Stadtplanung

Autostadt, denk an deine Menschen

Große Straßen, viele Autos ‒ ein gängiges Bild in Stuttgart.
09. Dez. 2017

Zu Fuß hat man es in Stuttgart nicht leicht. Die B14 zieht sich wie eine Barriere mitten durch den Stadtkern ‒ und lässt dabei die Fußgänger außen vor. Die Initiative "Aufbruch Stuttgart" appelliert für eine menschenfreundlichere Lösung. Doch wie schafft man das, in einer Stadt voller Autos?

Wer in Stuttgart einen Spaziergang vom Hauptbahnhof zum Marienplatz macht, dem stellen sich die zwei großen Bs in den Weg: B14 und B27. Zwei mächtige Bundesstraßen, die laut aktueller Zählung der Straßenverkehrszentrale Baden-Württemberg täglich bis zu 78.000 Autos direkt durch die Stadtmitte schleusen. Wie ein Zaun ziehen sich beide Straßen um den Stadtkern. Die Automobilindustrie ist allgegenwärtig, doch ist Stuttgart nicht nur Auto-, sondern auch Kulturhauptstadt. Wie kann es da sein, dass sich eine autobahnähnliche Straße durch die Kulturmeile zieht? Eine Frage, mit der sich die Stadtverwaltung schon lange beschäftigt.


Egal ob Überdeckelung, Untertunnelung oder City-Boulevard – Lösungsansätze gibt es viele, doch angepackt wurde bislang nichts. Fragt man die Stuttgarter, wie ihnen die Stadtmitte derzeit gefällt, trifft man auf unterschiedliche Meinungen.

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Fahre mit der Maus über die weißen Punkte und klicke auf play, um die Meinungen der Bürger zu hören. | Quelle: Annika Langenau

 

Von der autogerechten zur menschengerechten Stadt!

Der Verein „Aufbruch Stuttgart e.V.“ will die Stadt zum Umdenken bewegen. Frisch gegründet, kämpft die Bürgerinitiative seit März 2017 um eine Zukunft mit mehr Urbanität und Lebensqualität. Unabhängig und überparteilich weg vom Auto, hin zum Menschen — so der Aufruf. Angegangen werden drei Baustellen: die Neugestaltung der Verkehrsschneise B14, die Etablierung Stuttgarts als Kulturhauptstadt und die Loslösung vom Verkehr. „Wir sind natürlich nicht die einzigen, aber die mit dem meisten Zuspruch“, sagt Wieland Backes, Vorsitzender des Vereins. Innerhalb weniger Monate schaffte es die Initiative, über 600 Mitglieder zu gewinnen.


Durch eine außergewöhnliche Demonstration bekam „Aufbruch Stuttgart" im September große Aufmerksamkeit. Auf der stundenlang gesperrten B14 schauten sich über 1000 Besucher das Spektakel an. Ein Event zwischen Hochseilartisten, Rollrasen und Marching Band.

Hoch in der Luft wehte der Aufruf für Stuttgart.
Frei nach dem Motto: "Anders kommt man eh nicht drüber" schwebten die Artisten über die B14 .
Wie lässt man am schnellsten die Straßen verschwinden? Die Lösung: Rollrasen.
Rasen statt Rasen! Der Verkehr soll grünen Flächen weichen.
Diskussion in vollem Gange: Oberbürgermeister Fritz Kuhn...
... bespricht mit dem Vorsitzenden der Initiative Wieland Backes neue Möglichkeiten.
Viele Luftballons und noch mehr Menschen — die Demo stieß auf großen Widerhall.
Stuttgart soll attraktiver werden — auch für die Kleinen.

Konkrete Pläne zur Umgestaltung des Kulturviertels hätte es viele gegeben, doch angepackt habe man bis auf ein paar Fußgängerüberwege laut Backes nichts. Die Idee, die Spuren der großen Straßen zurückzubauen und so den Verkehr zu verlangsamen, hält er für nicht realisierbar: „Dann weichen die auf das Umland aus und dann ist da die Hölle los.“ Natürlich liege die Hauptaufgabe darin, den Verkehr zu reduzieren, doch das ginge nicht von heute auf morgen. Einerseits müsse man durch günstige Tarife im Nahverkehr und ein stabiles Straßennetz Anreize schaffen. Gleichzeitig müsse man das Fahren in der Stadt unattraktiv machen. 

Baustellen über Baustellen

Stadtbaulich aktuell: Stuttgart 21. Auf vielen Demonstrationen als Misserfolg betrachtet, sieht die Initiative in dem Bauprojekt dennoch eine Chance. Ganze 90 Hektar neuer Raum entstehen nach der Freilegung der alten Bahngleise — die will Backes nutzen: „Bei uns sind Stimmen dafür und dagegen vertreten, diese Lager gilt es wieder zusammenzuführen". Wichtig sei hierbei, dass die Stadt das Grundstück von der Bahn erworben hat, so kann der Verein maßgeblich Einfluss auf die Gestaltung nehmen. „Das kann für die Stadt ein großes Glück werden, oder ein erneuter Schock“, sagt der Vorsitzende.

Großbaustelle Stuttgart 21 - voraussichtliche Kosten: 7,6 Milliarden Euro, geplante Fertigstellung: 2024

Dafür und Dagegen

Fragt man die Stuttgarter Pressestelle, steht die Stadtverwaltung der Initiative wohlwollend gegenüber. Man habe, wie auch der Verein, das Ziel, die Stadt durch weniger Verkehr und mehr Aufenthaltsqualität in der City menschengerechter zu machen. Man müsse aber bedenken, dass nicht überall gleichzeitig gebaut werden kann.

„Es herrscht aktuell ein Geist in der Stadt nach dem Motto: Jetzt packen wir es an!"

Frau Steinbeck, Pressesprecherin der Stadt Stuttgart

Die Politik hingegen übt Kritik: Laut Zeitungsberichten bemängelt die linke Fraktion in Stuttgart, dass man sich nur um die Kulturelite kümmere. „Wer mich kennt weiß, dass ich kein bisschen dekadent bin“, erwidert Backes. Es habe durch Zufall mit der Hochkultur begonnen, Themen wie die Wohnungssituation seien ebenfalls im Gespräch. Für nicht aussagekräftig hält er den Vorwurf, grüne Flächen an den Bau neuer Kulturhäuser zu verlieren: „Nach der Verlegung der Gleisflächen kommen neue Parkflächen dazu, nicht riesig aber auch nicht winzig, da muss man einfach differenzieren."


Zukunftsmusik

Die Frage, ob und wie die Kulturmeile neu gestaltet wird, soll laut Pressestelle 2018 in einem städtebaulichen Wettbewerb geklärt werden. Noch in diesem Jahr will die Stadt zu einer öffentlichen Veranstaltung einladen, wo die planerischen Ziele und Eckdaten vorgestellt werden.

„Aufbruch Stuttgart“ sieht der Zukunft positiv entgegen. Die Aufmerksamkeit hätte man bekommen, jetzt müsse man sich in der ernsten Phase beweisen. In der Vergangenheit habe man viel falsch gemacht. Prächtige Bauten wie das Kronprinzenpalais mussten dem Verkehr weichen und auch das neue Schloss hat nur mit einer Stimme Mehrheit im Landtag überlebt. Diese Qualität, schöne öffentliche Räume zu bieten, an denen man sich gerne aufhält, soll wiederhergestellt werden.

„Wenn ich in anderen Städten Menschen begegne und sage, dass ich in Stuttgart wohne, stoße ich auf keine große Begeisterung — in Stuttgart zu wohnen sollte ein Privileg sein."

Wieland Backes, Vorsitzender "Aufbruch Stuttgart"