Tierschutz

Ein Zuhause mit Zukunft

Die Geschichte der Privatinitiative "Gnadenhof Eiweiler" nahm durch die Aufnahme von zwei alten Schafen, die der Besitzer nicht mehr haben wollte, ihren Lauf.
31. März 2023
Nutztiere, die ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen können, erwartet ein grausames Schicksal. Juttas und Lothars grüne Landschaft bietet den Ausrangierten ein Zuhause voller Fürsorge.

 „Guten Morgen, meine Kinder. Eins nach dem anderen.“ Eine warme Stimme durchdringt die Ruhe des Samstagmorgens. Jutta begrüßt ihre Kinder. Jeden Morgen warten sie in ihrer Behausung mit der Containerüberdachung und den Holzwänden auf ihr Frühstück. Auf den weiten grünen Feldern der Landschaft sind sie zuhause. Ein erstes Mähen macht sich in der Morgenruhe breit. Darauf folgt ein zweites und ein drittes. “Mama kommt!”, ruft Jutta. Der Stall füllt sich. Hufen treffen auf Stroh. Mit zwei großen grünen Säcken voll Heu läuft ein Mann über die Pflastersteine und stellt sie Jutta an den grünen Metallzaun des Stalls. Lothar, Juttas Ehemann, kümmert sich um die Zubereitung des Frühstücks. Für die Tiere ohne Zähne gibt es eine Spezialfütterung, weshalb Jutta sie von den anderen trennt, damit jeder ihrer Kinder einen vollen Magen bekommt.

Eine lebenslange Bleibe

Hinter der gelben Fassade des Einfamilienhauses von Jutta und Lothar in Eiweiler öffnet der grüne Zaun mit der Aufschrift „Gnadenhof Eiweiler“ die Pforte zum Zuhause der Tiere. Im Sommer feiert der Hof sein 15-jähriges Jubiläum. Ziegen, Schafe, Böcke und Vögel finden hier eine sichere Bleibe. Auf 35.000 Quadratmetern Landschaft leben 54 Tiere, die ohne Angst aussortiert zu werden, bleiben dürfen. Bis ans Ende ihrer Zeit leben dürfen. Sie leben im Einklang mit der Natur. Mit der Zeit haben sie gemerkt, dass von den Menschen am Gnadenhof keine Gefahr droht. Das Ehepaar treibt die Freude am Zusammensein mit den Tieren an. Sie helfen ihnen, wenn sie mit gesundheitlichen Problemen zu ihnen kommen, aber auch wenn sie später erkranken oder sich verletzten. Jutta und Lothar spüren ihren Dank. Den Tieren begegnen sie auf Augenhöhe. Jedes Tier ist individuell. Hat eine eigene Geschichte und einen eigenen Namen. „Tut mir leid, kleine Lulu. Geht es dir nicht gut?“ Lothars besorgte Stimme hallt von der hintersten Ecke des Stalls wider. Lulu hat Durchfall. Er wirkt besorgt und fragt sich, ob sie wohl zu viel Gras gefressen hat. Direkt wird gehandelt. Damit das Wiederkäuen funktioniert, bekommt sie ein Medikament für die Darmtätigkeit verabreicht.

Was ist ein Gnadenhof?

Ein Gnaden- oder auch Lebenshof oder Tierasyl ist eine Einrichtung, in der verschiedene Haustiere, Nutztiere oder Wildtiere von Menschen für einen unbegrenzten Zeitraum versorgt werden. Die Tiere werden nicht weitervermittelt. Auf Gnadenhöfen finden Tiere mit Beeinträchtigungen oder harten Schicksalen ein zu Hause, an dem sie alt werden dürfen.

Fundtiere oft ohne Ohrmarke

Lothar macht sich mit einer weiteren Ration Futter auf den Weg zu Gino. Der Neuankömmling der Familie fand gestern seinen Weg zum Gnadenhof. Das junge Coburger Fuchsschaf war auf einer stark befahrenen Straße unterwegs. Mithilfe der lokalen Polizeidienststelle konnte das Schaf eingefangen und zum Gnadenhof gebracht werden. Danach wurde es von Jutta und Lothar versorgt. Nach einer Klauenpflege und einer tierärztlichen Untersuchung machte sich Gino hungrig über eine Ration Heu her. Wem Gino gehört, ist noch unklar, da er nicht gekennzeichnet ist. Ob sich der Eigentümer bei der Polizei meldet, bleibt offen. Gino darf bei Jutta und Lothar und auf der Weide in Eiweiler bleiben. Das Schaf mit dem braunen und weichen Fell ist kein Einzelfall. Viele Tiere werden ohne Ohrmarke gefunden. Die Besitzer*innen melden sich nicht, aus Angst vor einer Strafe. Nach Paragraph 19d der Viehverkehrsverordnung sind Schafe und Ziegen vom Tierhalter spätestens neun Monate nach der Geburt mit einer Ohrmarke dauerhaft zu kennzeichnen. Für den Gnadenhof gilt eine Ausnahme, da den Tieren kein Weg zum Schlachter bevorsteht und sie bis an ihr Lebensende am Hof bleiben können.

Die Verantwortung wird falsch eingeschätzt

„Hallo Tiffany! Hallo Valentino!“ Auf dem Weg zu ihrem Bereich der „Veranda“ begrüßt Ute alle. Tiere aufnehmen, bedeutet viel Verantwortung und Arbeit. Ihre Berufe haben Jutta und Lothar hinter sich gelassen. Aus dem Hof wurde eine Privatinitiative. 18 ehrenamtlichen Helfer*innen packen mit an. Ute ist eine von ihnen und ist seit neun Jahren dabei. Diesen Morgen ist sie spontan eingesprungen. Die Veranda ist der hintere Ausgang des Stalls. Umgeben von Holzwänden, Heu und einem offenen Ausgang fällt der Blick auf die Weite der Weide und die kahlen Bäume der Landschaft. Ute schnappt sich eine Schubkarre mit Heu. „Guten Morgen!“, daraufhin folgt ein Mähen zurück. Ute füllt die großen Behälter mit einer frischen Ration Heu. Die Tiere versammeln sich und mähen hungrig. „Es kommt jeder an die Reihe!“, ruft sie lachend den Bewohnern des Stalls zu, die gerade auf der Veranda die frische Brise des Morgens genießen. Ute stellt oft fest, dass den Menschen gar nicht bewusst ist, was für eine Verantwortung es ist, Tiere, wie Schafe und Ziegen zu haben. Sie brauchen Pflege und einen liebevollen Umgang. Viele würden dies unterschätzen.

Als Nachtisch gibt es noch Äpfel und Karotten für die tierischen Bewohner der Weide.
Nach der großen Fütterungsaktion steht das Säubern des Stalls und der Wiese an.
Ute begegnet bei ihrem ehrenamtlichen Engagement im Gnadenhof den Tieren stets liebevoll.
Emma wartet genau an derselben Stelle jeden Morgen auf Lothar, um sich ihr Äpfelchen abzuholen.

„Ist doch nur ein Schaf.“

Lothar stellt in einer grünen Schubkarre die nächste Ladung Frühstück für seine Kinder auf der Veranda bereit. Es folgt freudiges und hektisches Mähen. „Als ob ihr am Verhungern wärt!“ Lachend streichelt Lothar einem seiner Schafe den Kopf. Schaf Gismo lauert auf der Veranda herum und schmiegt sich an Lothar. Auf diese Art und Weise begrüßt er Menschen. Unbeschwert macht er sich über das Futter her. Doch es war nicht immer einfach für Gismo. Sein ehemaliger Besitzer hatte eine andere Einstellung zu der Haltung von Tieren. Oft war das Veterinäramt dort. Oft wurde der Besitzer gewarnt. „Was ist los? Ist doch nur ein Schaf“, war nur seine Antwort. Die Tiere wurden ihm weggenommen. Gismo ist einer von vier Schafen, dass seither im Gnadenhof bei Jutta und Lothar ein warmes und liebevolles zu Hause gefunden hat. Artgerecht gehalten wird.

Schafe brauchen viel Platz und Pflege. Bei einer Herdengröße von zehn Schafen sollte man mit einem Bedarf von mindestens 10.000 Quadratmeter Weideland rechnen. Aber auch die Pflege der Weide spielt eine wichtige Rolle, um gesunde Lebensumstände für die Tiere zu gewährleisten. Die Weide sollte möglichst ausgewogen durchsetzt sein von eiweißreichen Hülsenfrüchtlern wie Rot- und Weißklee oder Wicken sowie rohfaserreichen Gräsern und Kräutern. Schafe sind Herdentiere. Der Kontakt zu anderen Lebensgenossen ist für ihr Überleben extrem wichtig, weshalb sie nicht alleine gehalten werden sollten.

Welche Tiere finden ihren Weg zum Gnadenhof?

Fundtiere wie Gino finden ihren Weg zu den großen grünen Flächen hinter Juttas und Lothars Zuhause. Oft laufen sie allein im Wald herum und werden dann gefunden. Es gibt aber auch Tiere, die vor dem Metzger gerettet wurden. Lothar erinnert sich besonders an ein Mädchen, das auf einem Ziegenhof ein Praktikum gemacht hat. Sie erfuhr, dass zwei Neugeborene in der nächsten Woche  der Weg zum Metzger bevorsteht. Das Mädchen war schockiert, hat zu Hause nur geweint. Ihr Vater rief im Gnadenhof an und bat Jutta und Lothar um Hilfe. So wurden Valentina und Salvatore ein Teil der Gnadenhof Familie. Großgezogen wurden sie mit der Flasche. Diese Momente bleiben Jutta und Lothar besonders in Erinnerung. Die kleinen Wesen lebten mit ihnen in der Wohnung. Schliefen vorübergehend bei Jutta im Bett.

Auch Tiere aus Tiergehegen finden im Gnadenhof ein zu Hause. Fälschlicherweise herrscht die Annahme, dass es den Tieren dort gut ginge. Jutta und Lothar haben viele negative Beispiele erlebt. Es handelt sich besonders um Tiere, die sehr krank geworden sind, weil sie von den Menschen falsch gefüttert wurden. Verschimmeltes Brot, Pizzareste, Kuchenreste, all das wird über den Zaun geworfen. So fand auch Leo ein neues zu Hause im Gnadenhof. Er war der Letzte von elf Ziegen in einem Tiergehege. Nach und nach wurden alle vergiftet. Das Schild mit der Aufschrift „Bitte nicht füttern“ wurde ignoriert. Es gab keine Aufsicht. Einmal hat er sogar eine Nylontüte mitgefressen. Dabei besteht die natürliche Nahrung der Ziege aus Gras, Bäumen, Trauben, Heu, Früchten und einer kleinen Menge an Getreide.

Antonios Mutter konnte ihm nach 14 Tagen keine Milch mehr geben, weshalb es zu sterben drohte. Jutta und Lothar zogen ihn mit der Flasche groß.
Nach einer Tot- und einer Missgeburt wollte Madonnas Besitzer sie zum Schlachter bringen. Tierschützer*innen wurden darauf aufmerksam und informierten Jutta und Lothar.
Marie und Valentino gehören auch zu den Flaschenkindern des Gnadenhofs und wurden von Jutta und Lothar mit der Flasche großgezogen.
Der Kamerun-Schafbock Schorsch ist von Geburt an blind. Bei seinem Vorbesitzer fand er sich in der Herde nicht zurecht. Von anderen Böcken wurde er immer wieder gestoßen.

Nicht nur Tierschutz, sondern Aufklärung

Jutta und Lothar setzen sich nicht nur den Tierschutz als Ziel mit ihrem Gnadenhof. Der pädagogische Aspekt spielt für sie eine genauso wichtige Rolle. Sie bieten Besuche für Schulklassen und Kindergärten über das ganze Jahr an. Schulpraktika werden auf dem Gnadenhof auch angeboten. So können Jugendliche etwas über das Übernehmen von Verantwortung für Tiere lernen. Sie wirken an der täglichen Arbeit mit, füttern die Tiere und erleben, was für eine gute Pflege für die Tiere notwendig ist. Dabei wird den Praktikant*innen vor allem Wissen über die Wiederkäuer vermittelt. Auch Menschen mit Einschränkungen freuen sich über die Besuche am Gnadenhof. Die Freude der Menschen bringt für Jutta und Lothar den schönsten Mehrwert. Die Kinderpsychiatrie aus Homburg nutzt auch regelmäßig das Angebot. Lothar kann sich besonders an zwei kleine Mädchen erinnern, die trotz großer Zurückhaltung und Angst vor den Tieren am Anfang, den Gnadenhof gar nicht mehr verlassen wollten.

Obwohl Jutta und Lothar schon vorher im Tierschutz tätig waren, hat der Gnadenhof das Bewusstsein für die Tiere verstärkt.
Obwohl Jutta und Lothar schon vorher im Tierschutz tätig waren, hat der Gnadenhof das Bewusstsein für die Tiere verstärkt.
Obwohl Jutta und Lothar schon vorher im Tierschutz tätig waren, hat der Gnadenhof das Bewusstsein für die Tiere verstärkt.

Die Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durch den grauen Himmel, während Jutta, Lothar und Ute auf der Terrasse sitzen. Eine kurze Kaffeepause, bevor der Alltag weiter geht. Die Arbeit ist noch lange nicht vorbei. Der Nachmittag ist für große Weidengänge in der Idylle der Landschaft reserviert. Auch handwerkliche und pflegende Arbeiten, wie Reparaturen an Zäunen oder das Schneiden von Klauen fallen an. Jutta und Ute stellen die weißen Tassen auf dem Tisch ab. Das leise Radio und das Mähen der Tiere durchbrechen die Stille. Der Duft des Heus liegt in der Luft. Es geht weiter. Denn Tieren auf Augenhöhe zu begegnen ist eine Lebensaufgabe.