Verbundenheit

Ein Herz und eine Seele?

18. Mai 2019

Angeblich finden nur drei Millionen von acht Milliarden Menschen auf der Welt im Laufe ihres Lebens ihren Seelenverwandten: Das sind etwa 0,04 Prozent. Daran glauben tun jedoch viel mehr auch wenn es wissenschaftlich gar nicht nachweisbar ist. Lässt sich dieses Phänomen überhaupt erklären? Und wenn ja, wie?

Immer wieder müssen Stefanie und Yasemin lachen. Sie berühren sich an den Händen, lehnen sich aneinander. Wenn sie sich in die Augen sehen, ist die tiefe Verbundenheit praktisch greifbar. „Wir hatten nicht diesen einen ,Oh-mein-Gott‘-Moment, in dem wir es wussten“, stellt Stefanie fest. Es war eher eine Vielzahl an Momenten, in denen ihnen immer wieder klar wurde, wie ähnlich sie denken und fühlen. Die beiden 20-jährigen Studentinnen aus Reutlingen sind das, was Esoteriker als „Zwillingsflammen“ bezeichnen. Es fängt an beim Musikgeschmack, geht über den richtigen Artikel für Nuss-Nougat-Creme und hört auf bei der Meinung zur Reform vom Werbeverbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Wenn sie sich einige Zeit nicht sehen, ist das nächste Treffen „wie eine große Erleichterung“. Es fehlt einfach etwas, wenn die andere nicht da ist.

Dass eine Seelenverwandtschaft nicht immer so blumig ist wie sie klingt, sondern oftmals viel komplizierter, erzählt Carmen. Die 52-Jährige aus Ludwigshafen hat in ihrem Leben schon einige Erfahrungen mit Seelenverwandtschaft gemacht und sich im Zuge dessen intensiv mit der Materie beschäftigt. Ihr zweiter Ehemann Volker, sagt sie, ist ihre „Dualseele“. Bei dieser Verbindung ergänzen die Partner sich gegenseitig. Carmens kreative Impulsivität wusste ihr Mann mit Struktur und Orientierung auszugleichen. Trotz aller Harmonie endete die Beziehung in einer schmerzvollen Trennung und mit dem Auszug Volkers. Carmen erzählt von Freiheit, von Lieben und Loslassen – es sei ein langsamer Heilungsprozess. Auch zu ihrem besten Freund Christian, ihrer „Zwillingsflamme“, hat Carmen keinen Kontakt mehr. Zwischen ihnen bestünde eine fast schon telepathische Verbindung. Es habe keine zehn Sekunden gedauert, nachdem er den Raum betreten hat, um zu erkennen, dass er ihr Seelenbruder ist.

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Wissenschaftler sind skeptisch

Experten aus der Medizin oder der Sozialpsychologie sind vom Phänomen der Seelenverwandtschaft nicht überzeugt. Prof. Dr. Thomas Kammer, Neurowissenschaftler am Uniklinikum Ulm, vertritt die Meinung, dass eine solche Verbindung im engeren Sinn nicht existiert. „Dennoch gibt es in der Kognitionsforschung zahlreiche Befunde, die für die Phänomene Mitfühlen, Einfühlen oder Antizipieren von Gesprochenem entsprechende Aktivierungsmuster im Gehirn identifiziert haben. Diese Erkenntnisse unterstreichen die weitreichenden sozialen Fähigkeiten des Menschen“, führt Kammer aus.

Zwischen „weitreichenden sozialen Fähigkeiten“ und der lebensverändernden Erfahrung, von der Stefanie, Yasemin und Carmen berichten, liegen Welten. Einen etwas gemäßigteren Blickwinkel erlaubt Anne Heintzes Standpunkt. Generell teilt die Inhaberin der OpenMind-Akademie und Life-Coach die Ansicht Kammers: Seelenpartnerschaft sei ein Konstrukt des Kopfs, das auf eigenen Vorstellungen und Idealen beruht. Der Wunsch, eine solche Verbindung zu erleben, begründe sich in der „tiefen Sehnsucht nach Verbundenheit und Freiheit des Menschen“.

Diese Sehnsucht führt so weit, dass manche Menschen eine verzerrte Sicht auf ihre Partner entwickeln: „Eigene Erfahrungen und Gefühle werden dem anderen ‚unterstellt‘ und die Beziehung übermäßig idealisiert“, erklärt Prof. Dr. Hans-Werner Bierhoff. Der Sozialpsychologe nennt Seelenverwandtschaften „positive Illusionen“, bei denen objektive Gemeinsamkeiten der Partner durch subjektives Empfinden verstärkt würden. Beteiligte fühlen sich verstanden und bestätigt, weil sie sich selbst einreden, ihre Zwillingsflamme gefunden zu haben. Bierhoff resümiert, dass dieses Denken eine Beziehung glücklicher macht, auch wenn die erfahrene Seelenverwandtschaft nur vermeintlich ist.

„Hey, irgendwie kommst du mir bekannt vor…“

„Wie das Ende einer langen Suche“, beschreiben Stefanie und Yasemin ihr erstes Treffen und bekräftigen damit im Wortlaut Anne Heintzes Beschreibung. Ihre Seelenverwandtschaft bewegt sich zwar auf freundschaftlichem Niveau, aber, wie die Autorin von „Seelenpartnerschaft – Wenn das Schicksal zuschlägt“ bestätigt, müssen Erotik und Liebe nicht immer im Spiel sein. Prinzipiell ginge es immer um ein sehr starkes Verbundenheitsgefühl – oft auch völlig fremden Menschen gegenüber. In Heintzes Ausführungen tauchen Begriffe wie „zuhause angekommen“, „Endlosigkeit“ oder „Vollständigkeit“ auf.

Das Konzept der Seelenverwandtschaft gibt es nicht erst seit gestern - bereits in der Antike versuchten die Menschen, Erklärungsansätze für besonders tiefe Verbindungen zu finden. 

Platon und die Kugelmenschen

Zum ersten Mal tauchte das Phänomen "Seelenverwandtschaft" schon zu Zeiten des antiken Griechenlandes auf. In seinem Werk Symposion erzählt der griechische Philosoph Platon vom Mythos der „Kugelmenschen“. Demzufolge hatten die Menschen ursprünglich vier Arme, vier Beine und einen Kopf mit zwei Gesichtern. Doch Zeus trennte sie zur Strafe für ein Vergehen in zwei Hälften: die heutigen Menschen. Unglücklich mit dieser Unvollständigkeit sucht nun jeder seinen verlorenen anderen Teil.

Helga Mitsdörffer, ehemalige Inhaberin der „Esoterischen Quelle“ in Stuttgart, betrachtet das Thema von spiritueller Seite. Ihrer Meinung nach hängt Seelenverwandtschaft eng mit Reinkarnation zusammen. „Die Seele sei unendlich“ heißt, sie suche sich immer wieder neue Körper bis sie eine „reife, erfahrene und vollkommene Menschlichkeit“ erreicht habe. In jedem neuen Leben mache man sich Freunde und Feinde, auf die man im Laufe der Zeit dann immer wieder treffe. Genau dieses Gefühl hatte auch Carmen: Als sie von ihrem besten Freund Christian erzählt, erwähnt sie, dass sie beim ersten Treffen das Gefühl hätte, ihn schon lange zu kennen. Mitsdörffer bestätigt dies: „Mit manchen Menschen hat man viele Inkarnationen“, weil man die Begegnung mit ihnen brauche – sie seien dann im wahrsten Sinn Lebenspartner.

Soziale Bedürfnisse bieten mögliche Erklärung

Auch bei der Verbindung zwischen Stefanie und Yasemin kann man von einer Lebenspartnerschaft sprechen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie eines Tages nicht mehr Teil meines Lebens ist“, erzählt Yasemin. Laut den Experten aus der Sozialpsychologie und der Neurowissenschaft gibt es keine Belege für die besondere Freundschaft der beiden Studentinnen. Was jedoch bewiesen ist, ist eine starke Ausprägung der menschlichen Fähigkeit zu Mitgefühl und Empathie. Zusammen mit sozialen Bedürfnissen nach Zugehörigkeit und Bestätigung bildet dies einen möglichen rationalen Erklärungsansatz für das Phänomen „Seelenverwandtschaft“.