Backyard Ultras 7 Minuten

Wo der Schmerz beginnt, fängt der Wettkampf erst an

Last Soul Ultra Teilnehmer Mauritz Ehmann steht nachts vor der Rangliste der verbliebenen Läufer und belegt Platz 6.
Mauritz Ehmann lief beim Backyard Ultra „Last Soul Ultra“ durch Tag und Nacht und belegte am Ende den sechsten Platz. | Quelle: Philipp Mayer
10. Dez. 2025

Es ist Nacht. Dunkel, kalt, ungemütlich. Trotzdem laufen sie weiter: Stunde um Stunde, Kilometer um Kilometer, bis Körper und Kopf kaum noch mitmachen. Beim Backyard Ultra geht es längst nicht mehr nur um Ausdauer – sondern darum, die eigenen Grenzen zu finden und sie zu überschreiten.

Die Luft ist kühl, der Boden noch feucht vom Vortag. Im Startbereich herrscht eine konzentrierte Stille, nur vereinzelt hört man das Knirschen von Schritten oder das Klicken einer Stirnlampe. Jeder hier weiß: Die kommenden Stunden werden zäh – und genau darum geht es. Doch warum tut man sich das überhaupt an? Den eigenen Körper stundenlang an seine Grenzen zu bringen? Einer, der genau das gemacht hat, ist Mauritz Ehmann. Der 28-Jährige, Gesundheitsmanager und Abnehmcoach, hat seit 2017 selbst rund 40 Kilo abgenommen und suchte irgendwann nach neuen Herausforderungen. Beim diesjährigen Backyard „Last Soul Ultra“ stellte er sich einer davon: 31 Runden in 31 Stunden, insgesamt 207,7 Kilometer, am Ende Platz sechs. Für ihn stand vor allem eines im Fokus: die eigenen Grenzen zu testen und zu verschieben. Herauszufinden: „Wo ist mein Limit? Was ist die beste Version von mir?“ Dieses Gefühl teilen viele Läuferinnen und Läufer, die sich auf ein Backyard Ultra-Abenteuer einlassen.

Was genau ist überhaupt ein Ultralauf?

Ab wann wird ein Lauf eigentlich „ultra“? Ganz einfach: Sobald er länger ist als die klassische Marathondistanz von 42,195 Kilometern. Alles darüber gilt als Ultralauf – egal ob 43 Kilometer oder mehrere Tausend, wie bei Transkontinentalläufen, die über Wochen oder sogar Monate dauern.

Anders als bei einem normalen Marathon geht es hierbei nicht nur ums Laufen. Die Distanzen sind so lang, dass die Teilnehmenden unterwegs auch mal gehen, essen oder sogar kurz schlafen müssen. Kein Ultralauf gleicht dabei dem anderen. Manche Rennen haben eine feste Strecke, die es zu bewältigen gilt. Bei anderen zählt, wer in einer bestimmten Zeit die größte Distanz schafft – ob auf Asphalt, Trail oder quer durch die Wüste. Eine ganz besondere Variante sind die sogenannten Backyard Ultras. Dabei müssen die Läuferinnen und Läufer zu jeder vollen Stunde eine 6,706 Kilometer lange Runde absolvieren.  Die Pausenlänge richtet sich nach dem Tempo. Ob in 35 oder 55 Minuten, zur vollen Stunde müssen alle erneut starten. Das Rennen endet erst, wenn nur noch eine Person übrig ist. Wie lange das dauert, weiß vorher niemand – und genau das macht den Reiz aus.

Teilnehmer des Last Soul Ultra stehen nachts zur 10. Runde an der Startlinie.
93 Athlet*innen starteten am 3. Oktober 2025 in Bornheim beim Last Soul Ultra – beendet wurde das Rennen erst am 6. Oktober.
Quelle: Philipp Mayer

„Wo ist mein Limit?“ – Die Motivation hinter dem Backyard Ultra

Für Mauritz war es sein erster Ultralauf. Da er zuvor bereits Marathons gelaufen ist, haben sich die ersten Kilometer noch leicht angefühlt – fast schon spaßig. In den ersten fünf bis zehn Runden (33–67 km) haben die Teilnehmenden viel miteinander gesprochen, sich ausgetauscht, gelacht. Doch spätestens mit der einsetzenden Dunkelheit und den knapp 100 absolvierten Kilometern wurde es ernst. Die Stunden zwischen 2 und 6 Uhr morgens beschreibt er als die härtesten des gesamten Laufs. Da brauchte es die Motivation seiner Crew, aber auch ein starkes Mindset, um nicht einfach auszusteigen.

Mauritz erzählt, dass in diesen Momenten vor allem der Kopf zur größten Hürde wurde: „Du hast dann plötzlich 10.000 Gründe, warum man jetzt aufhören sollte.“ Trotzdem lief er weiter. Nicht um eine bestimmte Distanz oder Platzierung zu erreichen, sondern weil er sich zuvor fest vorgenommen hatte, erst dann aufzuhören, wenn es wirklich nicht mehr geht. Der Wille, weiterzumachen, bis sein Körper endgültig kapituliert.

„Du hast dann plötzlich 10.000 Gründe, warum man jetzt aufhören sollte.“

Mauritz Ehmann (Teilnehmer Last Soul Ultra 2025)

Mit dem ersten Sonnenlicht drehte sich alles. Das Laufen wurde schlagartig leichter und seine Rundenzeiten plötzlich zehn bis 15 Minuten schneller als in der Nacht. Ein Moment, der ihm gezeigt hat, wie sehr Tageslicht und mentale Verfassung eine Rolle spielen – und wie weit man wirklich gehen kann.

Welche gesundheitlichen Risiken birgt ein Ultralauf für den Körper?

Mit den körperlichen und psychischen Belastungen eines Ultralaufs hat sich Daniel Alexander Bizjak, Doktor am Universitätsklinikum Ulm intensiv beschäftigt. Bizjak formuliert ganz klar: Ein Ultralauf an sich ist nie gesund. Das Training davor kann aber durchaus positive Effekte auf den Körper haben. Regelmäßiges Laufen stärkt Herz und Kreislauf, verbessert die Lungenfunktion, kräftigt Muskulatur und Knochen und erhöht die allgemeine Fitness. Von all diesen Aspekten profitiert der Körper langfristig. Doch der Wettkampf selbst bedeutet puren Stress für den Körper. Das zeigt sich besonders in den Tagen danach. In den drei Tagen nach dem Rennen ist das Immunsystem deutlich geschwächt, weil der extreme Belastungsstress die körpereigenen Abwehrkräfte herunterfährt. Gerade deshalb ist die Regenerationsphase entscheidend: schlafen, essen, ausruhen – aber auch in Bewegung bleiben. Bizjak empfiehlt außerdem ganz klassisch die Eistonne zur schnelleren Regeneration.

Einer der größten Risikofaktoren während des Rennens ist der Schlafentzug. Bizjak beschreibt, dass viele Läufer*innen gegen Ende nur noch wie in Trance unterwegs sind. Vor allem die Nacht macht dem Körper zu schaffen. Nicht nur physisch, sondern auch mental. Sobald es dunkel wird, will der Körper schlicht schlafen. „Der Schlafmangel ist am Ende das leistungslimitierende Element. Irgendwann wird es kognitiv einfach schwierig, sich zu konzentrieren“, so Bizjak. Auch Mauritz Ehmann machte diese Erfahrung. Für ihn verschwammen die Stunden nach Sonnenaufgang fast komplett: „Es war dann irgendwie einfach nur so ein Film von 8, 9 Uhr morgens bis 19 Uhr abends. Es ist einfach abgelaufen. Ich habe nicht mehr viel gesprochen, nicht mehr viele Erinnerungen daran.“ Er erklärt, dass viele Eindrücke im Wettkampf gar nicht im Langzeitgedächtnis ankommen. Zu viele Gedanken, zu viele Reize, zu wenig Schlaf. Alles läuft nur noch automatisiert ab. Runde für Runde, Schritt für Schritt. Gerade hier zeigt sich, wie nah Backyard Ultras an jene Schwelle führen, an der sportliche Herausforderung zur echten Grenzerfahrung wird – und manchmal auch einen Schritt darüber hinaus.

Mauritz Ehmann liegt auf einer Liege, erholt sich und isst, während eine Frau aus seiner Crew ihm die Beine massiert.
Wie viel Pause die Sportler*innen haben, hängt von ihrer Laufgeschwindigkeit ab. Zur vollen Stunde müssen sie erneut an der Startlinie bereitstehen.
Quelle: Philipp Mayer

Ein weiterer Extrempunkt ist der enorme Energieverbrauch. Im Schnitt haben die Teilnehmenden rund 11.000 Kalorien verbrannt. Genau hier beginnt für viele das eigentliche Problem. Entweder fehlt nach Stunden die Lust zu essen oder der Körper verträgt die Energiegels und Snacks nicht mehr. Die meisten setzen stark auf Kohlenhydrate, was sinnvoll ist. Trotzdem sollten Läuferinnen und Läufer auch auf genügend Proteine achten, weil diese helfen können, Muskelschäden zu reduzieren.

Doch was bringt die meisten Ultraläufer*innen letztendlich zum Aufgeben eines Wettkampfs? Im Gegensatz zu Marathonläufen sind es weniger klassische Muskelschäden. Das langsamere Tempo sorgt dafür, dass die Muskulatur besser durchhält. Stattdessen scheitern viele an Magen-Darm-Problemen oder mentalen Einbrüchen – also an genau den Faktoren, die zeigen, wie sehr der Kopf beim Ultralaufen mitläuft. Auch für Mauritz war die mentale Belastung entscheidend: „Der Kopf ist schon das, was dich am meisten challenged.“

Diese Phasen hat Mauritz Ehmann bei seinem ersten Backyard Ultra durchlaufen und beziehen sich auf seine Erfahrungen. | Quelle: Linda Wannek, erstellt mit genially

Die Frage, wie weit es noch geht

Wenn man sich mit Backyard Ultras beschäftigt, merkt man schnell, wie stark die Tendenz ist, sportliche Leistungen immer weiter ins Extreme zu treiben. Und man fragt sich unweigerlich: Wo soll das eigentlich noch hinführen? Die Faszination für Formate wie den Backyard Ultra zeigen genau dieses Spannungsfeld. Auf der einen Seite die Herausforderung, die eigene Grenze zu finden oder sie bewusst zu verschieben. Auf der anderen Seite die Tatsache, dass diese Wettkämpfe körperlich und mental kaum mehr etwas mit „gesundem Sport“ zu tun haben. Wie Bizjak sagt: Das Training davor kann sinnvoll und gesund sein, aber der Wettkampf selbst bringt den Körper in Bereiche, die eindeutig Risikozonen sind.

Gleichzeitig beweisen Läufer wie Mauritz, warum diese Formate trotzdem so viele Menschen anziehen: Es geht um Selbstfindung, um mentale Stärke, um den Reiz, etwas zu schaffen, von dem man nie gedacht hätte, dass es möglich ist. Mauritz kämpfte stundenlang gegen den eigenen Körper und Kopf, die ihm sagten, er solle aufhören. Stattdessen testete er immer wieder, wie weit er tatsächlich gehen kann. Für ihn war der Last Soul Ultra ein Learning-Erlebnis: Obwohl er in der Nacht glaubte, nicht mehr weiterlaufen zu können, schaffte er am Ende noch über zehn Stunden Distanz. Dieser Mix aus mentaler Herausforderung und absoluter Faszination macht Backyard Ultras zu einer Sportart, die schwer zu greifen ist – irgendwo zwischen Grenzerfahrung und Grenzüberschreitung.

Deine Meinung interessiert uns

Backyard Ultras – faszinierende Herausforderung oder völlig übertrieben?

Beeindruckend – ich finde die Herausforderung spannend und nachvollziehbar.

Abstimmen

Übertrieben – für mich geht das deutlich zu weit.

Abstimmen
Nach der Abstimmung siehst du das Ergebnis.