Mehr als Nichtstun

No Challenge Challenge

Der Zenkreis symbolisiert das Universum und die Leere.
05. Dez. 2019

Augen zu, durchatmen, nichts tun – wir haben uns der Herausforderung gestellt, eine Woche lang jeden Tag für 20 Minuten mit unseren Gedanken alleine zu sein. Warum Faulenzen eine Todsünde ist und wie Meditation langfristig den Alltag erleichtern kann.

Mein rechtes Auge juckt. Jetzt das linke. Und meine Knie tun weh. Atme ich richtig? Atme ich überhaupt noch? Draußen plärren zwei Bauarbeiter, das Belüftungssystem in diesem Raum dröhnt in mein rechtes Ohr. Morgen muss ich Wäsche waschen, später noch zur Post, da liegen zwei Päckchen von mir, die hätte ich mir nie ins Wohnheim schicken lassen sollen. Du musst Menschen mehr vertrauen. Für nachher noch diesen Gedanken aufschreiben. Unbedingt festhalten, was ich gerade denke, das ist super wichtig, weil super spannend. Besonders dieser hier. Wie lange eigentlich noch?

Nichtstun und das bewusst

Meditation. Die Kunst für einen gewissen Zeitraum mit sich und seinen Gedanken allein zu sein, das ultimative Nichtstun zwischen Arbeit und Alltag. Inmitten all des Stresses – dem provozierten und dem aufgezwungenen – kommt man von Zuhause zur Arbeit, von der Arbeit zur Uni, von der Uni nach Hause; die Müdigkeit macht sich bemerkbar, aber der Computer blinkt schon vorwurfsvoll aus der Ecke. Für viele ist es nichts Neues, dass das Schnelllebige eines Tages in einem den Wunsch erweckt, er hätte 48 Stunden. Was also tun, wenn wir uns ausruhen wollen? Für viele ganz einfach: Netflix, Podcast, Sport und nebenbei am Handy. Doch so richtig Nichtstun ist das auch nicht. Warum fällt es uns so schwer, im wahrsten Sinne des Wortes mal abzuschalten?

Dass Faulenzen eine Todsünde ist, lernen wir aus der Bibel. Nach Luther ist jeder Christ zu einer Tätigkeit von Gott berufen: dem Beruf. Wer diesen Beruf nicht ausübt, führt kein gottgefälliges Leben. Rumsitzen und nichts zu tun scheint also nicht in unserer Natur zu liegen – wir könnten die Zeit effektiver nutzen. Kommen wir dann in den Genuss, vermeidlich nichts tun zu können, lenken wir uns ab, um mit unseren Gedanken nicht allein sein zu müssen. Wir versuchen den Kopf frei zu bekommen, indem wir ihn mit neuen Informationen füllen. Paradox. Und im Anschluss erhoffen wir uns eine gesteigerte Leistungsfähigkeit, um nicht umsonst nichts getan zu haben. Doch was kann es uns bringen, wenn wir uns auf uns konzentrieren? Könnten wir die Zeit, in der wir faulenzen, nicht besser nutzen, anstatt unproduktiv zu sein? Könnten wir das Unproduktivsein zu unserem Vorteil machen?

"Wären meine Gedanken nicht so laut, könnte das hier viel entspannter sein."

Leonie

Wir meditieren eine Woche lang jeden Tag für 20 Minuten. Die Herausforderung dabei: Handy aus, Musik aus, Fernseher ausmachen. Wir lauschen der Umgebung, konzentrieren uns auf unsere Atmung. Nach zwei Minuten fängt es an zur Qual zu werden. Die Beschallung durch seinen eigenen Geist kann viel anstrengender sein als laute Musik. Man muss sich selbst schon ziemlich gut leiden können, wenn man keine anderen Gesprächspartner als seine eigenen Gedanken hat.

Sich vorzunehmen zu meditieren ist genauso herausfordernd wie regelmäßig Sport zu machen. Doch der Lohn ist der gleiche: Stolz, dass man es durchgehalten hat. Sind es nun die drei Kilometer durch den Wald oder eine Zeit lang mit sich selbst debattieren. Die Herausforderung liegt nicht darin, die Zeit zu finden, sondern sich die Zeit zu nehmen. Meditation kann schnell langweilig werden und dann wartet man darauf, dass der Handy-Wecker einen endlich erlöst. Sich am nächsten Tag nochmal aufzuraffen und hinzuhocken wird dann besonders schwierig. Vor allem, wenn dauernd die Frage aufkommt, was das eigentlich bringen soll.

Der nichtstuende Vieltuer

Martin ist Arzt, hat eine eigene Firma und „arbeitet nebenher tatsächlich noch in einer Unternehmensberatung“. Einen Alltag gibt es bei ihm nicht. Das liegt schon am Schichtdienst. „Es kann sein, dass ich vom 24-Stunden-Dienst komme, im Flieger sitze, zum Seminar nach Hamburg fliege, dann da zwei Tage bin, zurückfliege und wieder in den Nachtdienst gehe.“ Sein Leben wirkt hektisch – und doch scheint Martin die Ruhe wegzuhaben. Einer, der ganz nebenher ehrenamtlich nach Bosnien fährt und Medikamente an Flüchtlinge verteilt. Ob er gestresst sei, wollten wir wissen: „Nein“. Herausforderungen hingegen steht Martin oft gegenüber, besonders im Klinikalltag. Wie schafft er es, auch in scheinbar stressigen Situationen einen klaren Kopf zu bewahren? „Ich stehe um 6:00 Uhr auf und gehe im Prinzip direkt vom Bett aufs Bänkchen.“ Damit meint Martin eine kleine Bank, auf der er kniet und meditiert. Zuvor macht er Sportübungen, um auch seinen Körper zu fordern. Dieses Körper-Geist-Training hat er vor einigen Jahren zufällig für sich entdeckt. Das Prinzip dahinter ist simpel: mit Hilfe von Meditation, Sport und Energieübungen zu sich selbst zu finden, sein Potenzial erkennen, es ausschöpfen und somit ausgeglichener im Alltag sein. Gerade die Mediation hilft langfristig, Entscheidungen bewusster zu treffen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

"Wenn du im Stau stehst und Gefahr läufst, deinen Flug zu verpassen, kannst du dich auch auf die Motorhaube stellen und einen Rückwärtssalto machen, ändern kannst du es nicht."

Martin

Diese Einstellung möchte Martin gerne weitergeben. Mit seiner Firma „Der Weg“ bietet er Seminare für Unternehmen und Leistungssportler an. Sein Meditationsangebot an der HdM findet ihr HIER.

Martins Tipps für Anfänger: Jetzt starten. Als Student habe man genug Zeit, die Mediation in den Alltag zu integrieren. Außerdem gilt: Regelmäßigkeit vor Intensität. Eine richtige Haltung ist auch von Vorteil. Besonders das Knien hat sich in 2000 Jahren als effektiv bewiesen.

Das ist die richtige Meditationshaltung - einfach sitzen.
Eine Meditationsbank hilft bei einer angehmen Sitzhaltung - ein einfaches Kissen reicht für den Anfang.
Die Knie sollten unterhalb der Hüfte platziert sein .
Die Hände werden in der Körpermitte gefaltet - Tipp: Hände in den Hosenbund stecken.
Die Qigong Übung "das Pferd" aktiviert den Energiefluss im Körper - nach jeder Runde fünf Minuten halten.

Unser Fazit: Die größte Herausforderung, mit dem Meditieren anzufangen, wird sein, dass man kein direktes Ergebnis erzielt. Meditation entfaltet seine Wirkung mit der Zeit. Irgendwann wird auch im Alltag deutlich, dass man ausgeglichener und entspannter ist. Das kann jedoch dauern. Schnell kommt der Gedanke auf, Meditation brächte einem nichts. Doch genau darin liegt seine Effektivität. Das Nichts während des Meditierens wird im Zen als erstrebenswert erachtet. Und dadurch, weil es einem nichts bringt, bringt es im Grunde alles.

Probiert es selbst: