„Durch die Insulinresistenz schwimmt mehr Zucker im Blut (...) man kann sich vorstellen, dass der Sinn ist, dass eher Energiereserven aufgebaut werden, mehr Hunger da ist, mehr Kalorien aufgenommen werden (...), um den Körper auf eine mögliche Frühschwangerschaft vorzubereiten.“
Blutzucker im Zyklus-Takt
Prolog
Szene 1 – Die erste Zyklushälfte: Das Bühnenbild steht, die Besetzung kennt den Ablauf, die Choreografie sitzt und Generalproben brauchen die Hauptdarsteller schon lange nicht mehr. Denn Monat für Monat wird dasselbe Stück vom gleichen Ensemble aufgeführt.
Vorhang auf für den weiblichen Zyklus:
Ein neuer Akt beginnt, die Sexualhormone Östrogen und Progesteron erhalten einen Neustart, die Zellen öffnen freundlich die Türen, wenn das Insulin anklopft und der Blutzucker darf entspannt eintreten. Das Östrogen ist jetzt die Hauptfigur und behält diese Rolle bis zum Eisprung.
Szene 2 – Die zweite Zyklushälfte: Der Dramaturg Körper arbeitet nun auf Hochtouren und das Ensemble kommt ins Schwitzen. Die energiegeladene Stimmung steht nun nicht mehr auf dem Spielplan.
Vorhang auf für die Lutealphase:
Die neue Hauptfigur Progesteron erreicht hier ihren Höhepunkt. Die Wege des Blutzuckers sind nun nicht mehr so eben und das Insulin muss mehr Kraft aufwenden, um die Zelltüren zu öffnen. Es entsteht Stau, mehr Zucker bleibt im Blut. Diese Phase ist gekennzeichnet durch das sogenannte prämenstruelle Syndrom (PMS). Für die Protagonistin, die Frau, bedeutet dies Stimmungsschwankungen, Kopfschmerzen und für Diabetikerinnen vor allem eins: Die eingestellte Insulindosis stimmt nicht mehr, da der Insulinbedarf in der Lutealphase steigt.
1. Akt: Den weiblichen Zyklus verstehen
Der weibliche Zyklus ist ein hormonell gesteuerter Kreislauf, der den weiblichen Körper auf eine mögliche Schwangerschaft vorbereiten soll. Es ist ein faszinierender und komplexer Vorgang bestehend aus vier Phasen: Der Menstruations-, Follikel-, Ovulations-, und der Lutealphase. Der Zyklus dient dazu, optimale Bedingungen für die Einnistung einer befruchteten Eizelle in der Gebärmutter zu schaffen. Unsere Hauptfiguren Östrogen und Progesteron, die als die zwei wichtigsten weiblichen Sexualhormone gelten, spielen hierbei eine entscheidende Rolle. Sie gelten als Schwangerschaftshormone, wobei das Estradiol (wichtigstes Östrogen der Frau) für den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut und das Progesteron für den Erhalt der Gebärmutterschleimhaut und somit für die Stabilität einer Schwangerschaft zuständig ist. Die Östrogenkonzentration steigt während der ersten Zyklushälfte an und erreicht beim Eisprung, also der Zyklusmitte, seinen Höhepunkt. Das Östrogen wirkt allgemein stimmungsaufhellend und befördert eine Senkung des Blutzuckerspiegels aufgrund einer höheren Insulinempfindlichkeit.
In der zweiten Zyklushälfte, nach dem Eisprung, steigt die Progesteronkonzentration. Das Progesteron lockert die Gebärmutterschleimhaut, damit diese besser durchblutet werden kann und schafft somit ideale Startbedingungen für eine Schwangerschaft. Man beobachtet gerade in der zweiten Zyklushälfte, also in der Lutealphase, eine niedrigere Insulinempfindlichkeit und daher einen höheren Blutzuckerspiegel. Wenn keine Schwangerschaft eintritt, sinken die Östrogen- und Progesteronwerte drastisch und die aufgebaute Gebärmutterschleimhaut wird abgestoßen und fließt ab. Der Zyklus beginnt von vorne und die Menstruation setzt ein.
Die Insulinsensitivität beschreibt, wie sensibel der Körper auf Insulin reagiert. Ist sie hoch, reicht wenig Insulin, um Glukose in die Zellen zu schleusen. Ist sie niedrig, wie in der zweiten Zyklushälfte, braucht der Körper mehr Insulin. Man nennt dies Insulinresistenz. Dabei bleibt mehr Zucker im Blut, weshalb die Bauchspeicheldrüse zusätzlich Insulin ausschüttet. Unbehandelt kann dies zu Prädiabetes und später zu Typ-2-Diabetes führen. Gut zu wissen: Durch ausgewogene Ernährung und regelmäßige Bewegung lässt sich die Insulinresistenz jedoch meist eindämmen.
2. Akt: Der Blutzucker und das Hormon Insulin
Den Blutzucker, also die Glukose, nehmen wir über Kohlenhydrate auf. Das kann unser Nutellabrot am Morgen oder unser Pastagericht am Abend sein. Kohlenhydrate sind Nährstoffe, die wir meist aus pflanzlichen Lebensmitteln ziehen, wie zum Beispiel Getreide, Obst und Gemüse. Kohlenhydrate liefern dem Körper Energie in Form von Glukose. Der Körper verarbeitet die Kohlenhydrate, zerlegt sie in Glukose und transportiert diese anschließend über Blutgefäße zu den einzelnen Zellen. Durch die Glukose im Blut wird die Insulinausschüttung der Bauchspeicheldrüse aktiviert. Das Hormon Insulin öffnet die Zelltüren, damit der Blutzucker in die Zellen eintreten kann, wo er schlussendlich zu Energie umgewandelt wird.
Typ-1-Diabetes (lat.: Diabetes mellitus) ist eine Stoffwechselerkrankung, bei der das Immunsystem die insulinbildenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Dadurch kann kaum oder kein Insulin produziert werden. Insulin transportiert den aufgenommenen Blutzucker aus dem Blut in die Zellen, wo er in Energie umgewandelt wird. Fehlt Insulin, steigt der Blutzuckerspiegel stark an. Betroffene müssen sich täglich Insulin zuführen und regelmäßig ihren Blutzucker messen, um Unter- oder Überzuckerungen zu vermeiden. Mehr Informationen über Diabetes findest du hier.
3. Akt: Sind Blutzuckerschwankungen im Tagesverlauf normal?
Schwankungen des Blutzuckerspiegels im Tagesverlauf sind absolut normal und unbedenklich. Morgens nach dem Aufstehen ist die Insulinempfindlichkeit am niedrigsten, das heißt, der Körper muss mehr Insulin ausschütten. Mittags ist die Insulinempfindlichkeit in der Regel höher, nimmt jedoch zum Abend hin wieder ab. Wenn wir etwas essen, sei es der Kartoffelsalat mit Maultaschen oder auch der kleine Schokoriegel zwischendurch, verändern sich unsere Blutzuckerwerte. Nach Nahrungsaufnahme steigt der Blutzuckerspiegel zunächst an und sollte sich bei gesunden Menschen innerhalb von zwei Stunden wieder normalisieren. Normwerte bei gesunden Menschen liegen zwischen 100 und 140 mg/dl. Der Blutzuckerspiegel wird allerdings nicht nur durch die Ernährung beeinflusst, sondern auch durch Faktoren, wie Stress, Bewegung, Schlaf, Medikamente, sowie hormonelle Veränderungen, etwa in der Pubertät, während des weiblichen Zyklus oder auch in den Wechseljahren.
4. Akt: Warum Heißhunger nicht nur Kopfsache ist
Warum ist es also für Diabetikerinnen, als auch für Nicht-Diabetikerinnen wichtig etwas über ihre Insulinempfindlichkeit zu wissen? Ganz einfach, weil typische prämenstruelle Symptome, wie Heißhunger, Cravings oder Abgeschlagenheit direkt von unseren Blutzuckerschwankungen beeinflusst werden können. Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf sogenannte Glukosespitzen. Essen wir einfache Kohlenhydrate, die zwar schnelle aber kurzzeitige Energie liefern, steigt der Blutzuckerspiegel rasch an. Die Bauchspeicheldrüse reagiert mit einer erhöhten Insulinausschüttung, damit die Glukose aus dem Blut in die Zellen gelangen kann. Befindet sich jedoch zu viel Insulin im Blut, sinkt der Blutzuckerspiegel ebenso schnell wieder ab. Das zeigt sich bei vielen, ob mit oder ohne Diabetes, in Form von Müdigkeit, Zittern oder Heißhunger. Gerade in der Lutealphase ist der Körper aufgrund der veränderten Insulinempfindlichkeit anfälliger für solche Schwankungen. Auch beim Schmerzempfinden kurz vor und während der Periode würden erhöhte Blutzuckerspiegel eine Rolle spielen. Durch hohe Blutzuckerspiegel würden mehr Entzündungsmediatoren ausgeschüttet werden, die ein verstärktes Schmerzempfinden auslösen könnten, erwähnt auch Martin Schippert, Assistenzarzt in der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Geriatrie im Katharinenhospital Stuttgart.
„Durch die Insulinresistenz schwimmt mehr Zucker im Blut (...) man kann sich vorstellen, dass der Sinn ist, dass eher Energiereserven aufgebaut werden, mehr Hunger da ist, mehr Kalorien aufgenommen werden (...), um den Körper auf eine mögliche Frühschwangerschaft vorzubereiten.“, erklärt Julia Szendrödi, Präsidentin der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Wie so vieles im Körper folgt also auch die niedrige Insulinempfindlichkeit während der Lutealphase einem klaren Ziel. Um den Körper in dieser Phase nicht zusätzlich zu belasten, ist es sinnvoll, Blutzuckerspitzen und den damit verbundenen anschließenden schnellen Abfall zu vermeiden. Sowohl für Diabetikerinnen, als auch Nicht-Diabetikerinnen lohnt es sich auf komplexe statt einfache Kohlenhydrate zu setzen, sie liefern Energie langsamer und unterstützen einen stabilen Blutzuckerspiegel.
5. Akt: Am Ende zählt das Zusammenspiel
Im Wesentlichen lassen sich also folgende Punkte zusammenfassen: Die Blutzuckerschwankungen sind zyklusabhängig, wobei in der Lutealphase eine höhere Insulinresistenz vorzufinden ist. Möglicherweise dient dies der Energiebereitstellung für eine potenzielle Schwangerschaft. Auch klassische Menstruationssymptome, wie Heißhungerattacken, Cravings oder Periodenschmerzen können durch Blutzuckerschwankungen, insbesondere durch Blutzuckerspitzen verstärkt werden. Ein stabiler Blutzuckerspiegel ist nicht nur für Diabetiker*innen von Bedeutung und wird durch eine ausgewogene, ballaststoff- und proteinreiche Ernährung, regelmäßiger Bewegung sowie einem gesunden Umgang mit Stress positiv beeinflusst. Außerdem wird anhand der Recherche und den Expertengesprächen klar, wie wichtig geschlechtersensible Medizin ist und dass die Forschung im Bereich Blutzucker und Menstruationszyklus ausbaufähig ist.