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Hat Deutschland ein Moshpit-Problem?

Menschenmenge auf Festival
Die Menge wartet auf den Beatdrop, dann springen alle gleichzeitig in den Kreis. | Quelle: Instagram via @goodguypaez
11. Dez. 2023

Alkohol, Emotionen und laute Musik: Bei Konzerten und Festivals gehört alles dazu. Und der Höhepunkt: Ein Moshpit mit mehreren Menschen, die aufeinander springen. Aber warum wird gerade so viel gemoshed und worauf muss man in der Menschenmenge achten?

Was ist ein Moshpit und wo liegt der Ursprung?

Der „Moshpit“ entstand aus dem englischen Kunstwort „mosh“ (starke Emotionen oder Chaos) und dem Wort „pit“ (Grube, Kessel oder Hölle). Ursprünglich in der Metal-, Hardcore- und Punk-Szene verwurzelt, entwickelte sich der Tanzstil als rebellische Alternative zu herkömmlichem Diskotanz. Punks prägten in den 70ern den Pogo-Tanz, der als Vorläufer des Moshpits gilt. 

Ab den 1980ern wurde der Begriff dann von New Yorker Thrash-Metal-Bands geprägt und Moshpits entwickelten sich zu dem bekannten Phänomen: Ein Kreis bildet sich vor der Bühne, das Publikum springt synchron bei einem bestimmten Beatdrop hinein, begleitet von Gedränge und Schubsereien. Mit dem Aufkommen elektronischer Tanzmusik fanden Moshpits auch Einzug auf Elektro-Festivals. Bis heute sind sie aus der Elektro und vor allem auch in der Hip-Hop-Szene nicht mehr wegzudenken.

Der Begriff „Beatdrop" bezieht sich auf den markanten Moment in einem Musikstück, in dem der Beat plötzlich intensiver oder stärker wird. Es ist oft ein Höhepunkt, der von Fans genutzt wird, um zum Beispiel einen Moshpit zu starten.

Die Meisten, die schon mal auf einem Hip-Hop Konzert waren, kennen wahrscheinlich folgende Situation: Der Auftritt ist im vollen Gange, die Stimmung der Menge ist aufgeheizt und der*die Künstler*in möchte den „größten Kreis aller Zeiten“ sehen. Die Menge bebt und irgendwo in der Menge entsteht durch drängelnde Arme ein Kreis, der in ein paar Sekunden wieder durch springende und schubsende Menschen gefüllt wird. Für manche Menschen ist das ein Moment voller Energie und Freude, den sie mit der Menge teilen. Andere sind eventuell genervt, da es an dem Abend schon der fünfte Moshpit ist. Genau wie Lena aus Stuttgart, sie liebt Hip-Hop-Konzerte und geht im Sommer gerne auf Festivals, genau dort wo Moshpits nicht mehr wegzudenken sind. Aber auch sie ist immer mehr von den vielen Moshpits genervt. „Wenn man einmal nicht sofort reagiert, sobald der Kreis aufgemacht wird, steht man mittendrin und bekommt nach ein paar Sekunden jegliche Körperteile von Fremden an seinen Körper gedrückt.“

Die digitale Moshpit-Diskussion 

In den sozialen Medien liest und hört man immer öfter, dass Deutschland ein sogenanntes „Moshpit-Problem“ hat. Die Konzertbesucher*innen wüssten meist nicht, wann ein Moshpit angebracht ist und wie man sich am besten dabei verhält, wie der Schweizer Content-Creator Adrian Vogt alias „Aditotoro“ in einem seiner Unterhaltungsvideos leicht ironisch kundtut. „Momentan herrscht eine Art Moshpit-Inflation. Grund dafür sind TikTok und Instagram, alle wollen Videos machen und zu jedem Song gibt es ein Moshpit. Somit verlieren Moshpits an Wert.“ Unter den tausenden Kommentaren bilden sich zwei Meinungen: Die einen stimmen ihm zu und sind genervt, dass Moshpits vor allem zu Liedern gestartet werden, zu denen es nicht passen würde: „Er hat so recht!“, „Leute machen bei Cro einen Moshpit“, und die anderen sagen, dass es außerhalb der Metal-Szene überhaupt nichts zu suchen hätte, wie ein User schreibt: „Unpopular opinion: Moshpits bitte nur bei Rock, Metal etc.“ 

„Es ist wie eine friedliche Prügelei (…).“

Jakob Schönpflug (Jakey)

Jakey, der bürgerlich Jakob heißt, ist ein aufstrebender Künstler aus Berlin. Seit ungefähr vier Jahren ist er in der Musikszene aktiv und spielt mittlerweile eigene Konzerte. Laut ihm liegt die extreme Vermehrung der Moshpits größtenteils auch an den Musiker*innen selbst. Es sei eine Art von Wettbewerb geworden, wer mehr und krassere Moshpits in seinem Publikum hat. "Speziell im Hip-Hop ist es deutlich schlimmer als in allen anderen Bereichen", findet der Musiker. Den Grundgedanken von den Künstler*innen und auch den Konzertgänger*innen könne er aber verstehen: "Es gibt eben Songs, die sind einfach dafür geschrieben, um seine Energie herauszulassen." Da sei so ein Moshpit in der Menge eines Konzertes die perfekte Gelegenheit. 

Der Kreis für den Moshpit wird aufgemacht.
Durch drängende Arme entsteht mitten in der Crowd ein leerer Kreis. | Quelle: Instagram via @saybyetoit
Jetzt heißt es auf den Beatdrop warten. | Quelle: Instagram via @saybyetoit
Der Moment der Extase. Mehrere fremde Körper brasseln gegeneinander. | Quelle: Instagram via @saybyetoit

Das richtige Gespür macht den Unterschied 

Jakey, sagt aber auch, dass man ein Gespür dafür haben sollte, wann ein Moshpit angebracht sei und wann nicht. „Ich singe gerade über meine Depression und ihr fangt hier an zu moshen? Hört mir doch vielleicht einfach mal zu. Es geht hier nicht nur um euch. Ich versuche gerade, euch meine Gefühle mitzuteilen."

Dass man das richtige Gespür dafür haben sollte, wann und in welchem Publikum Moshpits angebracht sind, sieht auch Lena. Sie hat zwar Verständnis für das ekstatische Geschehen, findet es nach dem dritten Moshpit am selben Abend irgendwann aber einfach nur nervig. „Es geht nur noch darum, sich zu beweisen. Egal ob es zur Situation oder zum Lied jetzt passt oder nicht.“ Die 22-Jährige habe auf vergangenen Konzerten auch immer wieder mitbekommen, dass Menschen ihre Wertsachen wie Brillen oder Geldbeutel während der Moshpits verlieren. Da ist Schnelligkeit und Zusammenhalt gefragt: „Man ist dann auf die Hilfe von den Leuten drumherum angewiesen, die Sachen schnell wiederzufinden, bevor sie zertrampelt werden."

Wie verhalte ich mich richtig in einem Moshpit? 

Durch das Schubsen in der Menge können, wie Lena erzählte, auch materielle Dinge wie Wertsachen schnell verloren gehen. Achte hier darauf, dass sie sicher aufbewahrt sind. 

Aber noch wichtiger sind Deine Mitmenschen: Niemand sollte gegen seinen Willen in den Moshpit gezogen werden. 

Vor allem bei schwächeren Teilnehmer*innen ist es besonders wichtig darauf zu schauen, wie es demjenigen geht und, ob sie überhaupt in dieser Situation sein möchten. 

Deine eigene Sicherheit steht natürlich trotzdem an erster Stelle: Wenn es zu intensiv wird oder du dich unwohl fühlst, verlasse den Moshpit und suche einen sicheren Bereich. 

Problem oder Hype?

Abschließend lässt sich feststellen, dass Moshpits in Deutschland einen regelrechten Hype erleben, insbesondere in der Hip-Hop-Szene. Hier sind sie mittlerweile zu einem unverzichtbaren Bestandteil von fast jedem Konzert geworden. Doch es hagelt ebenso Kritik: Es wird befürchtet, dass der inflationäre Umgang mit den Moshpits dazu führen könnte, dass sie ihren Charakter und ihre Ursprünge verlieren. Eine Entwicklung, die besonders bei eingefleischten Metal-Fans eine negative Reaktion auslöst.

Zu einem Problem wird es dann, wenn Menschen sich vermehrt unwohl fühlen oder unabsichtlich Verletzungen davontragen. Besonders dann sind klare Verhaltensregeln und vor allem gegenseitigen Respekt nötig. Damit jede*r Konzertbesucher*in weiß, wie er oder sie sich am besten in der Situation verhalten sollte. Nur dann kann der Moshpit eine positive Erfahrung für jedes Konzert bleiben, ohne dass sich jemand unwohl fühlt oder sich verletzt.