wegtherapieren.“ Auch wenn viele das Geschehene vergessen wollen, ist es kulturell und gesellschaftlich wichtig, sich daran zu erinnern, beschreibt Maier.

Flucht

Mirsadas Mutter fasste nach all diesen traumatischen Erlebnissen den Entschluss, zu fliehen.
Nach einem 20 km langem Fußmarsch wurden Sie mit einem Bus nach Travnik gebracht. Daraufhin kamen sie ins Flüchtlingslager nach Karlovac in Kroatien.

Mit dem Glück, einen Onkel zu haben, der in Deutschland lebte, kam Mirsada daraufhin nach Mannheim. Sie empfand „keine Willkommenspolitik“.
Nach ihrem Hauptschulabschluss wurde ihr mitgeteilt, dass sie sich keinen Beruf aussuchen darf, sondern einen Ausbildungsplatz bekommt, falls kein deutsches Kind sich für diesen entscheidet.

Bosnienkrieg – Tabuthema?

Wenn man in die Lehrpläne deutscher Schulen schaut, findet man nichts über den Bosnienkrieg. Mirsada erwartet von Deutschland das Schaffen einer Erinnerungskultur. Besonders für all die Menschen, die diesen Krieg nicht überlebt haben – mitunter ihr Vater. Ihr Weg damit umzugehen, ist ihre Biografie „Lauf, Mädchen, lauf“. Eine Serbin hatte ihr geholfen, eine Übersetzerin für ihre Biografie zu finden.

Das ist nicht selbstverständlich. „Mit dem Ende des Krieges ist in den Köpfen der Betroffenen noch kein Friedensgefühl eingekehrt. Viele der Überlebenden haben noch immer eine Abneigung gegenüber der serbischen Bevölkerung“, erklärt Maier. Hinter so einem Hass steckt oft die Trauer, da laut Maier „der Hass für viele einfacher auszuhalten ist als die Trauer.“

Mirsadas Wunsch für die Zukunft?

„Ich möchte, dass du in einem Café sitzen kannst und auch wenn ein serbisches Kind in der Bundesrepublik Deutschland dir gegenübersitzt, dass ihr zusammen feiert, weil ihr dürft nicht die Strukturen von damals übernehmen, das hat keine Zukunft.“