Nachtwanderer Filderstadt

Nachts, wenn (fast) alles schläft

An den roten Jacken erkennt man die Nachtwanderer schon von weitem.
20. Jan. 2018

Während andere spätabends auf dem Sofa sitzen, gehen sie raus: Die Nachtwanderer von Filderstadt tauschen ihren ruhigen Freitagabend gegen frische Luft und Bewegung. Erkennbar an den roten Jacken bieten sie Jugendlichen als unvoreingenommene Gesprächspartner ein offenes Ohr für Probleme.

Normalerweise würden sie sich im Bürgerbüro treffen, dort eine Lagebesprechung machen und aufteilen, wer in welchen Stadtteil Filderstadts aufbricht. Aber nicht heute Abend. Heute Abend veranstalten sie ein Grillfest auf dem Festplatz in Bonlanden. Er ist einer der Brennpunkte, an dem die Nachtwanderer Jugendliche treffen, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Als ich dort ankomme, sehe ich schon von Weitem einige Jugendliche an dem umgebauten Bauwagen sitzen, der als Wetterschutz dient. Auch die Nachtwanderer erkenne ich aus der Ferne. Während sie in anderen Städten in dunkelblauen Jacken unterwegs sind, tragen sie in Filderstadt rot. „Wir haben uns für Rot entschieden“, sagt Udo Lamczak, „weil man das im Dunkeln besser sieht, und wir sonst im Bus mit Kontrolleuren verwechselt werden.“ Udo Lamczak ist einer der Nachtwanderer, die schon seit Beginn des Projektes 2011 dabei sind.

Einen besonderen Anlass zur Gründung der Nachtwanderer habe es nicht gegeben, sagt Jutta Grillhiesl. Sie hat gemeinsam mit Hajo Zimmermann, einem der Filderstädter Streetworker, und Holger Stern, vom Jugendhaus Z, das Projekt angestoßen. „Wir wollen mit den Jugendlichen reden und zeigen, dass sie uns wichtig sind und nicht allein gelassen werden.“ An diesem Abend lerne ich fünf der insgesamt etwa zwölf Nachtwanderer kennen. Meine Frage, ob sie manchmal Angst habe, wenn sie die Jugendlichen nachts trifft, verneint Jutta. „Wenn wir die Leute auf der Straße treffen, werden wir sehr höflich behandelt und immer gesiezt.“

Heute wird gegrillt

Aber heute Abend bei Wurst und Bier sind alle beim Du. Das Grillfest findet statt, damit die Flüchtlinge, die in die Wohncontainer am Festplatz einziehen, die Jugendlichen in einer entspannten Atmosphäre kennenlernen. „Uns ist wichtig, dass beide Seiten sich langsam aneinander herantasten können“, sagt Hajo Zimmermann.

Die Würste kommen gut an, und die Stimmung an diesem Abend ist sehr entspannt. „Das ist natürlich nicht immer so“, erklärt Hajo, „aber dann wären wir ja auch überflüssig.“ Das Ziel der Nachtwanderer ist es, durch ihre Präsenz an den Brennpunkten der Stadt das soziale Klima zu verbessern und Aggressionen und Vandalismus zu verhindern.

Der Grill raucht und die Musik wird im Laufe des Abends lauter. Immer mehr Jugendliche, aber auch Ältere sind da. Sie erzählen: „Wir sind die erste Generation. Klar gibt es noch andere, aber die treffen sich an anderen Plätzen. Wir sind hier aufgewachsen, haben miterlebt, wie aus der alten Holz-Pipe der Skateplatz wurde. Wir kommen eben auch jetzt noch her, um uns zu treffen. Hier ist einfach ein entspannter Platz zum Sitzen und Quatschen.“

Zu Beginn des Abends wird heute mal besprochen, ob zuerst die Würste oder das Fleisch auf den Grill kommen. Von links nach rechts: Hajo, Jule, Udo und Jutta.
Im Gespräch mit Jugendlichen werden die Präferenzen von Senf oder Ketchup geklärt.
Alle an den Grill, holt euch was zu essen! Im Hintergrund sieht man die neue Flüchtlingsunterkunft.
Hündin Shiva kommt bei so viel Zuneigung voll auf ihre Kosten.
Bei schlechtem Wetter dient der umgebaute Bauwagen als Wetterschutz, bei Gutem wie heute als Bar.
Auch im Sommer geht langsam die Sonne unter und die Getränke werden stärker.

Dass die Jugendlichen sich heute an anderen Orten treffen, ist auch den Nachtwanderern aufgefallen. Jutta berichtet: „In manchen Nächten passiert an jeder Ecke was, aber insgesamt ist es weniger geworden. An den klassischen Brennpunkten ist oft kaum noch was los.“

Auf die Nachfrage, wo die Jugendlichen sich dann jetzt treffen, weiß auch sie keine Antwort, außerdem stellt sie fest: „Die Beschwerden über die Jugendlichen sind weniger geworden.“ Anwohner regten sich zwar noch über Lärm und Müll auf, aber sie seien weder Hilfspolizei noch Sicherheitsdienst. „Die vernünftigen Kids verstehen schon, dass sie es selbst in der Hand haben, ob sie sich benehmen und dann ihre Ruhe haben, oder nicht, aber dann die Polizei vorbeikommt“, sagt Jutta.

Quatschen, chillen, trinken

Von den Leuten am Grill erfahre ich: „Wir wollen nur in Ruhe hier chillen und was trinken. Keiner will Stress haben.“ Die Nachtwanderer kommen im Gegensatz zur Polizei gut an: „Ja ist echt ganz cool, wenn die vorbeikommen. Die fragen immer, ob’s uns gut geht und alles okay ist, das ist echt entspannt.“

Das erlebe auch ich. Die Nachtwanderer sind da, aber nicht aufdringlich. Sie stehen am Rand der Gruppe und beobachten das Geschehen. Margarete Sachs, genau wie Udo eine Nachtwanderin der ersten Stunde, erklärt mir: „An einem normalen Abend, wenn wir wandern und auf die Jugendlichen zugehen, stellen wir uns erst persönlich und dann das Projekt vor und verteilen kleine Infokarten, die wir immer dabei haben.“

„Am Anfang kommt oft die Frage, warum wir das machen, ob wir damit was verdienen. Wenn wir dann sagen, dass wir freiwillig da sind und kein Geld kriegen, sind sie direkt beeindruckt.“ Dass auch Hunde als Eisbrecher unschlagbar sind, erlebe ich mit. „Oh, der ist ja süß“, quietscht eins der Mädchen, als Shiva, der Hund einer Nachtwanderin auf den Platz läuft.

„Wir werden sogar vermisst“

Über die Jahre hinweg hat sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Nachtwanderern und den Jugendlichen aufgebaut. „Es kommen schon mal Nachfragen, wo denn die andere von uns heute ist, die war doch letzte Woche da.“

Die Welt retten, sagt Jutta, wird sie mit ihrem Engagement freitagabends wohl nicht, aber das sei auch gar nicht das Ziel der Nachtwanderer. „Uns genügt es schon, wenn die Jugendlichen sich mal ernst genommen fühlen.“