Gleichberechtigung 8 Minuten

Musikerin: Brotlose Kunst

Musikerin auf Bühne mit ausgebreiteten Armen
Auf dem „MELT“-Festival stehen überdurchschnittlich oft Künstlerinnen auf der Bühne. | Quelle: Tony Rzehak
05. Febr. 2024

Ob im Radio, per Streaming oder doch lieber live auf einem Konzert - Musik können wir heute immer und überall hören. Wirft man aber einmal einen Blick auf die Charts, Playlists und auf die Festivalbühnen, fällt eines sofort auf: Frauen sind kaum vertreten. Warum ist das so und was wird dagegen getan?

“This is a man’s world, but it would be nothing [...] without a woman”– so sang bereits 1966 der weltberühmte James Brown. Die Errungenschaften des Menschen stammten laut dem Song von Männern. Der Mann habe alles geschaffen. Er verdiene das Geld, um von anderen Männern zu kaufen. Doch ohne die Frau wäre der Mann verloren und die Welt somit ebenfalls. Trotz des unverhohlen sexistischen Textes fand Brown damit internationalen Anklang und hielt sich wochenlang in den Charts.  

Im Vergleich zu diesem Erfolg ist wenig bekannt, dass der Song nicht allein von Brown, sondern auch von seiner damaligen Freundin Betty Jean Newsome erdacht wurde. Erst nach einer Klage wurde sie ab 1967 als Co-Autorin aufgeführt und an den Gewinnen beteiligt. 

Sexismus ist tief in der Branche verwurzelt

Auch wenn es sich dabei lediglich um eine alte Anekdote handelt, steht sie bis heute bildhaft für die Stellung der Frau in der Musikindustrie. Egal, ob in den Charts, Festival-Line-Ups oder Musikpreisen. Wer sich mit den Statistiken beschäftigt, bemerkt schnell, dass es bis zur Geschlechtergleichheit noch ein weiter Weg ist. So zeigte beispielsweise die Studie „Inclusion in the Recording Studio?“ der amerikanischen Journalismus-Schule USC Annenberg die fehlende Repräsentation von Frauen in den jährlichen Billboard Hot 100 Charts von 2012 bis 2022. In diesem Zeitraum seien nur 13 Prozent der erfolgreichsten Songs von Frauen geschrieben worden. Weniger als drei Prozent seien dabei von Frauen produziert worden. Auch bei den Grammys waren in den letzten zehn Jahren unter den 2.441 nominierten Personen nur 340 Frauen.

Doch auch hierzulande lässt sich Ähnliches feststellen. Die MaLisa-Stiftung setzt sich für Gleichberechtigung in der Gesellschaft ein. Eine Recherche zur Geschlechterverteilung bei deutschen Musikpreisen nahm zu diesem Zweck einige der größten Auszeichnungen Deutschlands unter die Lupe. Von 2016 bis 2019 schwankte die durchschnittliche Anzahl der Preisträgerinnen zwischen 14 und 21 Prozent – ein Trend ist anhand dieser Ergebnisse aber nicht zu erkennen. Doch nicht nur unter den Preisträger*innen, sondern auch in der Jury finde man meistens mehr Männer als Frauen. Den größten Anteil an weiblichen Jurymitgliedern könne der Musikautorenpreis der GEMA mit etwas über einem Drittel verzeichnen. Der Musikpreis des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV) sei während des gesamten Zeitraums ausschließlich durch Männer vergeben worden. Das Fazit der Stiftung: Diese Ungleichverteilung auf beiden Seiten des Jurytisches trägt dazu bei, dass Frauen in der Branche auch weiterhin den Kürzeren ziehen.

Unsere Redakteurinnen Clarissa und Jennifer haben sich in einer Folge des "edit. erklärt" Podcasts eingehend mit dem Thema befasst.

Ein Blick in die Vergangenheit

Um zu verstehen, wo das seinen Ursprung haben könnte, hilft es einen Blick in die Musikgeschichte zu werfen. Schon im alten Griechenland sollen Frauen musiziert haben. „Erst mit der langsamen Herausbildung eines bürgerlichen Musiklebens im 18. Jahrhundert traten Frauen dann wirklich an die Öffentlichkeit“, sagt Musikwissenschaftlerin Beatrix Borchard. Die Ausübung von Musik sei sogar speziell ein Teil der Mädchenbildung gewesen. Es ging dabei aber nicht um eine professionelle Ausbildung, sondern viel mehr um das Erlernen von Tugenden wie Takt und Ordnung, so Borchard.

Dies hinge mit der Rolle der Frau zu dieser Zeit zusammen. Während Männer berufstätig waren, mussten Frauen die Hausarbeit übernehmen. „Kochen, putzen, waschen – das war früher etwas aufwendiger als heute, wo man seine Klamotten einfach in die Waschmaschine werfen kann“, sagt Borchard. Zeit für Musik oder Karriere bliebe da nicht. Es gab aber auch Frauen, welchen es gelang, Familie und Musik miteinander zu vereinbaren. „Zum Beispiel Clara Schumann, die war eine Art 'Rolemodel'“, sagt Borchard. Sie habe es trotz ihrer acht Kinder geschafft, als Musikerin erfolgreich zu sein. Allerdings habe Schumann auch über Personal verfügt, welches ihr Haushaltsaufgaben abnahm.

Clara Schumann (gebürtig Clara Wieck) war eine deutsche Pianistin und Komponistin. Sie wurde 1819 in Leipzig geboren und stammt aus einer Musikerfamilie. Das Klavierspielen lernte sie im Privatunterricht, unter anderem von ihrem Vater. Schon früh galt sie als musikalisches „Wunderkind“. Ihren Mann, den Komponisten Robert Schumann, lernte sie kennen, als dieser Klavierunterricht bei ihrem Vater nahm. Trotz der Heirat und der Kinder gab sie die Musik nicht auf. Sie und ihr Mann komponierten gemeinsam Werke, welche sie auf Konzerten in ganz Europa spielte. Obwohl Clara Schumann zu ihrer Zeit sehr erfolgreich und damit mitverantwortlich für den Ruhm ihres Mannes war, kennt man sie heute vor allem als Frau von Robert Schumann.

Quelle: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung, alle-noten.de Magazin

Ein weiteres Problem für Frauen sei der Zugang zu Musikunterricht gewesen. Gerade Kompositionsklassen waren lange nur für Männer zugänglich, so Borchard. Das habe sich erst langsam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geändert. Dann bekamen auch Frauen die Chance auf regelmäßigen Kompositionsunterricht. In der Zeit der Nationalsozialisten folgte allerdings wieder ein Rückschritt. Unter Hitler wurde der Zugang zu Universitäten und Hochschulen für Frauen stark beschränkt, insbesondere für jüdische Frauen. „Diesen Kulturbruch aufzuholen, hat ziemlich lange gedauert“, sagt Borchard. Erst mit der Frauenbewegung in den 70er-Jahren habe sich die Situation für Frauen in der klassischen Musik, wenn auch nur sehr langsam, wieder gebessert. 

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Gesetze und Vorschriften sollen die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Deutschland sicherstellen. | Quelle: Tom Geyer

Heute sind Frauen und Männer zumindest theoretisch gleichberechtigt. Doch Studien, wie die der MaLisa-Stiftung, zeigen, dass Frauen in der Musikbranche stark unterrepräsentiert sind. „Das ist nicht auf einen Nenner zurückzuführen“, erklärt Borchard. Ihrer Meinung nach wird dies durch viele Faktoren bedingt, die klassischen Geschlechterrollen seien aber definitiv ein Teil davon. Es gebe mittlerweile aber ein größeres Bewusstsein für diese Geschlechterfragen, meint Borchard.

Ungleichheit auf der Bühne

Diese Geschlechterfragen finden sich inzwischen auch hinter den Kulissen der deutschen Festivals wieder. Diese wurden ebenfalls im Zuge der MaLisa-Studie unter die Lupe genommen: Den größten Frauenanteil aller untersuchten Festivals hat das “MELT”-Festival mit 38 Prozent in 2022. Johanna Hense, Projektleiterin der Festivals „MELT“, „splash!“, und „FULL FORCE“, erzählt, wie sie schon bei der Planung darauf achten, immer mehr weibliche Acts auf die Bühnen zu bringen: „Mittlerweile haben wir Kriterien entwickelt, um uns die Anteile im Booking sowie die Buchung der Bühnen sichtbar zu machen und sicherzustellen, dass eine diverse Besetzung vorhanden ist“. 

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Langsam aber sicher steigt der Anteil weiblicher Acts auf Festivals | Quelle: Timo Maier, Elias Laurin Lücking

Das Ziel, ein möglichst ausgeglichenes Line-Up auf die Beine zu stellen, setzen sich auch andere Festivals. Die FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH - Veranstalter der Festivals „Southside“, „Highfield“ und „Deichbrand“ - schreibt auf Anfrage: „Unser erklärtes Ziel ist es, auf all unseren Festivals ein möglichst diverses Line-up in den jeweils relevanten Genres zu bieten“. Schaut man auf die Zahlen, sieht das aber ein wenig anders aus. Denn laut der Stuttgarter Zeitung lag der “reine Frauenanteil” auf den Bühnen der “Southside”- und “Hurricane”-Festivals 2023 bei gerade einmal 15 Prozent.

"Bei einem „MELT“ ist das einfacher, weil wir zum einen breiter aufgestellt sind, [...] zum anderen ist die Offenheit und die Chance, die weiblichen Acts in diesem Bereich geboten wird, einfach anders als im Hip-Hop- oder Metal-Bereich"

Johanna Hense, Projektleiterin der Festivals „MELT“, „Splash!“ und „Full Force“

Johanna Hense betont jedoch, dass ein ausgeglichenes Line-up aufgrund der Komplexität des Bookingverfahrens nicht immer umsetzbar sei. Je nach Genre sei es für manche Festivals zudem einfach leichter, ein wirklich ausgeglichenes Line-up auf die Beine zu stellen. „Bei einem „MELT“ ist das einfacher, weil wir zum einen breiter aufgestellt sind als beim „splash!“, was die Genres angeht“, erklärt Hense, „zum anderen ist die Offenheit und die Chance, die weiblichen Acts in diesem Bereich geboten wird, einfach anders als im Hip-Hop- oder Metal-Bereich“. 

Es gibt noch viel zu tun

Die Ungleichheit zwischen männlichen und weiblichen Musiker*innen aufzubrechen, gestaltet sich als Herausforderung für die Musikindustrie. Trotz gesetzlicher Gleichberechtigung sind Frauen in den Charts, bei Musikpreisen und auf Festivalbühnen noch immer stark unterrepräsentiert. Grund dafür sind unter anderem geschichtliche Aspekte und stereotypische Geschlechterrollen. Es gibt zunehmend Versuche, aktiv die Sichtbarkeit und Anerkennung von Frauen in der Musikindustrie zu fördern. Denn trotz eines scheinbar gestiegenen Bewusstseins für Geschlechterfragen, gibt es noch viel zu tun, um die Musikszene tatsächlich divers zu gestalten. 

Dieser Beitrag ist ein Teil des Dossier-Themas "Frauen in der Musikindustrie". Wenn ihr noch mehr über Geschlechtergleichheit auf Streamingplattformen erfahren wollt, könnt ihr gerne den Kommentar "Spielen Frauen die zweite Geige?" von unserem Redakteur Christian lesen.