Sprache 8 Minuten

Zwischen Sympathie und weniger Kompetenz – Wie Dialekt Karrieren prägt

Ein Mann im Anzug/Business Kleidung steht auf einer Treppe vor zwei Türen und dreht seinen Kopf unentschlossen in die Richtung der Türen, als überlege er durch welche er gehen soll.
Im Arbeitsalltag stehen Dialektsprechende zwischen Vorteil und Vorurteil. Symbolbild. | Quelle: Mia Röhm
21. Mai 2025

Grüßgott, Servus, Guddn Daach! – Dialekte sind Teil der Identität. Doch im Berufsleben wirken sie nicht immer nur charmant. Sie können sowohl Karrierepush als auch Karrierebremse sein.

Authentisch. So wirkt er, als er reinkommt. Man hört häufig, dass Menschen überrascht sind, wenn sie Personen im echten Leben treffen, die man sonst nur aus den Medien kennt. Doch er scheint genauso zu sein, wie man ihn aus den Medien kennt. Er grüßt mit einem schwäbischen „Grüß Gott“, holt sich einen Kaffee und setzt sich an den Tisch. Günther H. Oettinger war von 2005 bis 2010 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Darauf folgten neun Jahre EU-Kommission. Doch was macht diesen älteren, großen, schlanken Herrn im Anzug so authentisch? Es ist sein Wesen. Er ist Schwabe durch und durch. Und ein bedeutender Teil seines Wesens und seiner Authentizität ist auch sein deutlich hörbarer, schwäbischer Dialekt. „Ich hätte mich lächerlich gemacht, nicht Schwäbisch zu reden. Das wäre ja irgendwo wesensfremd. So wie man hier gerne Spätzle isst – das ist Teil der Heimat. Heimat ist auch Dialekt“, erklärt Oettinger.

Ein älterer, schlanker Mann im Anzug im Porträt - Es ist Günther Oettinger.
Günther Oettinger wurde 1953 in Stuttgart geboren und ist in Ditzingen aufgewachsen. Nach seinem Abitur studierte er Rechtswissenschaften und Volkswirtschaftslehre in Tübingen.
Quelle: Friederike Beyer

„Dialekt schafft Vertrauen, Heimeligkeit, Heimat“, bestätigt Petra Ziegler, selbstständige Stimm- und Sprechtrainerin bei „Klangstruktur“ in Stuttgart. Dialekt erzeugt Verbundenheit und macht es leichter zu überzeugen, sodass er in manchen Berufen von Vorteil ist. „Wenn jemand als Autoverkäufer arbeitet und so spricht wie die Kundschaft, dann fühlen die Menschen sich abgeholt. Dann denken sie: Diesem Menschen kann ich vertrauen. Dieser Mensch wird mich nicht übers Ohr hauen, obwohl er es gerade tut“, schmunzelt Ziegler. 

„Heimat ist auch Dialekt.“

Günther Oettinger

Sie ist auch überzeugt davon, dass es Günther Oettinger in seiner Karriere unterstützt hat Dialekt zu sprechen. Neben anderen Faktoren habe ihm sein Dialekt bei der Aufstellung zum Kandidaten zur Ministerpräsidentenwahl 2005 geholfen, sich gegen seine Konkurrentin Annette Schavan (gebürtige Rheinländerin) durchzusetzen. Er wirkte authentisch, bodenständig, sprach wie die Menschen aus der Region – das sei gut angekommen. 

20 Prozent weniger Gehalt für stark Dialektsprechende?

Eine Studie belegt, dass das Sprechen mit starkem und breitem Dialekt in Deutschland das Gehalt um durchschnittlich 20 Prozent reduziert. Oettinger bildet mit seiner Karriere also eine Ausnahme. Ariane Willikonsky, Stimm- und Sprechtrainerin, sowie Gründerin des FON Instituts in Stuttgart, schätzt das Ergebnis für realistisch ein. „Ich erlebe das so und meine Klientinnen und Klienten berichten mir auch, dass man gerade in hohen Führungspositionen wenig Dialekt findet“.

Eine Metaanalyse der Freien Universität Berlin hält zudem fest, dass man als Dialektsprecher*in häufig als weniger kompetent wahrgenommen wird – insbesondere, wenn es nicht der eigene Dialekt ist. Willikonsky vermutet, dass im Schwäbischen die Grammatik problematisch sein könnte. Wenn man nicht wisse, dass Aussagen wie „der, wo gestern bei mir war“ Dialekt seien, läge es nahe von einem niedrigen Bildungsniveau auszugehen. „Grammatik und Bildung hängen für uns im Kopf zusammen“ meint Ariane Willikonsy.

Metaanalyse:

Eine Metaanalyse ist die Zusammenfassung der Ergebnisse systematisch aufgespürter Artikel zum selben Thema. Eine Metaanalyse ist vor allem dann sinnvoll, wenn es zu einem Thema bereits einige Studien gibt, die alleine jedoch geringe Aussagekraft haben. Durch die gemeinsame Auswertung steigt die Präzision und Aussagekraft der Ergebnisse.

Willikonsky ist auch überzeugt, dass Oettingers Dialekt ihm in seiner Karriere nicht immer geholfen hat. „Er ist nicht dumm, aber ich glaube, dass ihn seine Art zu sprechen Kompetenz gekostet hat“. Damit bezieht sie sich neben seinem Dialekt auch auf seine schnelle Sprechweise, die „ihn immer ein bisschen gestresst wirken lassen hat“, so Willikonsky.

Im Laufe ihrer Karriere hat Ariane Willikonsky viele Dialektschicksale begleitet. Darunter waren Menschen, die in ihrem Dialekt einen Nachteil sahen, aber auch Menschen, die einen Nachteil darin sahen, keinen Dialekt sprechen zu können.

Ariane Willikonsky erzählt vom Dialekt als Ablenkfaktor einerseits und Instrument, um an Menschen heranzukommen, andererseits. | Quelle: Ariane Willikonsky

Der Dialekt alleine ist kein Karrierekiller

„Als Kriterium dafür, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin geeignet ist, spielt der Dialekt erstmal keine Rolle“, sagt Doktor Constanze Wachsmann, die seit 20 Jahren als Personalberaterin arbeitet. „Es kommt immer auf die Kompetenz an“, erklärt sie. Allerdings beobachtet sie auch, dass „Managerinnen und Manager umso mehr versuchen ihre dialektale Herkunft glattzubügeln, je höher sie steigen“. Je höher die Position und je internationaler das Unternehmen, desto multikultureller ist häufig das Kollegium. Und jemand, der viele Menschen aus unterschiedlichen Gegenden, vielleicht sogar anderen Ländern leitet, müsse für alle verständlich sprechen. Verständlichkeit – darum geht es letzten Endes. Aber auch Authentizität. Ein breit schwäbisch schwätzender Manager, der ein internationales Unternehmen vertritt? Das wäre nicht authentisch. Das passt nicht zusammen.

60 Prozent der Deutschen sprechen laut einer Studie Dialekt. Dabei zeigt sich: Dialekt ist nicht gleich Dialekt. Trifft man auf jemanden, der nicht den eigenen Dialekt spricht, dann kann das statt Verbundenheit Ablehnung auslösen. Es entstehen Assoziationen in unserem Kopf, die nicht der Wahrheit entsprechen müssen und trotzdem den Eindruck der anderen Person beeinflussen. Das nennt man Linguizismus oder Sprachdiskrimminierung. Heutzutage ist vor allem der sächsische Dialekt negativ konnotiert.

Vom 16. bis 19. Jahrhundert waren Sächsisch und Thüringisch ein Symbol für Kultur und Intelligenz, denn die großen Dichter*innen und Denker*innen dieser Zeit lebten überwiegend in Thüringen und Sachsen-Anhalt. 

Johann Sebastian Bach war ein deutscher Komponist, Violinist, Orgel- und Cembalospieler des Barocks. Er wurde in Eisenach in Thüringen geboren. 

Georg Friedrich Händel war ein deutscher Komponist in der Barockzeit. Er wurde in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt geboren. 

Die Werke von Johann Wolfgang von Goethe zählen zu den wichtigsten der Weltliteratur. Er wurde in Frankfurt am Main geboren und lebte später in Weimar (Thüringen). 

Johann Friedrich Christoph Schiller war einer der bekanntesten deutschen Lyriker und Dichter. Er wurde in Marbach am Neckar geboren und lebte später in Weimar (Thüringen). 

Das Spannende ist: vor einiger Zeit bedeutete sächsischer Dialekt das Gegenteil von dem, was er heute bedeutet. „Heute assoziieren wir sächsischen Dialekt mit der DDR“, erklärt Petra Ziegler. „Doch vom 16. Bis zum 19. Jahrhundert waren Sächsisch und Thüringisch ganz schicke Dialekte. Wo hat Bach gelebt? Wo hat Händel gelebt? Die haben in Sachsen-Anhalt gelebt, oder Weimar als thüringische Stadt – dem damaligen Zentrum der Kultur. Dort war Goethe, dort war Schiller. Und da hat man diesen Dialekt und diesen Akzent gut gefunden. Manche Leute haben ihn sogar imitiert, damit sie schick klingen.“ 

Ein Lebkuchenherz mit der Aufschrift "Du bisch mei Schpätzle" hängt an einem Stand auf dem Frühlingsfest, der Lebkuchenherzen verkauft.
Auf Lebkuchenherzen, die man vorwiegend auf Märkten und Volksfesten findet, wird Dialekt zum Ausdruck von Kultur und Identität.
Quelle: Mia Röhm/Melanie Weeber

Zweisprachigkeit ist der Weg zum Erfolg

Willikonsky, Ziegler und Wachsmann sind sich einig: Es ist die Fähigkeit sowohl Hochdeutsch als auch Dialekt zu sprechen, die einem alle Türen öffnet. Und wer bisher nur Dialekt spricht, sollte sich nicht von den Studien abschrecken lassen. Einen Dialekt sprechen zu können, sei ein Geschenk, denn Hochdeutsch könne man auch als Erwachsene*r noch dazulernen, Dialekt hingegen nicht, sagt Willikonsky. „Ich weiß von Studien auch, dass die Professoren, die Dialekt sprechen, für sympathischer, aber für weniger kompetent gehalten werden. Aber ich glaube, wenn ein Professor beides kann, dann ist er sympathisch und kompetent“, beteuert sie.

Günther Oettinger rät zu Authentizität. „Wenn Sie in Coburg Abgeordneter werden wollen und das Fränkische verleugnen und das rollende R, dann sind Sie nicht aus Coburg, sondern sind da jetzt beruflich wohnhaft. Aber wenn Sie in Coburg aufgewachsen sind und das verleugnen, sind Sie nicht authentisch“ erklärt er. „Ich finde, Authentizität, also sprich, zu verkörpern, was man ist, ist ein wichtiger Faktor für Vertrauen und Glaubwürdigkeit.“

In guter schwäbischer Manier bietet er der Reporterin eine halbe Butterbrezel an, wickelt sie in eine orange Serviette, gibt sie ihr und verabschiedet sich in das nächste Meeting.

Deine Meinung interessiert uns

Sprichst Du Dialekt?

Ja

Abstimmen

Nein

Abstimmen
Nach der Abstimmung siehst du das Ergebnis.