Sportverletzungen im Amateurbereich

Herz über Kopf?

Ob Handball, Fußball oder andere Mannschaftssportarten - sie sind beliebt. Aber es besteht eine hohe Verletzungsgefahr.
09. Dez. 2019

Die Lebensgrundlage wird aufs Spiel gesetzt: Wenn sich Amateursportler öfter verletzen, kann es zu Problemen mit dem Arbeitgeber kommen. Ist es das Hobby wert, seinen Job zu risikeren?

Wut, Spaß, Frust, Erfolg - all das sind Elemente des Mannschaftssports. Allein der deutsche Fußballbund zählt über sieben Millionen Mitglieder; dazu kommen noch Handball, Volleyball, American Football und viele andere Sportarten. Das Vereinsleben hat einen hohen Stellenwert in der Republik. Doch was passiert, wenn das Hobby zur Gefahr für den Beruf wird? Viele spielen auf Amateurniveau, drei Sportler aus der Region mit langer Krankenakte habe ich getroffen.

Eine Verletzung war der ausschlaggebende Grund

Seit seinem zehnten Lebensjahr steht Daniel Kranz im Fußballtor der Spvgg Möhringen. Heute ist er 35 Jahre alt – aktiv Fußballspielen ist aber nicht mehr drin. 2014 bekam er im Training einen Ball auf den Handrücken. Dabei brach er sich das Kahnbein, das ist der zweitgrößte Handwurzelknochen. 14 Wochen lang war er arbeitsunfähig. Ein Spezialist sagte ihm, dass das Gelenk im Falle eines erneuten Bruchs versteift werden muss. Der Chef des Gas- und Wasserinstallateurs ließ in einem Gespräch durchsickern, dass er doch mit dem Fußball aufhören solle. „Ich wollte aber selbst entscheiden, wann gut ist.“
Daniel hat dann Vernunft walten lassen und mit dem aktiven Sport aufgehört. Denn seine Krankenakte ist lang: Darunter Kapselverletzungen an allen Fingern. Schon während seiner Ausbildung bei einem anderen Betrieb hat sein Arbeitgeber Druck gemacht. Er habe ihm nahegelegt aufzuhören. Doch Daniel spielte weiter.

„Ich war nicht bereit aufzuhören, es war ein scheiß Gefühl.“

Daniel Kranz, Spvgg Möhringen

Der „Hüter“, wie er von seinen Teamkollegen genannt wird, kennt das Leben ohne Fußball nicht. Daniel hat sich immer wieder selbst Druck gemacht und wollte nicht aufhören, obwohl seine Verletzungen die berufliche Karriere in Gefahr brachten. „Ich konnte die Jungs nicht im Stich lassen.“ 2014, nach dem Kahnbeinbruch, bestritt er aber sein letztes Spiel. „Ich war nicht bereit aufzuhören, es war ein scheiß Gefühl“, erklärt Daniel. „Es ist viel Wut dabei gewesen.“
Es habe über ein Jahr gedauert, bis er den Abschluss einigermaßen akzeptiert hatte. Doch er hatte triftige Gründe seinen Fokus zu verschieben. „Vom Geld lebt man“, sagt er plump, die Arbeitsstelle sei wichtiger. Sein Kind wollte er noch auf den Arm heben können; ohne das Ende der Fußballkarriere hätte das wohl nicht funktioniert. Mittlerweile ist Daniel Torwarttrainer bei der Spvgg Möhringen, er steht nur noch selten im Training zwischen den Pfosten. Das Vereinsleben kann er nicht komplett hinter sich lassen.

Es kann noch schlimmer kommen

Daniel hörte mit dem Fußballspielen auf, bevor der Arbeitgeber Konsequenzen folgen ließ. Ein Spieler des TSV Sielmingen hatte jedoch gar nicht die Chance, darauf zu reagieren. Er möchte unerkannt bleiben; nennen wir ihn Christian. Er begann eine Ausbildung als Kaufmann für Einzel- und Außenhandel. Noch während der Probezeit riss er sich bei einem Kreisligaspiel das Kreuzband. Das war nicht seine erste Verletzung: Er hatte bereits einen Kreuzbandriss und Verletzungen am Meniskus.
Nachdem Christan erfuhr, dass es wieder ein Kreuzbandriss ist, teilte er das seinem Chef mit. Eine Woche war Christian krankgeschrieben. Da er während der Ausbildung nicht zu oft fehlen wollte, arbeitete er danach schon wieder. Eine notwendige Operation schob er auf. „Ich musste Sachen im Lager besorgen, das war schwierig“, sagt der Fußballer. Am Ende dieser Woche bat sein Chef ihn zu sich.
 

„Ich würde lügen; ich hätte gar keinen Kreuzbandriss.“

Christian (Name geändert), TSV Sielmingen

Aus diversen Gründen kündigte man das Arbeitsverhältnis. Christian wollte das nicht wahrhaben und hakte nach. „Ich sei zu besserwisserisch gewesen und würde lügen; ich hätte gar keinen Kreuzbandriss.“ Für Christian war das kaum zu glauben, hatte er doch die Bilder der MRT-Untersuchung dabei. „Mein Chef hat mit mir im Vorstellungsgespräch noch über Fußball gesprochen“, erzählt er. Man wusste von seinem Hobby und empfand es positiv, später führte es zur Kündigung.
Wirklich nachgedacht, mit dem Fußballspielen aufzuhören, hat er selten. Seine Mutter und seine Freundin legten es ihm nahe. Doch er erinnert sich, dass ihm seine Mannschaftskollegen vom TSV Sielmingen geholfen haben, einen neuen Job zu finden. Nachdem er im Einzelhandel jobbte, ist er momentan in einer neuen Ausbildung. „Eigentlich hätte es nicht besser laufen können“, scherzt Christian. Auch dem Fußball ist er treu geblieben. „Was mach ich denn, wenn ich nicht kicke?“ Die Liebe zum Sport und der Gemeinschaft überwiegt.

Christian wurde in der Probezeit gefeuert.
Magnus macht sich Gedanken.

Wie fällt man eine Entscheidung?

„Man kann sich immer verletzen“, sagt Magnus Moritz. Der 21-Jährige spielt Handball bei der HB Filderstadt – Kreisliga. Der Amateursport ist ein zentraler Lebensinhalt für ihn. „Handball ist der perfekte Ausgleich“, findet er. Der Linksaußen absolviert eine Lehre als Speditionskaufmann. Doch innerhalb des vergangenen Jahres konnte er die Arbeit nicht immer antreten. Im Dezember 2018 kugelte er sich die Schulter aus, riss sich diverse Bänder und auch Knorpel wurden beschädigt. Daraufhin konnte er einen halben Monat nicht arbeiten. Er entschied sich gegen eine Operation, welche aber unabdinglich wurde, als er sich Mitte Juli dieses Jahres erneut eine Verletzung in der Schulter zuzog. Es folgte eine längere Arbeitspause.
Sieben Wochen nach der Operation war er trotz Bürojob außer Gefecht gesetzt. „Eine dumme Bewegung schmerzte damals schon sehr“, sagt der junge Sportler. Druck von seinen Ausbildungsleitern hat er nicht bekommen, den hat er sich selbst gemacht. „Man will präsent sein“, erklärt er. „Einen guten Eindruck machen.“

„Handball ist der perfekte Ausgleich.“

Magnus Moritz, HB Filderstadt

Magnus versucht sich nun als Kassenwart und Jugendtrainer bei der HB Filderstadt einzubringen. Den Zusammenhalt im Verein will er nicht missen, die meisten seiner Freundschaften hat er durch den Sport. Deswegen fällt ihm das Aufhören schwer, dazu kommt noch: „Mit 21 Jahren schon die Reißleine zu ziehen, ist doof.“ Würde er in der Bundesliga spielen, würde er das Verletzungsrisiko auf jeden Fall in Kauf nehmen, „in der Kreisliga lohnt sich das aber eigentlich nicht.“ Der junge Handballer ist zwiegespalten. „Ich mache mir konstant Gedanken über dieses Thema“, sagt Magnus und grübelt dabei. Aussagen für das Weitermachen sowie für das Aufhören wechseln sich ständig ab; es macht ihm offensichtlich zu schaffen.

Daniel hing seine Fußballschuhe an den Nagel, Christian spielt weiterhin und setzt dabei seinen Job aufs Spiel. Magnus ist unentschlossen, die Tendenz geht aber in Richtung Weitermachen. Er will auf jeden Fall noch einmal voll ins Training einsteigen und dann schauen, wie es läuft.