Im Cockpit

„Den ganzen Stress und die Hektik hier unten lassen“

Philipp Fischle will keinen Bürojob. Das Flugzeug ist sein Arbeitsplatz.
23. Juli 2020

Philipp Fischle ist 22 Jahre alt und schon Co-Pilot bei einer Stuttgarter Firma. Er fliegt Business-Jets sicher von einem Ort zum anderen. Doch was passiert während einem Flug? Wie sieht sein Alltag aus? Woher kommt sein Interesse? Das alles erzählt er im Interview mit edit. Außerdem räumt er mit den Klischees auf.

Philipp, hast du Angst beim Fliegen?

Angst nicht, aber Respekt. Wenn man so drüber nachdenkt, ist die Situation schon beeindruckend. Zehn Kilometer Höhe, 900 Stundenkilometer, mehrere Tonnen hochexplosiver Sprit in den Tragflächen. Dass da mal was passiert, das Risiko ist schon da. Aber man ist für alle Situationen gut ausgebildet.

Wo wurdest du denn ausgebildet?

Bei einer der fünf großen Verkehrsfliegerschulen in Deutschland. Ich wollte urlaubshungrige Deutsche nach Malle fliegen. Ich habe mich dann bei einer privaten Flugschule beworben. Das hat 2016 direkt nach meinem Abitur Gott sei Dank geklappt. Insgesamt hat es knapp drei Jahre gedauert.

Seit 2019 bist du also Co-Pilot. Wann wird man zum Kapitän?

Ich kenne welche, die sind seit 14 Jahren Co-Pilot und warten auf ihr Kapitäns-Upgrade. Es gibt aber auch Airlines, die machen das nach fünf Jahren oder früher. Bei mir steht Ende des Jahres bereits das Kapitäns-Upgrade an. Wobei das auf Business-Jets wesentlich schneller geht als bei den großen Airlines.

Was ist denn der Unterschied?

Im Prinzip macht der Co-Pilot nichts anderes wie der Kapitän. Beide sind fertig-ausgebildete Piloten. Man wechselt sich beim Fliegen in der Regel ab. Das Einzige ist die Verantwortung, die trägt am Ende der Kapitän.

Seit wann wolltest du Pilot werden?

Ich war als Kind öfters auf einem Segelfluggelände und das war der erste Kontakt mit Flugzeugen. Und dann hat man hier den Flughafen direkt vor der Haustür.

Du wohnst in Filderstadt. Wie wurde dein Hobby zum Beruf?

Als meine Schulnoten schlechter wurden, hatte ich es schon abgehakt. Ein Bekannter ist Kapitän bei einer großen deutschen Airline. Er hat gesagt: „Mach dein Abitur. Bewerbe dich. Geh zu den Tests, du hast nichts zu verlieren.“ Das habe ich gemacht.

Nun ist es dein Beruf. Wie oft hast du dich davor an Fasching als Pilot verkleidet?

Kein einziges Mal.

Hat sich das jetzt geändert?

Nein, auch nicht. Mich hat einer mal gefragt, ob ich ihm für Fasching meine Uniform ausleihen kann. Die Streifen konnte er haben, aber mein Jackett nicht. Das macht einen blöden Eindruck, wenn das nach Rauch stinkt, noch einer drüberkotzt und ich das nächste Mal dann damit zum Dienst komme.

Was ist das Besondere an deinem Beruf?

Ich finde es cool, wenn man Abwechslung hat und nicht nur am Schreibtisch sitzt. Wenn man morgens im Regen zum Dienst kommt, bereitet man alles vor. Steigt ein. Macht die Tür zu. Geht auf die Bahn. Startet. Durchbricht die Wolkendecke und sieht dann die Sonne. Das fand ich vom ersten Flug an eines der coolsten Sachen am Fliegen. Oder ein Sonnenaufgang über den Alpen. Die Sicht von oben zu haben und den ganzen Stress und die Hektik hier unten zu lassen. Das ist schon cool.

Wie oft schon den Ohrwurm „Über den Wolken“ im Ohr gehabt?

Immer mal wieder tatsächlich. Wenn ich Bilder aus dem Cockpit per Instagram oder Snapchat an Freunde schicke, lege ich öfters mal das Lied drüber.

Aber es ist schon eine Menge Verantwortung.

Verantwortung für die Maschine, die ziemlich teuer ist. Und natürlich für die Passagiere und meine Crew. Wobei es keinen Unterschied macht, ob 200 Menschen hinten drinsitzen oder keiner. Ich gehe immer mit derselben Sorgfalt und Disziplin an die Sache ran.

Andreas Lubitz ließ 2015 ein Flugzeug bewusst abstürzen. 150 Menschen starben, weil er allein im Cockpit saß und Suizid begehen wollte. Was macht das mit einem? 

Wirklich Gedanken gemacht habe ich mir darüber nicht. Also zumindest nicht so, dass ich mir denke: „Hoffentlich passiert mir das nicht“. Wenn ich aus dem Cockpit rausgehe und der Kapitän allein ist, wenn ich auf Toilette gehe oder so, da habe ich nie den Gedanken: „Was ist, wenn er mich nicht wieder reinlässt?“ Ist auch nicht gut, wenn man mit solchen Gedanken einsteigt. Das Team im Flieger funktioniert nur, wenn man sich zu 100 Prozent auf seine Kollegen verlassen kann.

Kommen wir zu einem schöneren Thema: Wo fliegst du am liebsten hin?

Stuttgart. Ich fliege am liebsten immer wieder Stuttgart an, weil das ist ein Gefühl, wie wenn ich als Kind mit meiner Familie im Urlaub war und wieder nach Hause komme. Man erkennt die ersten Häuser seiner Heimat. So ähnlich ist das Gefühl jetzt auch. Ein Gefühl von nach Hause kommen. Außerdem winkt dann meist der Feierabend.

Philipps Blick aus dem Cockpit.
Über den Bergen zu fliegen ist für ihn ein Gefühl von Freiheit.
Auch der Blick zur Seite lohnt sich.
Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge beobachtet Philipp sehr gerne.

Hattest du mal Flugangst?

Nein. Aber ich kann es verstehen, wenn Leute Flugangst haben. Ich habe in manchen Situationen Höhenangst. Wenn ich auf dem Fernsehturm oder hohen Gebäuden bin, kommt das teilweise bei mir durch.

Bei mehreren Kilometern in der Höhe aber nicht?

Da dann tatsächlich überhaupt nicht. Die Türen in kleinen Sportflugzeugen, die keine Druckkabine haben, sind im Prinzip wie eine Autotür. Nur dass eine Autotür meist noch stabiler ist. Zweimal ist sie mir im Flug plötzlich aufgegangen, weil sich die Arretierung gelöst hat. Das kann in kleinen Flugzeugen mal vorkommen. Die geht dann nicht richtig auf, sondern nur ungefähr zehn Zentimeter, weil sie durch die vorbeiströmende Luft zugedrückt wird. Ich konnte Tausend Meter runtergucken. Aber nicht mal da habe ich die Höhenangst gemerkt. 

Wie sieht dein Arbeitstag aus, Philipp?

Einen klassischen Arbeitsalltag gibt es nicht. Wenn wir um sechs Uhr morgens fliegen, dann steht man um 3.30 Uhr auf. Duscht. Richtet sich. Fährt zum Flughafen. Trifft sich mit den Kollegen.

Was steht an, wenn ihr am Flugzeug seid?

Der Pilot, der den Flug durchführt, geht dann ins Cockpit und gibt die Flugroute ein. Bereitet alles vor und rechnet schonmal die ganzen Startgeschwindigkeiten und -gewichte durch. Der Pilot, der nicht fliegt, geht um die Maschine rum und guckt, ob alles dran ist. Dann rechnet der auch nochmal alles durch. Wenn die Passagiere kommen holt man sich die Anlassfreigabe für die Triebwerke. Dann geht’s los.

Wie sieht der Flug an sich aus?

Der eine macht dann den Take-Off, der andere arbeitet zu. Es gibt Kollegen, die fliegen die ersten fünf Minuten von Hand. Es gibt welche, die fliegen zehn Sekunden von Hand und schalten dann den Autopiloten ein. Spätestens ab 10 000 Fuß, das sind 3 000 Meter, fliegt in der Regel der Autopilot. Und dann kommen die typischen Aufgaben beim Reiseflug. Der Pilot, der fliegt, kümmert sich um die Flugdurchführung. Der Pilot, der zuarbeitet, dokumentiert den Flug. Überflugzeiten, verbleibender Treibstoff. Passagiere informieren, wo man gerade ist; wie lange es noch dauert; wie das Wetter ist. Solche Geschichten.

Hand aufs Herz. Was machst du, während der Autopilot fliegt?

Da ist Zeit für Privatgespräche. Oder auch mal für einen kleinen Nap, wenn man sich kurz ausruhen will. Ich habe meist keinen Hunger, wenn ich um 3.30 Uhr aufgestanden bin. Ich frühstücke meistens, wenn man dann gerade über den Wolken ist.

Philipp, du trägst eine Brille…

Das ist kein Problem. Was nicht geht ist Augen lasern. Wenn man sich die Augen lasern lässt, ist man raus.

Thema Brillen. Wie viele Fliegerbrillen hast du?

Keine einzige.

Wie kommts?

Ich habe immer wieder eine aufprobiert um das Klischee zu erfüllen, aber passt irgendwie nicht so zu mir.
Wenn wir gerade bei Klischees sind.

Wie sieht es mit dem Alkohol aus?

Zwölf Stunden vor Abflug dürfen wir keinen Alkohol mehr trinken. Ich habe bis jetzt auch noch keinen erlebt, der sich nicht daran gehalten hat. Klar, ich kann mich abends dermaßen aus dem Leben schießen, dass ich mit Restalkohol noch in den Flieger einsteigen würde. Aber ich habe niemanden erlebt, der da auch nur darüber nachgedacht hat.

Mit wie vielen Stewardessen hast du geschlafen?

(Lacht.) NULL. Seit meiner Ausbildung habe ich meine Freundin und war auch immer treu. Und sie ist keine Stewardess.

Muss das Handy wirklich im Flugmodus sein?

Es ist vorgeschrieben, deswegen ja. Man kann auch mal zwei Stunden ohne sein Handy klarkommen. Aber es ist nicht so, dass man plötzlich die Landeklappen damit bedienen könnte. Es geht mehr um Störgeräusche im Funk. Eigentlich sind wir da in anderen Frequenzbereichen unterwegs, aber man will eben das Risiko ausschließen.

Also bringt der Flugmodus an sich nichts?

Doch, der bringt schon was. Aber ich glaube, wenn er nicht an wäre, würde der Flieger trotzdem sicher von A nach B kommen. Aber einfach Flugmodus rein, dann ist die Sache safe. 

Zu guter Letzt: Wie zufrieden bist du mit deinem Gehalt?

Zufrieden. Wobei das Gehalt für mich nie ausschlaggebend war. Es ist wichtig ein vernünftiges Gehalt zu haben, wirtschaftlich unabhängig zu sein, aber die Faszination für den Beruf kommt bestimmt nicht durch das Gehalt. Bei mir zumindest nicht!