Interview

Eine Legehennenbatterie finde ich niemals schön

Michael Bär beschreibt den Planungsprozess als das Vorgreifen der Wirklichkeit. Manchmal träumt er vor seinen Projekten.
12. Febr. 2021
Der Architekt Michael Bär über die Unterschiede zwischen Kunst und Architektur, fehlerhafte Kachelöfen im Schwarzwald und warum er Legehennenbatterien niemals schön finden wird. Ein Interview.

Zwei kurze Fragen zum Einstieg. Der Beruf des Architekten in einem Wort?

In einem Wort? Vielseitig. 

Du als Architekt?

In einem Wort.. Suchend!

Wie gehst du bei einem neuen Projekt vor?

Anders als bei der Kunst, hat man immer einen Auftraggeber. Und die Architektur ist ja eine Immobilie, deswegen ist sie immer an einen Ort geknüpft und der ist ganz wichtig. Man trägt also zuerst alle Fakten zusammen und fragt sich: was macht Sinn? Es beginnt ein gedankliches, ein vorgegriffenes Bauen, also der Planungsprozess. Die Architektur lebt von einem Entwurfsgedanken, aber der wird lange geknetet und mit Zutaten versehen. Warum ein Haus am Ende so aussieht, wie es aussieht, das hat meistens sehr pragmatische Gründe. Natürlich versuchen wir trotzdem immer das Optimale zu finden.

Geben oder nehmen dir Einschränkungen, wie Ort oder Finanzen, deine Freiheit als Architekt?

Sowohl als auch! Ein Künstler sitzt ja zu Beginn, ich sag jetzt mal, vor einem weißen Blatt Papier und hat überhaupt keine Grenzen. Das Schöne und vielleicht auch der Unterschied zur Kunst: du versuchst aus einem Geflecht an Restriktionen und Möglichkeiten eine größtmögliche Freiheit zu gewinnen. Das ist ein bisschen so wie ein Wollknäuel; wenn du einen Faden gefunden hast, kannst den langsam aufdröseln und dich an dem Faden entlang arbeiten - hin und wieder verstrickt man sich aber auch in den Fäden. 

Welcher Teil des Arbeitsprozesses gefällt dir am besten?

Jeder Teil.. Das Designen hört von vorne bis hinten nicht auf. Es ist ein ständiges Vorgreifen der Wirklichkeit!

Michael bei der Arbeit, illustriert von Susanne Denzer, meiner Mutter. Sie haben sich im Architekturstudium kennengelernt.

Hast Du einen eigenen Stil?

Ich habe schon Eigenheiten. Aber ich arbeite in einem Büro, welches dafür bekannt ist, dass es versucht keinen Stil zu haben. Wir versuchen immer aus den Gegebenheiten etwas Neues zu erfinden, jedes Projekt neu anzugehen.

Michael Bär arbeitet bei dem renommierten Architekturbüro Herzog & De Meuron. Bekannt ist es unter anderem für die Allianz Arena in München, die Elbphilharmonie in Hamburg oder auch die Tate Modern in London.

Es läuft ja nicht immer alles so wie geplant. Wie gehst du damit um?

Fehler passieren einfach. Die Realität bildet nicht immer hundertprozentig den Zustand eines Planes ab. Bei einem Projekt war ein Balken nicht dort, wo er hätte sein sollen. Der Bauherr des Projekts hat mir von den Kachelöfen im Schwarzwald erzählt und wie irgendwo immer eine Kachel auf dem Kopf steht. Man wollte sich damals nicht mit Gott vergleichen und hat deshalb absichtlich einen Fehler eingebaut, weil es nicht sein kann, dass ein Menschenwerk ohne Fehl und Tadel ist. Das habe ich dann akzeptiert. 

Wie muss man sich denn die Zusammenarbeit mit den Bauherrn vorstellen?

Wir sehen uns zwar als Spezialisten, aber wir sind nicht die allein glücklich machenden kleinen Götter, die den Leuten die Welt zeigen. In der Diskussion stellt man alles in Frage und versucht an den Kern vorzustossen. Immer, wenn man mit Jemandem sehr nahe an der Verwirklichung seiner Zukunft arbeitet, entstehen auch Beziehungen; die sind manchmal sehr tief.

Michael verbindet mit der Architektur den Geruch von Holz. Damit baut er besonders gerne.

Würdest du manchmal selbst gerne einziehen, nachdem du so viel Mühe investiert hast?

Nein. Es steckt viel von mir in den Häusern, aber es war ja immer für die Person ausgerichtet, nicht für mich. Ich kenne die Häuser auswendig und besuche sie gerne Jahre später nochmal, wie groß gewordene Kinder. Interessant ist dann auch, wie sich die Gerüche von den Häusern verändern. 

Du sagt, du kennst die Häuser auswendig. Hast du auch schonmal davon geträumt?

Klar.

Hinterfragst du oft noch deine Entscheidungen im Nachhinein?

Ja gut, solche Gedanken kommen immer wieder hoch. Aber man lässt das Projekt erstmal los, auch wenn man eine Abschiedsphase für sich selbst braucht und sich wieder an etwas Neues gewöhnen muss. Manchmal kommen Projekte aber auch unerwartet immer wieder.

Was ist dir als Architekt erstmal schwergefallen? Was musstest du erstmal lernen?

In der Architektur kann man ein bisschen verzweifeln, denn Architekten sind Generalisten. Man setzt sich mit vielfältigen Dingen auseinander, spricht mit vielen Experten. Man weiß aber nichts hundertprozentig. Denn als Architekt kann oder muss man sich ständig neue Gebiete erarbeiten, sonst ist das Wissen nichts wert.

Du hast ja auch Städtebau studiert. Welche Stadt besuchst du am liebsten?

Das klingt jetzt kitschig, aber: Venedig. Die Stadt ist so einzigartig und hat einen Charme, den ich ganz gerne mag. Sie funktioniert mit Bötchen und Laufen; lustigerweise trotz kaum Grün. 

Welches Gebäude würdest du noch gerne sehen?

Die Pyramiden. Sie sind in ihrer Form und Idee so abstrakt, wie ein Gebäude nur sein kann. Außerdem sind sie auf einem Foto größenmäßig schwer zu begreifen. 

Was würdest du in der Architektur verbieten, wenn du könntest?

Stile sind immer Ausprägungen von Zeiten. Was heute nicht nachvollziehbar für uns ist, war damals wahrscheinlich sinnvoll. Architektur ist immer im gesellschaftlichen Kontext zu sehen. Wir versuchen nach besten Wissen und Gewissen Gesellschaft mitzugestalten. Es gibt aber auch Architekten, die sich in Visionen verliebt und verrannt haben.

Muss Architektur denn schön sein?

Wenn man noch nicht einmal ein zeitloses Schönheitsbild vom menschlichen Gegenüber hat, wie dann von gebauten Dingen?! Schönheit liegt immer im Auge des Betrachters. 

Aber was gefällt dir persönlich?

Wenn etwas sinnfällig ist, dann ist es schön. Es muss mir in seiner Gesamtheit gefallen. Eine Legehennenbatterie finde ich niemals schön, auch nicht mit einer schönen Fassade.