Die Suche nach sich selbst

Fremdenlegion Kloster

Symbolbild
10. Juli 2018

 „Alle glauben, in einem Zen Kloster ginge alles ganz friedlich und behütet zu, dabei wäre der Vergleich mit einer Fremdenlegion passender“, erzählt mir Johannes S., der ein Jahr in einem japanischen Zen Kloster lebte. Eine Geschichte über den Weg zur inneren Erkenntnis.

(Die kursiven Begriffe werden am Ende des Interviews erklärt.)

Aufgewacht. Es ist mitten in der Nacht, als sich Johannes auf den Weg zur Glocke macht, um die anderen aus dem Bett zu läuten. Waschen, umziehen, ran an die Arbeit. Das Singen der Sutren, Körperübungen und Meditation — alles zur Stärkung des Geistes und der Konzentration. Danach: Reinigungs- und Feldarbeit zur Aufrechterhaltung des Klosters. Der ständige Wechsel von körperlicher und geistiger Anstrengung bestimmt das Lebensgefühl.

Wie hast du deinen Zen Meister in Japan gefunden?

Ganz ehrlich? Das alles war ein großes Missverständnis, eigentlich habe ich nur einen Platz zum Schlafen gesucht. Ich dachte zuerst, das wäre ein Bauernhof, weil der Mönch, den ich da getroffen habe, ohne Gemeinschaft nicht in seiner Kutte rumlief und deswegen für mich ganz normal aussah. Und er wiederrum dachte, dass ich Mönch sei, weil ich damals schon sehr kurze Haare hatte. 

Allein wegen der Länge der Haare ist er davon ausgegangen?

Ja. Das Problem war, wir konnten uns nicht verständigen. Ich sprach kein Japanisch, er konnte kein Englisch, das lief alles nur über Zeichensprache. Er nahm mich dann mit ins Kloster und wunderte sich am nächsten Tag, wie ungelenkig ich bin, als er mich um vier Uhr morgens zum Körpertraining aus dem Bett warf.

Heute ist Johannes S. Managing Consultant bei dem IT-Unternehmen Capgemini. Eine bestimmte Laufbahn hatte er nie angestrebt, genauso wenig wie ein Leben im Zen Kloster. Alles begann mit einer Reise ins unbekannte Japan und einer Frage.

Wie kam in dir das Bedürfnis auf, nach deinem Ich zu suchen?

Das fing bei mir eigentlich schon sehr früh an, da war das schon programmiert. Als Kind wollte ich immer wissen, was die Wörter bedeuten und mit ungefähr sieben Jahren bin ich dann auf das Wort „Ich“ gestoßen. Ich habe dann gemerkt, dass ich große Probleme habe, hiervon eine konkrete Anschauung zu entwickeln. Ich fing an, mich mit dem Thema Spiritualität auseinanderzusetzen und irgendwann bin ich dann durch Zufall auf die asiatische Anschauung gestoßen. Die war wesentlich entschlossener als alles, was ich je zuvor gehört hatte. Nach Japan und zum Buddhismus war es dann nur ein kleiner Schritt. 

Wie ging dein Tag weiter, nachdem dich der Mönch mit ins Kloster genommen hatte?

Nach den morgentlichen Arbeiten sind wir zusammen in den Hondō und er fing an, die Sutren zu singen. Naja und ich saß dann da und versuchte verzweifelt, mich ansatzweise so verschlungen hinzusetzen wie er. Er drehte sich ein paar Mal wütend um, weil ich nicht mitgesungen habe. Wie denn auch, ohne die Sprache zu sprechen? Nach ungefähr 45 Minuten ging es weiter. Er sprang auf und lief zum nächsten Raum, während ich nicht mal mehr aufstehen konnte, weil meine Beine längst eingeschlafen waren. Ich folgte ihm über den dunklen Hof ins Dojo, es war inzwischen halb sechs, und als ich mich dort wiederfand und ich mich zum ersten Mal an den Praktiken der Kontemplation versuchte, da realisierte ich, dass ich jetzt den Blick nach innen richte. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was auf mich zukommt.  

Im Buddhismus gibt es viele Wege, sich auf sein Inneres Ich zu konzentrieren. Neben der allgemein bekannten Meditation gibt es die Kontemplation. Für diese Methode entschied sich Johannes.

Was ist der Unterschied?

Tja, was ist der Unterschied… Meditation ist mehr ein autosuggestives Verfahren. Die Kontemplation zielt darauf ab, sich so gut wie möglich konzentrieren zu können. Auch beim Meditieren braucht man Konzentration, aber bei der Kontemplation geht es mehr um den Energieaufwand, den man für eine gezielte Konzentration aufwenden muss. Im Dojo steht immer eine Statue vorne neben dem Platz des Meditationsmeisters. Diese Statue stellt eine Gottheit dar, die auf einem Tiger reitet und ein Schwert hochhält. Das Schwert symbolisiert das Schwert der diamantspaltenden Weisheit. Und so scharf wie dieses Schwert ist, so scharf soll der Verstand werden.  

Wie kam es dazu, dass du dortbleiben konntest?

Naja, aufgeklärt hat sich das Ganze dann am nächsten Tag, als eine Englischlehrerin vom Dorf zu uns ins Kloster kam, die konnte dann endlich übersetzen. Ich habe erklärt, warum ich gerade in Japan bin und der angehende Zen Meister, warum er gerade in diesem Kloster ist. Er war nicht gerade begeistert von mir, aber er fand es gut, dass ich das Alles einfach mal so mitgemacht habe. Als ich ihm dann sagte, ich wolle kontemplieren, um mein eigenes Ich zu finden, durfte ich bleiben.

Wie kann ich mir deinen Tagesablauf in dieser Zeit vorstellen?

Der Tagesablauf ist streng durchgetaktet, selbst das Putzen folgt einer ganz bestimmten Abfolge und auch das gemeinsame Essen ist stark ritualisiert. Da ist es dann vor allem für die älteren Mönche echt nervig, wenn da einer wie ich kommt und alles durcheinanderbringt. Das Wichtigste ist, dass man darauf achtet, den Betrieb nicht aufzuhalten. Man muss sich einfach sinnvoll in die Gemeinschaft einbringen. Die Gemeinschaft zu fördern ist das A und O. Dazu muss man sich möglichst schnell in die Abläufe einfahren.

Johannes konnte viele der erlernten Praktiken mit nach Deutschland nehmen. Sie helfen ihm, sein Arbeitspensum zu kontrollieren und übermäßigen Stress für Körper und Geist zu vermeiden.

Wie kann ich mir solche Praktiken vorstellen?

Zum Beispiel konzentriere ich mich beim Atmen auf das Innere meiner Nasenflügel. Das hilft extrem, meine Konzentration auf einen Punkt zu lenken. Es gibt auch eine Gehmeditation, bei der man sich während dem Laufen eben nur auf‘s Gehen und auf nichts anderes konzentriert. Das klingt so leicht, ist aber unglaublich schwer. Dieses Bewusstsein geht auch nicht mehr weg, das bleibt mir im Leben.

War das Leben im Kloster eine große Herausforderung für dich?

Auf jeden Fall muss man sehr fit sein, um das Ganze durchzuhalten. Man lebt im Winter ohne Heizung, man bekommt wenig Schlaf, man ist körperlich die ganze Zeit strapaziert durch die viele Arbeit und mental ist die ganze Sache auch nicht ohne. Dieses punktförmige Konzentrieren ist auch mit Risiken für die geistige Gesundheit verbunden. Da gibt es so viele Möglichkeiten, etwas falsch zu machen. Ein Beispiel wäre, dass viele Leute dabei die Augen schließen und dann Gefahr laufen, in so eine Art Dämmerzustand zu geraten, auch dösen genannt, und dösen weckt die Anlagen zur Dummheit. Außerdem besteht die Möglichkeit, geistige Krankheiten hervorzuholen, wenn man ungünstig veranlagt ist. Und dann kommt noch der ganze Stress dazu. Leicht ist es nicht.

Schule, Uni, ein bisschen Wehrdienst. Mehr Berufserfahrung hatte Johannes zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Wunsch, einmal das ernste Leben kennenzulernen, war da doch zog ihn dieser nicht zurück nach Deutschland.

War nie der Gedanke da, für immer im Kloster zu bleiben?

Doch, der Gedanke war definitiv da. Der ausschlaggebende Punkt, warum ich zurückgegangen bin, war der, dass sich jemand daheim um meine Eltern kümmern musste. Sonst wäre ich vielleicht für immer dortgeblieben.  

Hast du einen Rat für all diejenigen, die sich selbst finden wollen?

Auf jeden Fall sollte man sich fragen, wer man ist, das ist der erste Schritt. Man wird auch genau wissen, wenn man sich gefunden hat. Solange man noch Zweifel daran hat, ist es nicht passiert. Hat man die Antwort dann gefunden, ist der zweite Schritt, sich selbst zu akzeptieren. Denn das, was man da gefunden hat — damit hat man nicht gerechnet.

Ich bin auch der Meinung, wer auf der Suche nach sich selbst ist, der muss nicht unbedingt in ein Zen Kloster gehen. Jeder hat da seinen eigenen Weg. Wichtig ist nur, dass man sich die Frage stellt. Denn mit der Frage nach dem Ich fängt alles an.

Hast du das Bedürfnis, einmal wieder zurückzukehren?

Nein. Ich bin mittlerweile verheiratet und dadurch, dass ich im Kloster so viel für mich gelernt und in meinen Alltag mitgenommen habe, ist das Bedürfnis zurückzukehren auch nicht da. 

Aber eines kann ich sagen: Diese Reise war das Ende meiner Suche.

Zen beschreibt eine Strömung des Buddhismus, mit der versucht wird, eine vollständige und bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments zu erreichen. Ziel ist es, die Flut der Gedanken zu beruhigen und so Stille und Leere zu erleben. 

Der Hondō ist ein Raum im Kloster, in dem die Sutren gesungen werden.

Die Sutren sind eine Art Silbengesang, der aus heiligen Schriftsätzen besteht und die Konzentration festigen soll.

Das Dōjō ist die Übungshalle der japanischen Kampfkünste. Im Japanischen Zen ist es auch die Bezeichnung für die Meditationshalle.

In der Regel wird durch ein kontemplatives Leben oder Handeln ein besonderer Empfindungszustand oder eine Bewusstseinserweiterung angestrebt. Eine kontemplative Haltung ist von Ruhe und sanfter Aufmerksamkeit auf einen Gedanken bestimmt und unterscheidet sich von der Meditation durch die dort angestrebte vollkommene Leere des Geistes.

Mit der Zeit haben Zen-Meister verschiedene Praktiken entwickelt, die den Schülern Hilfen bieten. Zu den gebräuchlichen Methoden der Zen-Praxis gehöre Zazen (Sitzmeditation), Kinhin (Gehmeditation),  Rezitation(Textlesungen) und Samu (konzentriertes Tätigsein). Der Schüler muss zumindest die Sitzmeditation in sein alltägliches Leben integrieren, denn Zen ist seinem Wesen nach stets nur Praxis.