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Chiasamen adé: Das Potenzial heimischer Superfoods

Leinsamen und Chiasamen im Vorratsglas.
Leinsamen sind die regionale Alternative zu Chiasamen. In Sachen Gesundheit stehen sie dem exotischen Superfood in nichts nach. | Quelle: Danah Ruf
11. Dez. 2023

Superfood – super unökologisch? Der Hype um exotische Nahrungsmittel als Superfoods ist groß. Doch wie umweltfreundlich ist diese Art von Ernährung wirklich? Warum Leinsamen als heimische Alternative nicht nur gesund, sondern auch besser für die Umwelt sind.

Wie wäre es mit einem Roadtrip von Stuttgart an den Lago Maggiore? Dagegen hätten wohl die wenigsten etwas einzuwenden. 10.000 Kilometer kämen zusammen, wenn man diese Strecke elfmal hin und zurück fahren würde. An dieser Stelle würden vermutlich einige Stimmen laut werden. Denn besonders klimafreundlich klingt das nicht. Die gleiche Distanz legen Chiasamen auf dem Seeweg zurück, um von Mexiko in einen deutschen Hafen zu gelangen. Der Transport von Chia aus Lateinamerika hat somit fast 50-mal so viel CO2 ausgestoßen wie vergleichbare Leinsamen aus Deutschland. Neben Chiasamen gibt es weitere bekannte Superfood-Klassiker wie Avocados, Quinoa, Matcha-Pulver, Amaranth, Goji- oder Acai-Beeren. Die meist nicht einheimischen Produkte haben einen hohen Nährwert und sind reich an bestimmten Vitaminen, Mineralien und Antioxidantien. Daher schreibt ihnen die Werbung gesundheitsfördernde Eigenschaften zu.

„Persönlich halte ich den Trend für völlig überzogen.“

Christine Lambert, Ernährungswissenschaftlerin

Neben den gesunden Inhaltsstoffen haben sie allerdings noch etwas gemeinsam – eine fragwürdige Umweltbilanz. Vor allem das Superfood-Symbol schlechthin ist ein extremer Ressourcenverbraucher: die Avocado. Bei einer zehnminütigen Dusche fließen bis zu 150 Liter Wasser in den Abfluss. Für den Anbau der fettreichen Frucht wird fast die dreifache Menge benötigt. Im Handumdrehen zu Guacamole zerquetscht, steht der hohe Ressourcenverbrauch in keinem guten Verhältnis zu ihrer kurzen Lebensdauer.

Verzerrte Versprechen der Superfood-Werbung

Die Wundermittel treffen den Nerv der Zeit. Studien von Information Resources (IRI) zeigen: Deutschland ist nach den USA der weltweit größte Absatzmarkt für Superfoods. Der Begriff „Superfood“ stammt aus dem Marketing und erfreue sich dort großer Beliebtheit, erklärt Christine Lambert, Ernährungswissenschaftlerin von der Universität Hohenheim. Bedenklich sei, dass der Begriff rechtlich nicht geschützt sei und es nur sehr wenige Studien zu den gesundheitlichen Wirkungen gebe. „Persönlich halte ich den Trend für völlig überzogen“, so die Ernährungswissenschaftlerin. Nur weil ein Lebensmittel aus einem anderen Kulturraum eine hohe Konzentration eines Nährstoffs aufweise, sei es noch lange nicht einzigartig. Doch die Superfood-Marketingstrategien, welche exotische Lebensmittel als außergewöhnlich inszenieren, funktionieren. Laut IRI wurden 2016 fast doppelt so viele Chiasamen gekauft wie im Vorjahr. Bis heute haben sie den größten Absatz unter den sogenannten Superfoods zu verzeichnen. Ein lukratives Geschäft für die Lebensmittelindustrie: Die Chiasamen können teurer angeboten werden als ihre regionale Alternative. Dabei wird bewusst ausgeklammert: Heimische Pflanzen wie Leinsamen haben ähnliche Inhaltsstoffe und stehen dem exotischen Superfood in nichts nach.

Chiasamen – wie nachhaltig sind die trendy Superfoods?

Oft werden die Verkaufsschlager dabei in Verbindung mit einem nachhaltigen Lebensstil propagiert. Global 2000, eine österreichische Umweltorganisation, hat 2017 mehr als 20 Superfoods auf ihre Schadstoffbelastung und ihren CO2-Fußabdruck untersucht. Die Klima-Bilanz fällt im Gegensatz zur wirtschaftlichen nicht positiv aus. Gleich zweimal wurden gesetzliche Höchstwerte überschritten und bis zu 13 verschiedene Pestizid-Wirkstoffe allein auf einer Probe gefunden. Die wenigsten Produkte wurden unter den Aspekten gehandelt, soziale Bedürfnisse und Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, ohne dabei zukünftige Generationen zu beeinträchtigen.

Auch Chiasamen haben zwei große Umweltprobleme: fragwürdige Anbaubedingungen und lange Transportwege. Meist in Südamerika angebaut, wird hier zur Ertragssteigerung rücksichtslos vorgegangen: Waldrodungen, Monokulturen und der Einsatz von Pestiziden sind an der Tagesordnung. Laut einer Schätzung der nationalen Umweltschutzorganisation Gira werden beispielsweise in Mexiko jedes Jahr 1.500 bis 4.000 Hektar Waldfläche für die Landwirtschaft gerodet. Das entspricht in etwa einer Fläche von 2.000 bis 5.600 Fußballfeldern. Viele Tiere verlieren ihren Lebensraum und die oft illegal gerodeten Ackerflächen werden nicht mehr traditionell, sondern in Form von Monokulturen, bewirtschaftet. Hierbei halten viele Bauern und Bäuerinnen wichtige Ruhepausen für die nährstoffarmen Hochlandböden nicht mehr ein. Das hat verheerende Folgen für die Bodenfruchtbarkeit.

Nach Angaben der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wird zur Ertragssteigerung das Saatgut mit Pflanzenhormonen behandelt. Wenn dieser Einsatz nicht streng reguliert wird, kann dies negative Auswirkungen auf Menschen und Natur haben. Zum anderen wird der Boden mit einem Bodenherbizid von Unkräutern befreit. Das in Europa seit 2007 verbotene Unkrautvernichtungsmittel belastet das Grundwasser und beeinträchtigt die Artenvielfalt. Auch auf untersuchten Chiasamen wurden Rückstände dieses Giftes gefunden. Zuletzt wurden außerdem mehrfach mit krebserregenden Schimmelpilzgiften belastete Chiasamen im europäischen Schnellwarnsystem gemeldet. Die Kaufenden erhalten also kein gesundes, sondern ein mit Pestiziden belastetes Lebensmittel.

Nicht nur der Boden und die Artenvielfalt leiden unter der konventionellen Bewirtschaftung der Felder. Kleinbauer*innen können mit den Monokulturen der Großbauer*innen oft nicht mithalten. Die hohe Nachfrage in den Ländern des Nordens beeinflusst außerdem die Lebensmittelpreise im Süden, sagt Sonja Pannenbecker, Lebensmittelreferentin der Verbraucherzentrale Bremen. Denn wenn zu viel exportiert wird, kann das zu hohen Preisen für die lokale Bevölkerung und zu Lebensmittelknappheit führen. Doch warum ist das alles möglich? Das liege an fehlenden Kontrollpflichten im Herkunftsland, anderen gesetzlichen Beschränkungen für Spritzmittel und mangelnder Schulung der Arbeitenden, betont Lambert. Bei exotischen Superfoods können daher nur Fairtrade- und Bio-Zertifizierungen sicherstellen, dass soziale und nachhaltige Mindeststandards eingehalten werden.

Gute Neuigkeiten aus der Forschung:

Auf der Suche nach einer Lösung für diese Problematik erreichte die Universität Hohenheim einen wichtigen Meilenstein: Die Forschenden haben die erste Chia-Sorte entwickelt, die für den Anbau in Deutschland geeignet ist. Der regionale Anbau auf deutschen Äckern soll dazu beitragen, die Umweltbelastung durch Pflanzenschutzmittel und Kohlendioxid deutlich zu reduzieren und den Menschen in Südamerika eines ihrer Grundnahrungsmittel wieder näherzubringen. Es wurde bereits eine Saatzuchtfirma gefunden, die diese Sorte in ihr Programm aufnehmen und den Landwirten zur Verfügung stellen wird. Die Universität Hohenheim hat die kommerziellen Nutzungsrechte an der Chia-Sorte mit der Sortenbezeichnung „Juana“ an die Südwestdeutsche Saatzucht GmbH exklusiv abgegeben.

Superhelden von nebenan: Leinsamen als Alternative

Anstelle von Chiasamen können Leinsamen verwendet werden. Diese weisen eine nahezu identische Nährstoffzusammensetzung auf. Die Verbraucherzentrale Bremen bestätigt, dass Leinsamen sogar mehr Eiweiß enthalten als Chiasamen. Im Gegensatz zum exotischen Superfood kann die heimische Alternative mit einer besseren Ökobilanz punkten: Leinsamen werden überwiegend in Europa und Deutschland angebaut. Damit hat das regionale Produkt kürzere Transportwege und unterliegt gleichzeitig strengeren Kontrollauflagen. Zum Beispiel gibt es Grenzwerte für Schadstoffe wie Pestizide und Schwermetalle, die nicht überschritten werden dürfen. Auch die Keimbelastung wird regelmäßig überprüft, um sicherzustellen, dass der Leinsamen keine krankheitserregenden Keime enthält. Darüber hinaus müssen die Leinsamen den in Europa geltenden EU-Lebensmittelvorschriften entsprechen. 

Chiasamen und Leinsamen stehen in Vorratsgläsern auf dem Tisch.
Leinsamen sind die heimische Alternative zu Chiasamen. Sie haben identische Inhaltsstoffe, enthalten mehr Eiweiß und sind preiswerter. | Quelle: Danah Ruf
Gojibeeren werden von Person in einer Hand gehalten.
Schwarze Johannisbeeren - die unterschätzte Superfrucht: Mehr Vitamin C als Gojibeeren und preiswerter als ihr exotischer Konkurrent. | Quelle: Danah Ruf
Heidelbeeren und Açai-Beeren stehen in zwei Schalen auf einem Tisch und werden gegenübergestellt.
Superfood aus der Heimat: Heidelbeeren als köstliche und gesunde Alternative zu teuren Açai-Beeren - mit einem ähnlich hohen Gehalt an Antioxidantien! | Quelle: Danah Ruf
Hirse und Quinoa wird in Vorratsgläsern auf dem Tisch gegenübergestellt.
Hirse - das vergessene Superfood aus der Region: Nicht nur preiswerter als Quinoa, sondern auch glutenfrei und reich an Nährstoffen. | Quelle: Danah Ruf

Auch der Verkaufspreis ist günstiger. In Europa liegt der Preis für ein Kilogramm Chiasamen bei 15 bis 25 Euro, während ein Kilogramm Leinsamen schon ab drei Euro erhältlich ist. Dieses Vergleichsbeispiel ist kein Einzelfall. Auch andere heimische Superfoods wie zum Beispiel Heidelbeeren sind preiswerter, haben eine geringere Schadstoffbelastung und bessere ökologische Anbaubedingungen. Und in Sachen Gesundheit sind sich beide Expertinnen sicher: Die heimischen Alternativen können auf jeden Fall mithalten.

Tipps zum Kauf regionaler Superfoods

  • Bevorzugt auf Wochenmärkten, Bauernhöfen oder in Bio-Läden einkaufen
  • Gemüse und Obst in der Saison kaufen
  • Beim Kauf das Herkunftsland überprüfen
  • Auf offizielle Bio-Siegel und Kennzeichnungen achten
  • Plastikarme Verpackungen vorziehen