Landwirtschaft

Stadt, Land, Frust? Die Zukunft der Landwirtschaft

Trotz aller Herausforderungen liebt Sabrina ihren Beruf als Landwirtin.
27. Jan. 2020

Unser Fleisch soll von glücklichen Tieren stammen, Obst und Gemüse frei von Chemie sein. Was logisch klingt, stellt unsere Landwirtschaft vor riesige Herausforderungen. Wie viel Konfliktpotential das Thema birgt, zeigen auch die aktuellen Bauernproteste gegen schärfere Umweltauflagen. Aber warum empfinden viele Landwirte mehr Umwelt- und Tierschutz als so schwer umsetzbar?

Tausende Landwirte tragen derzeit ihren Frust über die Agrarpolitik der Bundesregierung auf die Straßen. Mit lautem Hupen und Traktorenlärm demonstrieren sie unter anderem gegen eine verschärfte Düngeverordnung und gegen Einschränkungen bei Unkrautgiften. Viele von ihnen sprechen sich gleichzeitig für eine nachhaltige Landwirtschaft aus. Was paradox klingt, ist für Sabrina vollkommen nachvollziehbar. Die 25-jährige Landwirtin führt ihren eigenen Bauernhof bei Markdorf am Bodensee. Jeden Tag versorgt sie dort über 100 Milchkühe, Hühner, Pferde, Katzen, einen Hund und ein Schwein. Zudem bewirtschaftet sie Apfel-, Kirsch- und Zwetschgenbäume sowie Erdbeerfelder. Als Landwirtin arbeitet sie in und mit der Natur. Sie gehört mit zu den Ersten, die Klimaveränderungen und Artensterben zu spüren bekommen. Konkrete Auswirkungen erlebt sie bereits beim Erdbeeranbau: Durch die Erderwärmung beginnen die Erdbeeren früher zu wachsen und sind bei Spätfrost im Frühjahr daher besonders empfindlich. Teile der Ernte gehen ihr dadurch verloren. Es wäre also falsch zu glauben, dass Landwirte die Umwelt nicht schützen wollen. Fakt ist aber, dass Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit oft in Konkurrenz zueinander stehen.

„Ich bin Landwirtin geworden, weil ich meinen Beruf liebe. Aber es macht bald keinen Spaß mehr, wenn man fast schon eine Person einstellen muss, die den ganzen gesetzlichen Bürokram erledigt."

Sabrina Heiss

Wenn unsere Landwirtschaft ökologischer und tierfreundlicher werden soll, kommt viel Arbeit auf uns zu. Und die Ziele der Bundesregierung sind ambitioniert: In den nächsten zehn Jahren sollen 20 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden. Dazu kommen verschärfte Düngeverordnungen und viele weitere Verbote und Auflagen. Diese schreiben Sabrina beispielsweise genau vor, unter welchen Bedingungen, zu welcher Zeit und in welcher Menge sie ihren Acker düngen darf. Die Umsetzung der Vorgaben stellt sie vor große Herausforderungen. Schon ohne zusätzliche Regulierungen arbeitet sie an sieben Tagen in der Woche. Wochenende oder Urlaub sind nur möglich, wenn ihre Eltern oder Freunde den Hof übernehmen. Mehr Nachhaltigkeit bedeutet für Sabrina mehr Zeitaufwand, mehr Bürokratie, mehr Investitionskosten und zumindest vorerst weniger Ertrag. Mit diesen Problemen fühlen sich die Landwirte oft allein gelassen. Denn die Förderpolitik der EU ist weiterhin auf Fläche ausgerichtet – nicht auf nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Die Stimmung unter ihren Kollegen nimmt Sabrina als sehr angespannt wahr. Zu viele Entscheidungen würden von oben herab getroffen, ohne sich über die Auswirkungen für die Landwirte Gedanken zu machen.

Doch nicht nur der Staat muss Sorge dafür tragen, dass Umweltschutz für Landwirte umsetzbar ist. Auch die Verbraucher – also wir alle – müssen sich an die eigene Nase fassen. Denn unsere Bereitschaft, für mehr Nachhaltigkeit auch höhere Preise zu bezahlen, ist mehr als fraglich. In Meinungsumfragen fordern die Verbraucher zwar mehr Bio-Lebensmittel, ein Apfel mit Fleck schafft es dann aber doch nicht in den Einkaufswagen.

Verbraucher fordern mehr Bio, gekauft wird aber Obst von Übersee, verpackt in Plastik.
Jedes achte Lebensmittel landet im Müll. 14 Prozent davon sind tierische Produkte.
Die Milchleistung einer Bio-Kuh ist rund zehn Prozent geringer als die einer konventionell gehaltenen Milchkuh.
Trotz des Wunschs nach mehr Tierwohl stagniert das Preisniveau für Fleisch seit Jahren.
Sabrina ist Landwirtin aus Leidenschaft. Viele ihrer Kollegen mussten ihren Hof in Anbetracht der vielen Herausforderungen aufgeben.

Mehr Tierwohl steht bei den Verbrauchern ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste. Erhöhen die Landwirte ihre Preise, greift man aber doch lieber zum Billigprodukt aus dem Ausland. "Wir haben 80 Millionen Hobby-Agrarwissenschaftler in unserem Land, die wissen, wie es geht, aber umgekehrt wird anders eingekauft. Das heißt, es gibt hohe Anforderungen an Landwirte, aber wir geben rekordverdächtig wenig für Lebensmittel aus", kritisiert auch Bundesagrarministerin Julia Glöckner. Aber nicht nur Verbraucher, sondern auch Lebensmittelhändler drücken den Preis. Sabrina liefert ihr Obst zu großen Teilen an eine Genossenschaft. Für ein Kilo Äpfel erhält sie dabei teilweise nur 18 Cent. Auf Masse – und nicht auf Umweltschutz – zu setzen, ist die logische Konsequenz. Ein wichtiger Schritt zu mehr Nachhaltigkeit sind für Sabrina deshalb angemessene Preise.

Neben unserer Zahlungsbereitschaft muss sich auch unser Konsumverhalten wandeln. Die Herstellung jedes einzelnen Lebensmittels beansprucht Boden, Wasser, Energie und führt zum Ausstoß von Treibhausgasen. Und dennoch landet knapp ein Drittel aller produzierten Lebensmittel im Müll. In Anbetracht der überfüllten Supermarktregale verlieren wir schnell den Bezug zu den Ressourcen. Um die Lebensmittelproduktion nachhaltiger zu gestalten, müssen wir unsere Nahrung mehr wertschätzen, akzeptieren, dass nicht jede Gurke gerade ist und bewusster einkaufen.

„Es ist immer einfach einen Sündenbock zu suchen, wo man die ganze Schuld hinschieben kann. Und das sind einfach oft die Landwirte."

Sabrina Heiss

Dass die Landwirtschaft unserer Umwelt schadet und sie sich deshalb ändern muss, ist folglich viel zu kurz gedacht. Ernährung geht uns alle an und jeder muss seinen Teil dazu beitragen, um die Welt von morgen nachhaltig ernähren zu können: Der Staat, die Verbraucher und die Landwirte. Sabrina glaubt, dass wir dafür mehr miteinander sprechen müssen. Die Regierung darf sich nicht auf Ziele versteifen, ohne die Landwirte mitzunehmen. Und auch die Verbraucher müssen mehr Verständnis und Wertschätzung für die Arbeit der Landwirte aufbringen. Auf ihrem Hof lädt Sabrina deshalb Feriengäste, Schulklassen und alle Interessierten dazu ein, sich umzuschauen und Fragen zu stellen. Denn wenn die Antwort auf die Frage "Woher kommt die Milch?" nicht mehr "Tetrapak" lauten soll, müssen wir wieder lernen, welche Arbeit hinter unseren Lebensmitteln steckt.

Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft