Geschlechterklischees

Spring über deinen Schatten

11. Dez. 2019

Fußball ist Männersache und Tanzen nur was für Mädchen. Unsere Gesellschaft hat für die meisten Sportarten klare Rollenbilder vorgesehen – wer davon abweicht, passt nicht in das System. Doch was passiert, wenn jemand aus dem Raster fällt?

Schminke, Spagat, Strumpfhose – typisch Frau, oder? Eben nicht! Aber dass solche Geschlechterklischees im Sport lang nicht überwunden sind, hat mir eine Situation bei einem Gardetanzturnier gezeigt. „Warum tut man sich das als Junge an?“, kam von den Zuschauerrängen, als ein junger Mann mit Salto, Flic Flac und Rädern über die Bühne tanzte.

Linus Bornhäuser ist jemand, der sich genau das antut. Dabei stößt er nicht nur auf Anerkennung für seinen Deutschen Vize-Meistertitel im karnevalistischen Tanzsport.

„Manche Freunde von mir sagen, Tanzen ist ein Mädchensport und unterstellen mir, ich stehe auf Jungs.“

Linus Bornhäuser
Fußball ist Männersache, Tanzen ist nur für Frauen? Der Tänzer Linus Bornhäuser beweist das Gegenteil.
Beweglichkeit und Ästhetik werden oft automatisch mit Weiblichkeit verknüpft.
Jede Menge Kraft und Training stecken hinter einem Tanz.
Boxen ist Männersport? Von wegen! Geschlechterklischees gelten natürlich auch für Frauen. (Symbolbild)

Sollten wir im 21. Jahrhundert nicht lange über Vorurteile wie „Männer, die tanzen, sind schwul“ hinweg sein? Ja, sollten wir. Dass das aber noch lange nicht der Fall ist, liegt daran, dass bestimmte Rollenbilder tief in uns verwurzelt sind. Das beginnt laut Katrin Wladasch vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte schon im Kindesalter.

 „Wenn man sich in einem Spielzeuggeschäft umschaut, gibt es eine rosa Welt mit Tänzerinnen und eine blaue mit Fußballspielern.“

Katrin Wladasch

Als Kinder haben wir nicht nur Windeln getragen, sondern schon die ersten Bilder im Kopf. Mit diesen sind wir groß geworden. Sie beeinflussen uns so stark, dass sie auf ewig im Gehirn verankert sind. Zusätzlich halten Medien und unser soziales Umfeld Geschlechterklischees aufrecht, wie auch bei Linus. 

Laut Hendrik Thedinga vom Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen haben wir gesellschaftliche Erwartungen an die Männlichkeitsrolle. Die Ästhetik und die Verbindung mit dem Tanzen widersprechen diesem Bild. „Man hat in der Gesellschaft beigebracht bekommen, dass Tanzen eher eine Frauen- und Fußball eine Männerdomäne ist“, so der Vorurteilsforscher. Gegen diese Stereotypen vorzugehen, ist somit unfassbar schwer. Sie laufen zunächst unbewusst ab und werden meist von Mitmenschen übernommen, ohne sie selbst zu hinterfragen. Für Betroffene ist es immer noch eine enorme Herausforderung gegen dieses Schubladendenken anzukämpfen. Die Folgen der Stereotypisierung sind nicht selten Mobbing, Beschimpfungen und Diskriminierung. 

„Erst, wenn sich in der Gesellschaft etwas ändert, verschwinden auch die Vorurteile.“

Hendrik Thedinga

Doch bis sich in den Köpfen der Menschen Akzeptanz durchgesetzt hat, werden noch viele freche Bemerkungen von Tribünen fallen. Nicht etwa Linus muss sich ändern, sondern die Einstellungen der Gesellschaft. „Die meisten verstehen nicht, was ich wirklich mache. Das ist schade, aber ich lasse mich nicht unterkriegen“, meint der junge Tänzer. Es steht niemanden zu, über das Leben Anderer zu urteilen - sei es ein Junge, der seine Leidenschaft im Tanz auslebt, oder ein Mädchen, das für ihr Leben gerne boxt. Deshalb: Zieht keine voreiligen Schlüsse. Lernt den Menschen hinter dem Stereotyp kennen. Springt über euren eigenen Schatten.