Interview

"Das Auto ist kein Verkehrsmittel für uns alle!"

Katja Diehl an der Haltestelle Louisenstraße in Hamburg
26. Mai 2024
Katja Diehl ist Spiegel-Bestseller-Autorin, Aktivistin und Podcasterin. Die Rolle des Autos in unserer Gesellschaft stellt sie stark in Frage. LinkedIn zählte Sie 2019 zu den „25 Top Voices in Deutschland“ und mit ihrer Arbeit löst sie bundesweite Debatten aus.

Katja, in deinem Buch kritisierst du die Rolle des Autos in unserer Gesellschaft. Warum glaubst du, dass unser aktuelles Verkehrssystem schlecht ist?

Ich glaube nicht daran, sondern es ist Fakt, dass das heutige Verkehrssystem so stark auf Autos ausgerichtet ist, dass es einfach nicht gut ist. Es gibt immer diese Floskel, dass wir alle Gesellschaftsgruppen beim Thema Mobilität mitbedenken und mitnehmen müssen, aber das tun wir nicht. Wenn wir ehrlich sind, geht es vor allem um eins: Die Autofahrer mitzunehmen.

Woran machst du das fest?

Die Tatsache, dass wir in Deutschland knapp 49 Millionen Autos und nur 40 Millionen Haushalte haben, zeigt schon, dass das Auto ein sehr privilegiertes Verkehrsmittel ist. Es gibt 13 Millionen Erwachsene, die keinen Führerschein haben, 13 Millionen Kinder, die nicht Auto fahren können, und 13 Millionen Menschen, die in Armut leben. Das Auto ist also kein Verkehrsmittel für uns alle, es gibt eine relativ große Gruppe, die von diesem Verkehrsmittel ausgeschlossen ist.

Was meinst du mit „privilegiert“?

Das Auto hat für viele Menschen einen viel höheren Stellenwert als nur die reine Mobilität von A nach B. Es ist ein Statussymbol und ein Safe Space. Alle möglichen Dinge spielen ins Auto hinein und wir haben natürlich keinen ÖPNV, der diese individuellen Privilegien liefern könnte. Das Auto gehört dir allein und öffentlicher Verkehr ist automatisch Sharing mit anderen.

Aber sind nicht gerade auch weniger privilegierte Menschen manchmal aufs Auto angewiesen? Ich denke da jetzt besonders an Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen.

Ich habe kürzlich einen Podcast gehört: „What the fuck happened to Barrierefreiheit?“, in dem drei Menschen zu Gast waren. Einer von ihnen ist aufgrund seiner Behinderung oder Erkrankung auf ein Auto angewiesen und hat große Angst, dass er bei der Planung der Mobilität nicht berücksichtigt wird. Deshalb denke ich als Erstes an ihn und dass er weiterhin Auto fahren können sollte. Mobilität richtig denken, bedeutet von den Schwächsten aus denken.

Aber ich finde auch, dass Marcus, so hieß der Mann, eine großartige Einstellung zu dem Thema Mobilitätswende hat. Er sagt, dass man ihn nicht als Ausrede benutzen soll, um nichts zu tun. Er möchte auch autofreie Innenstädte und dass es hier besser wird. Aber er braucht eben ein Auto und es ist schade, dass er oft als Ausrede gegen eine Verkehrswende genannt wird, anstatt die Lösungen innerhalb einer Verkehrswende anzugehen.

Verkehrswende ist ein gutes Stichwort. Der Individualverkehr, Welche Rolle spielt für dich die Klimafrage beim Thema Auto?

Wir haben derzeit steigende Emissionen. Dennoch schaffen es die meisten Sektoren, Emissionen, um bis zu 45 Prozent zu senken. Ich hätte nie gedacht, dass Industrie und Landwirtschaft so erfolgreich bei dem Projekt der Dekarbonisierung sein würden.

Wenn du mich jetzt vor 15 Jahren gefragt hättest, welcher Sektor am schwierigsten zu bewältigen sei, hätte ich wahrscheinlich Landwirtschaft oder Industrie gesagt. Tatsächlich sind es aber Gebäude und Autos, von denen 60. Und das heißt, wir müssen da etwas ändern. Das Auto ist ein Klimakiller.

Aber ist dieses Problem nicht durch die neuen Elektroantriebe oder Wasserstofffahrzeuge gelöst?

Die Autos stehen ja nicht aus dem nichts vor unserer Haustür. Es werden enorm kostbare Rohstoffe benötigt, um das in ein Ding zu stecken, was nur rumsteht und am Tag dann mal 45 Minuten einen Menschen von A nach B bringt.

Und das macht mich auch so wütend.

Es reicht eben nicht, dass wir nur in Deutschland sagen, Hauptsache wir sind bei uns CO2-neutral. Nein, die ganze Kette muss betrachtet werden und die CO2-neutralen Antriebe brauchen Energie. Wir erzeugen gerade so viel erneuerbare Energie, wie allein nur die Produktion in der Chemieindustrie bräuchte. Erneuerbare Energie ist kostbar und rar. Und die sollten wir dann nicht in etwas stecken, was in erster Linie dem privaten Vergnügen dient und an Hobby grenzt. Wir brauchen die erneuerbare Energie für Produktionsprozesse und sollten das Auto auf ein Minimum reduzieren.

Wie würde denn eine Stadt ohne Autos aussehen? Wie stellst du dir das vor?

Die Mobilität bleibt erhalten. Sie ist nur nicht mehr im eigenen Besitz. Was wir aktuell tun, ist dem Auto immer mehr Platz zuzugestehen. Sogar Parkplätze werden bundesweit erweitert, weil die Autos immer größer werden. Das sind für die Menschen, die in der Stadt wohnen, verlorene Flächen. Aber in der Zukunft soll das eine Fläche sein mit zusätzlicher Begrünung, Bänken, Urban Gardening, Kinderspielen vor der eigenen Haustür.

Und das Nötigste ist durch Muskelmobilität erreichbar. Du siehst Menschen mit Rollator und Rollstuhl und es fahren bestimmt vereinzelt auch noch autonome Personenwagen, die so ähnlich aussehen wie früher der private PKW. Aber die sind in öffentlichem Besitz und sie fahren, weil sie einen Auftrag haben, weil sie etwas liefern, weil sie einen Handwerker oder eine Handwerkerin an Bord haben oder eine Person mit Behinderung.

Eine Stadt für den Menschen also.

Genau. Der Raum zwischen den Häusern gehört wieder den Menschen. So wurden unsere Städte eigentlich auch mal geplant und gebaut. Wir in Europa haben das Glück, dass die meisten Städte ein solches Konzept absolut hergeben. In Amerika haben sie ganz andere Probleme, weil sie von Anfang an Städte für Autos gebaut haben und dadurch irrsinnige Strecken zurücklegen müssen. In einer autofreien Stadt ist es ruhig und das Lauteste sind die Kinder. Man hört die Vögel, die ich momentan nur abends und morgens höre. Weil danach der Berufsverkehr losgeht, kehrt auch die Natur ein Stück weit zurück und es kann auch mehr soziale Sicherheit entstehen. Menschen begegnen sich wieder öfter, denn Autos vermeiden ja gerade Begegnungen mit Menschen, die wir nicht kennen. Und mit weniger sozialer Distanz machen uns vielleicht auch Menschen weniger Angst, die anders sind als wir.