Smartphone im Zug

Akku leer – und jetzt?

Mein Alptraum wird wahr: Ich muss heute in der Bahn ohne Smartphone auskommen. Und jetzt?
25. Jan. 2020

Bahnfahren ohne Smartphone – geht das? Es muss, denn mein Smartphone-Akku hat seinen Geist aufgegeben. Die Fahrt durch Stuttgart wird für mich ein völlig neues Erlebnis. Eine Glosse.

 

Akku leer. Seit zehn Minuten spicke ich gelangweilt ins Smartphone eines anderen. Seine Auswahl in der Dating-App Tinder passt eigentlich auch zu mehreren hübschen Frauen in dieser S-Bahn. Aber sind wir mal ehrlich: Auf Tinder weiß er gleich, ob er ihr auch gefällt – im Zug nicht. Außerdem haben die hübschen Frauen eh alle etwas am Smartphone zu tun. Bahnfahren ohne Smartphone ist wie Daten ohne Tinder: Geht gar nicht.

Neben mir ruft eine etwa 14-Jährige verzweifelt ihre Mutter an. Inhalt des Gesprächs: Das Mädchen kommt mit der Bahn-App nicht klar und Mama soll ihr jetzt von zu Hause aus mitteilen, wo sie umsteigen muss. Wenigstens ruft sie ihre Mama an und fragt nicht andere Fahrgäste, die mit ihrem Smartphone Besseres zu tun haben. Bahnfahren ohne Smartphone ist wie Routenplanung mit der Bahn-App: Geht schief.

Das Mädchen steigt an der falschen Haltestelle überhastet aus und meine Aufmerksamkeit widmet sich drei jungen Menschen, die Spanisch miteinander sprechen. Ich lausche gespannt, ob ich etwas verstehe, denn sonst nutze ich Bahnfahrten gerne, um in meiner Vokabel-App Spanisch zu lernen. Innerlich überlege ich Sätze, mit denen ich mich an der Konversation beteiligen könnte, lasse es aber dann sein und denke: Du bist noch nicht so weit. Du musst erst mehr Vokabeln in deiner App lernen. Bahnfahren ohne Smartphone ist wie Sprachen lernen ohne Mut: Geht ewig.

Ich verlasse die S-Bahn und steige in die U-Bahn um. In Gedanken erinnere ich mich an eine Situation aus der letzten Woche. Ein Rollstuhlfahrer rief mehrmals laut um Hilfe, weil er die Lücke zwischen Bahnsteig und Wagon nicht selbstständig bewältigen konnte. Zu seinem Glück hörte ich ruhige Musik von Jack Johnson, um meine Tetris-Aggressionen zu bändigen. Ansonsten hätte ich ihn, wie die anderen Fahrgäste, überhaupt nicht wahrgenommen. Bahnfahren ohne Smartphone ist wie Rollstuhlfahren ohne Megafon: Rollt nicht.

Aus Gedanken gerissen, schrecke ich hoch. Eine ach-so-pädagogische Mutter muss sich um ihre etwa sechsjährige, quengelnde Tochter kümmern, weil diese immer noch kein Smartphone besitzt. Selbst Schuld, wer die Anmeldung zum Krabbelgruppen-Handykurs verpasst hat. Nach der Durchsage „Nächste Haltestelle: Bihlplatz“ springt die Kleine auf und schreit: „Mama! Spielplatz!“. Der halbe Wagon lacht.
Bahnfahren ohne Smartphone: Geht doch.

Bahnfahren ohne Smartphone: Positive Erlebnisse.
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