Natur und Nutzung 7min

Jagd: Zwischen Naturschutz und Wildtiermanagement

Jäger "Manu"
Der Winter macht „Manu“ gute Laune. In seinem Revier geht er mit den Jahreszeiten. | Quelle: Benjamin Koelle
10. Dez. 2025

Um unsere Landschaft zu erhalten, übernimmt die Jägerschaft neue Aufgaben – und vermittelt dabei gegenüber konkurrierenden Interessen von Landwirtschaft und Forst.

Mit dem Auto fährt Hans-Peter Manuel, genannt „Manu“, in sein Revier hinein. „Hier sind paradiesische Bedingungen für das Rehwild.“ Wir stehen in einem Mischwald. Manu deutet auf einige mit Kunststoff umhüllte junge Bäume. Die hat er im Jahr 2018 mit Kindergruppen gepflanzt. Die Bäume wurden geschützt, damit sich das Rehwild nicht an ihnen bedient. Als Naturpädagoge bringt er seit Jahrzehnten Kindern und Jugendlichen den Wald näher. 

Der Wald war Manu schon vertraut, da waren die heute ausgewachsenen Bäume nicht größer als seine neu gepflanzten. Er hat hier seine Kindheit verbracht. Mit 40 Jahren erwarb er seinen Jagdschein und seitdem ist „sein“ Wald auch sein Jagdrevier. „Dort zu jagen, wo man lebt und aufgewachsen ist, das ist ein riesiges Privileg“, sagt Manu. Seit seinem Ruhestand beschäftigt er sich jeden Tag der Woche mit seinem Revier. Seiner Ansicht nach hat sich der Mensch von der Natur entfernt, und die Jagd ist ein Weg, sich ihr wieder anzunähern. Doch mahnt er zur Achtung: „Wer den Wald nutzt, muss sich mit seinen Prozessen auseinandersetzen." Sonst wird es schwierig.

„Wer den Wald nutzt, muss sich mit seinen Prozessen auseinandersetzen."

Hans-Peter Manuel, Jäger

Jagd und Naturschutz wollen Eingriffe ausgleichen

„Die Jägerschaft und der Naturschutz wollen das Gleiche: den Erhalt der Natur – nur mit unterschiedlichen Mitteln“, sagt Klaus Lachenmaier. Er ist Wildbiologe im Landesjagdverband Baden-Württemberg und ehrenamtlich beim NABU. „Unser Ökosystem steht unter großem Druck", sagt er.

Laut dem Umweltbundesamt beseitigt die intensive Landwirtschaft Moore, Hecken und Feuchtgebiete, die für Arten wie Rebhuhn oder Feldhasen als wichtige Brut- und Rückzugsräume dienen. In der Jägersprache gehören diese Tiere zum Niederwild. Die Vereinheitlichung der Landschaft führt zu einem Rückgang ihrer Artenvielfalt. 

Zudem bewirkt der intensive Einsatz von Düngemitteln eine Überversorgung mit Nährstoffen. Davon profitieren pflanzenfressende Arten wie Mäuse, wodurch sich ein größeres Nahrungsangebot für Raubtiere wie den Fuchs ergibt. Dieser bedroht das Niederwild zusätzlich. Zwar gehören Raubtiere zur natürlichen Selbstregulation des Ökosystems, aber auch hier greift der Mensch ein. Seit 1996 gilt Baden-Württemberg durch die Verteilung von Impfködern als tollwutfrei. Nach Angaben des Wildtierportals Baden-Württemberg entfällt mit der Ausrottung der Tollwut jedoch ein zentraler natürlicher Regulator der Fuchsbestände. 

Der Mensch vollzieht durch Eingriffe ein Ungleichgewicht in der Natur und muss dem entgegenwirken. Die Jägerschaft tut dies hauptsächlich durch die Bejagung. Der Naturschutz verfolgt den Ansatz, Naturschutzgebiete zu erlassen oder Lebensräume bedrohter Arten einzuzäunen. Doch man hat das eigentliche Problem dadurch nicht lösen können. „Es gelang nicht, den Naturschutz in die Landwirtschaft zu integrieren“, erklärt Lachenmaier. 

Die Jagd darf nicht nur dem Selbstzweck dienen

In manchen Bereichen kommen Jägerschaft und NABU heute zusammen. Die Rebhuhnpopulation, einst eine der häufigsten Vogelarten im Ackerland, ist nach dem Bundesamt für Naturschutz seit den 1980er Jahren um 94 Prozent zurückgegangen. Ursache dafür ist die Verdrängung des Lebensraums durch die Landwirtschaft. Für den Schutz der in Baden-Württemberg bedrohten Art arbeiten der Landesjagdverband und der NABU gemeinsam an Naturschutzprojekten. „Denn zur Kehrtwende von bestimmten Problemen kommt man nur in der Zusammenarbeit“, meint Lachenmaier.

Hier kann die Jagdseite eine entscheidende Funktion als Mittler zwischen Naturschutz und Landwirtschaft einnehmen, um für den Erhalt strukturreicher Ackerlandschaften zu werben, aber auch um mit sinnvollem Raubtiermanagement einzugreifen, wenn parallel der Lebensraum aufgewertet wird.

„Jagd ist immer dann Naturschutz, wenn diese durch den Jäger als Naturschutz ausgeübt wird.“

Rolf Müller, Förster

„Jagd ist immer dann Naturschutz, wenn diese durch den Jäger als Naturschutz ausgeübt wird“, sagt Rolf Müller, Förster und ehrenamtlicher NABU-Mitarbeiter. Für ihn beginnt verantwortungsvolle Jagd mit der Haltung, sie nicht als Selbstzweck zu verstehen, sondern als Teil eines übergeordneten Wildtiermanagement-Konzepts. Dessen Aufgabe ist es, menschlich verursachte Ungleichgewichte in der Natur auszugleichen – und zugleich die land- und forstwirtschaftliche Nutzung zu sichern.

Falsche Jagd hat weitreichende Folgen

Das Verhältnis zwischen Jagd, Landwirtschaft und Naturschutz wurde durch den Umgang mit der Wildschweinpopulation ab den 1980er Jahren belastet. Milde Winter reduzierten die natürliche Wintersterblichkeit. Gleichzeitig wuchs die Population durch das größere Nahrungsangebot im Zuge des immer intensiveren Maisanbaus. 

Als Resultat breitete sich die Art in Gebiete aus, in denen jahrzehntelang keine Wildschweine beheimatet waren. Die Jägerschaft versuchte durch Winterfütterungen die Tiere im Revier zu binden und erhielt damit künstlich den Bestand aufrecht. Die Überpopulation verursacht jedoch gewaltige Schäden in der Landwirtschaft und stellt bis heute eine Gefahr für Seuchen dar.

Das Wachstum der Wildschweinpopulation lässt sich anhand der „Jagdstrecke“ abschätzen. So nennt man die Anzahl der erlegten und verendeten Tiere. Lag die Strecke in Deutschland im Jahr 1980 noch bei 119.726 Wildschweinen, erreichte sie 2019/20 ihren Höhepunkt mit 882.231 Wildschweinen. | Quelle: Jagdverband.de

Seit 2015 gilt in Baden-Württemberg ein Fütterungsverbot für Wildschweine, und die Bestände nehmen wieder ab. Dies geschah aufgrund des Drucks von Naturschutzverbänden. „Die Jägerschaft hat dies nicht von selbst gemacht“, sagt Lachenmaier. 

Forstwirte wollen den Wald vor dem Wild schützen

Doch auch im Wald prallen Interessen aufeinander. Eine nie aktualisierte Verordnung aus dem Jahr 1958 sieht in Baden-Württemberg lediglich fünf Rotwildgebiete vor – zusammen nur vier Prozent der Landesfläche. Außerhalb dieser Zonen gilt ein Abschussgebot. Denn Rothirsche schälen Baumrinden mithilfe ihres Geweihs ab. Waldbesitzer*innen sorgen sich deshalb um Einbußen in ihrem Holzertrag.

Der Landesjagdverband Baden-Württemberg spricht sich für eine Ansiedlung des Rotwilds in neue Lebensräume aus. Das Beispiel mit den Wildschweinen zeigt, wie schnell Übertreibung zu ernsthaften Problemen führen kann. „Aber mittlerweile ist die Jägerschaft erfahrener und weiß damit besser umzugehen“, meint Lachenmaier. 

Davon müssen auch die Forstwirte überzeugt werden. Sie fürchten sich vor Schäden, die Wildtiere anrichten und sind aufgrund der Erwärmung ebenfalls mit dem Bau klimaresilienter Wälder beschäftigt. Dort ist das Wild mehr ein Störfaktor und soll gejagt werden.

Die Bejagung sichert das Nachwachsen junger Bäume, indem Rehwild dort reduziert wird, wo es hohe Schäden verursacht. Ohne die Jagd ist eine naturnahe Waldbewirtschaftung nicht möglich. „Die Alternative wäre Kahlschlagwirtschaft und großflächiges Einzäunen“, sagt Müller.

Auch das Wild ist eine Ressource des Waldes

Neben Naturverbundenheit und Wildtiermanagement geht es für Hans-Peter Manuel auch um die Herstellung eines hochwertigen Produkts: dem Wildbret – so nennt man das Wildfleisch. Manu war früher Metzger. Doch nach sieben Jahren hing er den Beruf an den Nagel. „Die Jagd ist im Vergleich zum Schlachthof ein ganz anderes Ambiente“, sagt er. Hier im Wald gäbe es für ihn noch Ethik. Für jedes Wild, das er erlegt, möchte er sich bedanken.

Bild Äsungsfläche
Diese „Äsungsfläche“ bietet Nahrung für das Rehwild und wird in Vereinbarung mit dem Landwirt nicht gemäht. | Quelle: Benjamin Koelle
Luderplatz
Ein „Luderplatz“ besteht aus Teilen von erlegtem Wild und soll den Fuchs anlocken. | Quelle: Benjamin Koelle
Wald
Im Zwischendrin wachsen junge Bäume vor „Verbiss“ geschützt in Hüllen auf. So nennt man das Abfressen von Knospen, Blättern und jungen Trieben. | Quelle: Benjamin Koelle

Kurz darauf macht er es sich auf einer Bank bequem, drei ältere Damen kommen hinzu. Sie kennen ihn. Er ist eben der Jäger hier. Es wird bestellt: ein halbes Rehkitz. Das hat er noch da. Hase auch. Der macht fünfundzwanzig Euro.