„Kreatin ist kein Wundermittel.“
Kreatin – Booster oder Blender?
Stell dir vor, in deinem Körper läuft ständig ein stiller Energiespender mit. Kreatin ist genau das. Der Stoff kommt im menschlichen Körper natürlich vor und kann aus zwei Quellen bezogen werden: zum einen über die Ernährung, primär über Fleisch und Fisch. Zum anderen produziert unser Körper selbst Kreatin – hauptsächlich in der Leber, aber auch in den Nieren und der Bauchspeicheldrüse.
Dieser Energiespender wird wichtig, wenn Bewegung intensiver wird. Für jeden Schlag, jeden Sprint und jede Wiederholung im Gym braucht der Körper Energie – und die stammt in erster Linie aus Adenosintriphosphat, kurz ATP. Dieses Molekül wirkt wie der universelle Treibstoff der Körperzellen: Spaltet es eine seiner drei Phosphatgruppen ab, entsteht Energie. Übrig bleibt Adenosindiphosphat (ADP), das selbst keinen weiteren Energieschub liefern kann.
Das eigentliche Problem: Obwohl ATP in jeder Zelle des Körpers vorhanden ist, ist der ATP-Speicher winzig. Bei maximaler Anstrengung reicht er für etwa zwei Sekunden. Danach steht der Körper ohne Treibstoff da und hat nur noch ADP in den Zellen.
Genau hier kommt Kreatin ins Spiel. Man kann es sich wie eine Zusatzbatterie vorstellen. Der Körper belädt Kreatin über ein Enzym mit einer Phosphatgruppe, wodurch Kreatinphosphat entsteht. Dieses wiederum kann sein Phosphat direkt an das verbrauchte ADP abgeben und es damit wieder zu energiereichem ATP aufladen. Dadurch verlängert sich die Phase maximaler Leistungsfähigkeit von rund zwei auf bis zu zwölf Sekunden.
Mehr Kraft und schnell wieder einsatzbereit
Kreatin ist vor allem in Kombination mit Krafttraining sehr effizient. Das liegt daran, dass Kreatin die Energiespeicher der Muskeln schneller auflädt, wodurch sie bei maximaler Belastung länger durchhalten. Die zusätzliche Kraft ermöglicht stärkere Trainingsreize – und genau die lassen die Muskeln langfristig natürlich wachsen.
Aber auch für andere Sportarten wirkt Kreatin als Leistungsbooster, besonders bei explosiven und kraftvollen Bewegungen. Wie sich die Effekte praktisch auswirken, erklärt Dieter Bubeck. Er ist Sport- und Trainingswissenschaftler sowie Wissenschaftlicher Berater beim Handball-Bundesliga-Verein „FRISCH AUF! Göppingen“ und begleitet seit vielen Jahren die Profisportler*innen im täglichen Training. Dabei beobachtet er: „Gerade in einem Bereich, in dem es darum geht explosive Richtungswechsel, schnelle und starke Würfe und hohe Sprünge zu machen, kann Kreatin wirklich ein Leistungsbooster sein.“
Ein weiterer Effekt von Kreatin ist die stärkere Wassereinlagerung in der Muskulatur. Die Zellen ziehen mehr Wasser in den Muskel – ähnlich wie ein Schwamm, der sich vollsaugt. Dadurch sind die Muskeln besser hydriert, was den Stoffwechsel unterstützt und die Regeneration in der Muskulatur beschleunigt. Bubeck bestätigt, dass viele Athlet*innen darauf zurückgreifen, da eine schnelle Regeneration, gerade an Tagen mit zwei Trainingseinheiten, entscheidend sei.
Kreatin fürs Köpfchen?
Kreatin ist nicht nur bei der Muskulatur gefragt, sondern kann auch nützlich für das Gehirn sein. Da das Gehirn rund 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs ausmacht und entsprechend viel Energie benötigt, kann Kreatin dabei helfen, die Nervenzellen besser zu versorgen. Studien zeigen, dass sich dies vor allem bei älteren Menschen auf das Arbeitsgedächtnis auswirken kann. Das ist der Teil im Gedächtnissystem, der Informationen kurzfristig speichert und gleichzeitig verarbeitet. Für junge und gesunde Menschen sind die Effekte hingegen sehr gering. Bubeck macht deutlich: „Man darf keine Wunder erwarten. Kreatin ist kein Gehirndoping!“
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Was schief gehen kann
So beliebt Kreatin im Sport auch ist – ganz ohne Nebenwirkungen kommt das Supplement nicht aus. Die Wassereinlagerungen in der Muskulatur führen zwar zu einer besseren Hydration der Muskeln, können aber auch für Krämpfe und Verletzungen verantwortlich sein und erhöhen das Gewicht spürbar. Das zusätzliche Gewicht kann in manchen Sportarten helfen, belastet aber im Alltag Gelenke und Muskulatur. Auch kann Kreatin zu Magen-Darm-Beschwerden führen und belastet die Nieren.
Wichtig zu beachten ist hierbei, dass die Nebenwirkungen vor allem dann auftreten, wenn man zu viel Kreatin nimmt oder zu wenig trinkt. Das heißt, wer sich an die empfohlene Menge von drei Gramm pro Tag hält und zwei bis drei Liter Wasser trinkt, kann die Wahrscheinlichkeit von Risiken und Nebenwirkungen deutlich reduzieren.
Kreatin für wen – und warum?
Kreatin kann für bestimmte Gruppen spürbare Vorteile bringen, vor allem dort, wo schnelle, explosive Bewegungen gefragt sind. Sportarten, wie Handball oder Sprint, profitieren besonders, weil Kreatin die Energie für kurze, intensive Aktionen schneller liefert und diese Bewegungen häufiger und mit höherer Qualität wiederholbar macht. Auch Hobbysportler*innen, die regelmäßig Krafttraining oder hochintensive Intervalleinheiten absolvieren, können von einer gezielten Kreatin-Einnahme profitieren. Im Krafttraining ist das besonders hilfreich: In den Pausen füllen sich die Energiespeicher schneller, sodass der nächste Satz wieder mit hoher oder maximaler Kraft ausgeführt werden kann.
Älteren Menschen kann Kreatin empfohlen werden, da es die geistige Leistungsfähigkeit unterstützt und dem Erhalt der Muskulatur hilft. Von Vorteil kann Kreatin auch für Menschen sein, die sich fleischfrei ernähren. Wer sich fleischfrei ernährt, nimmt deutlich weniger Kreatin über die Nahrung auf – der körpereigene Kreatinspiegel ist deshalb oft niedriger. Eine gezielte Supplementierung kann helfen, die Speicher aufzufüllen.
Manche Menschen sollten auf Kreatin besser verzichten, weil ihr Körper besonders empfindlich auf zusätzliche Belastungen reagieren kann. Bubeck erklärt, dass Kreatin bei bestehenden Nierenproblemen belastend sein kann, da der Stoff und seine Abbauprodukte über die Nieren ausgeschieden werden und das Organ daher zusätzlich beanspruchen. Wer Bluthochdruck oder Diabetes hat, sollte ebenfalls vorsichtig sein, da der Stoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System stärker beansprucht werden. Schwangere und stillende Frauen sollten Kreatin meiden, weil die Auswirkungen auf das Kind noch nicht ausreichend erforscht sind. Und für ihn ist auch klar: „Kinder und Jugendliche müssen die Finger davonlassen, da hat das nichts verloren.“ Der Körper steckt noch im Wachstum, und wie sich Muskeln, Stoffwechsel sowie Organe bei einer Supplementierung entwickeln, ist noch nicht ausreichend erforscht.
Wichtig, falls du dir überlegst Kreatin zu kaufen – unabhängig von der Zielgruppe gilt:
Verwende ausschließlich Kreatin Monohydrat, es wurde in der anerkannten Forschung keine im Vergleich zu Kreatin-Monohydrat wirkungsvollere Kreatin-Form gefunden. Und achte darauf, nur geprüfte Produkte (z. B. aus der Kölner Liste) zu verwenden, damit keine unerwünschten Substanzen enthalten sind.
Fazit: Kreatin ist sinnvoll – aber kein Allheilmittel
„Kreatin ist kein Wundermittel“, betont Dieter Bubeck. Wer darüber nachdenkt, das Supplement zu einzunehmen, sollte sich fragen: Wofür genau – und mit welcher Erwartung? Kreatin kann die Muskelkraft steigern, die Regeneration beschleunigen und die Leistungsfähigkeit bei kurzen, intensiven Belastungen verbessern. Bei älteren Menschen oder Vegetarier*innen und Veganer*innen kann es zusätzlich helfen, die Muskulatur zu erhalten und den Kreatinspiegel auszugleichen.
Allerdings wirkt Kreatin bei jedem sehr individuell. Zudem entfalten sich viele Effekte nur unter maximaler Belastung oder in Kombination mit regelmäßigem Training.
Gesellschaftlich pendelt das Bild von Kreatin zwischen Hype und Skepsis. Für die einen ist es „Bodybuilder-Pulver“, für andere beinahe Doping. Wieder andere überschätzen es maßlos und erwarten schnelle Wunder bei wenig Aufwand. Die Realität liegt irgendwo dazwischen: Kreatin kann gezielt die Leistung unterstützen, ersetzt aber kein konsequentes Training, keine ausgewogene Ernährung und keine Pausen für die Regeneration.
Ein Kilo Fleisch braucht niemand. Aber auch niemand braucht Kreatin, um „besser“ zu sein. Es macht manches leichter, beschleunigt manches, verstärkt manches. Doch am Ende bleibt Kreatin genau das: ein Zusatz. Was am Ende wirklich zählt, entsteht nicht durch ein Pulver, sondern im Training.