Klimawandel

Mit vollen Taschen Richtung Selbstauslöschung

12. Mai 2022
Weltweit haben es sich Bürger*innen zur Aufgabe gemacht, die Klimakatastrophe abzuwenden – per Verzicht und Lebensumstellung. Ihre Bemühungen sind jedoch nutzlos, solange Konzerne und Elite gegenlenken und die Politik tatenlos zusieht. Es bräuchte einen kompletten Systemumbruch.

„Esst saisonal und recycelt mehr, um Emissionen zu reduzieren!“ Dieses Zitat stammt von Ben van Beurden, CEO des Shell-Konzerns. Ausgerechnet er stellt Konsument*innen, die importierte Erdbeeren kaufen, an den Pranger und Industrien, in denen man ja mehr recyclen könnte. Die „Shell plc“ ist eines der größten Gas- und Öl-Unternehmen und einer der größten Umweltsünder weltweit. Und so inhaltlich korrekt der Appell auch sein mag, so dreist ist er aus dem Mund eines Hauptverursachers sowie -profiteurs der Klimakrise. Für diese revolutionäre Ansprache ist er übrigens – ganz im Sinne der Umwelt – per Privatjet aus den Niederlanden nach London gereist. 

Sich auf die Lebensumstellung Einzelner zu verlassen, ist höchst unvernünftig. Selbst wenn niemand aus der Durchschnittsbevölkerung mehr in ein Flugzeug oder Auto steigt, ändert sich dadurch nichts. Denn nach heutigem Wissensstand sind 71 Prozent der seit 1988 erfassten CO2-Emissionen auf gerade einmal hundert Unternehmen zurückzuführen – meist aus der Öl-, Gas- und Kohleindustrie. Sie handeln dabei frei von Verzicht, Umstellung und Strafe. In der Top Zehn der hundert Klimasünder vertreten: Shell, unter van Beurden. Die Einsparungen von Plastikfastenden und Dumpster Divern sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Kapitalismus ermöglicht und entschuldigt das Handeln der Konzerne und macht in seiner jetzigen Form eine Lösung des Problems unmöglich. 

Um den Inhalt anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.
Der CO2-Ausstoß ausgewählter Unternehmen und Länder (Privatpersonen, Privathaushalte) im Jahr 2019 im Vergleich | Quelle: Thomas Kellermann

Reich an Geld, arm an Gewissen 

Die Industrie wehrt sich gegen die Anschuldigungen. Erst mit Klimawandelleugnung und nun, wo dies kaum mehr möglich ist, mit der Ausbremsung dringend notwendiger Maßnahmen. Und nicht zuletzt mit gezielter Ablenkung: 2005 entwickelte der Erdölkonzern British Petrol den „CO2-Fußabdruck“. Er gibt an, welche Mengen an Treibhausgasen durch einzelne Handlungen und Käufe freigesetzt werden. Verbraucher*innen werden dazu manipuliert, die eigene Schuld überzubewerten. Die Spur zu den eigentlichen Tätern wird verwischt. Ein billiger, rübergeschobener „schwarzer Peter“. In die gleiche Kerbe schlagen auch CO2-Angaben auf Lebensmittelverpackungen. Die Politik, die die Sicherheit der Bürger*innen garantieren soll, sitzt brav nickend auf dem Schoß der Konzerne. Wieder sollen Konsument*innen es alleine richten. Wieder sollen wir vergleichen, reduzieren und verzichten. 

Esst saisonal und recycelt mehr, um Emissionen zu reduzieren!

Ben van Beurden, CEO der Shell plc

Zeitgleich liefern sich die Milliardäre Musk, Branson und Bezos ein Wettrennen ins Weltall, bei dem pro Reise hunderte Tonnen CO2 entstehen. Bill Gates hat einen Jahresausstoß von 7.500 Tonnen CO2, bei Roman Abramowitsch sind es sogar 34 Tausend Tonnen. Die Superreichen – egal ob Privatpersonen oder Konzerne – machen, was sie wollen. Weil sie es können und dürfen. Die wohlhabendsten ein Prozent verursachen im Schnitt 110 Tonnen Treibhausgase jährlich, die obersten 0,01 Prozent sogar 2530 Tonnen – pro Kopf! Zum Vergleich: Die Emissionen eines Deutschen liegen bei 7,9 Tonnen, der weltweite Ausstoß pro Person sogar nur bei 4,8. Der jährliche Ausstoß eines Superreichen gleicht somit dem von 320 Deutschen. Auf so viele Erdbeeren können wir gar nicht verzichten, dass wir damit etwas bewirken würden. Die Veränderung muss von woanders, von ganz oben kommen. Von der Politik. Und somit von uns Bürger*innen, die der Politik den richtigen Weg vorgeben müssen. Das schaffen wir nicht mit Verzicht und Konsumanpassung, sondern nur mit kollektivem Druck.

Kein*e Milliardär*in wird freiwillig auf elitären Luxus verzichten. Kein Konzern wird ohne Nachdruck große Geldsummen in die Hand nehmen, um dem Allgemeinwohl zu dienen. Doch genau für solche Entscheidungen wählen wir ja Politiker*innen. Sie sollen die Interessen des Volkes repräsentieren und im Sinne der Allgemeinheit handeln. Und ein stärkeres Interesse als das Abwenden eines brennenden Planeten, überfluteter Küsten und brauner Luft gibt es derzeit nicht. Es geht um das Überleben unserer Spezies und unserer Heimat – und dennoch passiert auf oberster Ebene viel zu wenig.  

Die Politik übernimmt keine Verantwortung 

Laut dem neusten Weltklimabericht des IPCC liegen die aktuellen Investitionen um das Drei- bis Sechsfache unter dem Niveau, das nötig wäre, um die Erderwärmung bis 2030 auf zwei Grad Celcius zu begrenzen. Dabei gäbe es weltweit ausreichend Kapital. Was fehlt, sind klare Signale und Vorschriften seitens der Politik. 59 der hundert größten Klimasünder bzw. zwölf aus der Top 20 befinden sich in staatlichem Besitz von Ländern wie Indien oder Russland. Die Regierungen haben es in der Hand, die notwendige Veränderung herbeizuführen – aber entscheiden sich stets für finanzielle Gewinne und gegen den Planeten, den sie ihr Zuhause nennen.  

Dabei wäre die Europäische Union prädestiniert dafür, den Umschwung loszutreten. Die Begründung liegt im „Brüssel-Effekt“, laut dem die EU als einzige Volkswirtschaft globale Standards setzen kann. Für internationale Konzerne wäre es schlichtweg zu aufwändig, nach unterschiedlichen Standards zu produzieren. Daher hält man sich einfach an die Striktesten. Auf den EU-Markt kann nämlich kein Großkonzern verzichten. Die EU nutzt ihr Potential bisher aber nicht aus. Schlimmer noch: Sie scheint sich vor der Verantwortung zu drücken.

Verlorener Überlebensinstinkt 

Das größte Umdenken muss hinsichtlich der globalen Geldgier stattfinden. Das Hauptproblem im Kampf gegen die Klimakrise ist der Kapitalismus mit seinen Freifahrtscheinen für alles, was Profit generiert. Unser System und das Wohl des Planeten sind nicht kompatibel. Wir müssen endlich anfangen, mehr an unser aller Überleben zu denken und weniger an das Streben nach Reichtum und Bequemlichkeit. Die Politik muss die Industrie durch Regelungen und Gesetze dazu zwingen, Umsatzeinbußen hinzunehmen, um die Suppe auszulöffeln, die sie selbst seit Jahrzehnten kochen. Die Erde hat nur dann eine Chance, wenn die Politik sich aus der Hand der Großkonzerne und die Menschheit sich aus der Hand des eigenen Konsumwahns befreien. Beide Signale sind unabdingbar, um eine Umstellung der Industrie herbeizuführen.  

Jedes Lebewesen, jede uns bekannte Spezies hat einen unausweichlichen Drang nach Selbsterhaltung. Der Mensch hat etwas geschaffen, was ihm wichtiger zu sein scheint: Geld. Ihm wird alles andere untergeordnet. Und solang das in den Köpfen der CEOs und Politiker*innen so bleibt, ist das Ende menschlichen Lebens nah.