Warum LEGO auch Erwachsene begeistert

„Ich bin zum Kotzen kreativ“

10. Dez. 2018

Der Spielzeugklassiker ist nur was für Kinder? Von wegen! LEGO-Künstler Andreas Reikowski zeigt, wie viel Potenzial in den kleinen Steinen steckt. Doch was bewegt einen Erwachsenen, jede freie Minute damit zu verbringen?

Verborgen hinter einer unscheinbaren, hölzernen Eingangstür befindet sich das Paradies eines jeden LEGO-Fans. Hier wohnt und baut Andreas Reikowski. Er erwartet uns bereits mit einem Lächeln auf dem Gesicht und frisch aufgebrühtem Kaffee in der Hand. Der gebürtige Hamburger ist ein „Adult Fan of LEGO“, in der Szene kurz AFOL genannt. Für den 55-Jährigen ist LEGO nicht nur ein Hobby, so wie für andere Lesen, Kochen oder Klettern. Andreas verbringt seine gesamte Freizeit am liebsten mit seinen Steinen.

Bis fast an die Decke reichen die Türme seiner aktuellen Konstruktion. Wie klein wirken da die LEGO-Häuser, die wir als Kinder mühsam zusammengebaut haben. Kein Vergleich zu diesem beeindruckenden Kunstwerk mit seinen vielen Details, die uns Andreas stolz präsentiert. Zwei Monate hat er an dieser futuristischen Stadt gearbeitet, die schwierigste Phase war die Ideenfindung. Doch sobald eine Idee steht, läuft es. Wenn ihm diese Idee morgens um vier Uhr kommt, dann fängt er auch in den frühen Morgenstunden mit dem Bauen an.

Und wenn es einmal nicht klappt, dann ist die Verzweiflung groß:

Man merkt Andreas an, dass ihm das LEGO-Bauen alles bedeutet. Für ihn ist es ein Werkzeug, um sich auszudrücken und seine Kreativität auszuleben. An seinem Ateliertisch arbeitet er an neuen Konstruktionen – sortiert, baut und verwirft auch mal wieder. Direkt dahinter befinden sich mehrere Regalreihen voller LEGO-Steine in allen Farben und Größen. Mit gerunzelter Stirn steht er vor den Schubern und wühlt suchend darin herum. Das Sortieren der Steine ist eine Aufgabe für Mußestunden. Tatsächlich steht er den Großteil der Zeit vor seinen Schubern und sucht nach einem Teil, von dem er weiß, dass er es irgendwo hat, es aber nirgendwo finden kann. Jahre später findet er es wieder: „Das sind die kleinen Freuden, die man so hat.“

Andreas bezeichnet sein LEGO-Zimmer als Atelier.
Die LEGO-Figur in Andreas‘ Hand symbolisiert ihn selbst. Seit etwa 15 Jahren ist er begeisterter Fan.
„Ich weiß nicht, wie viele Steine da verbaut sind. Ich weiß auch nicht, wie viele Steine ich überhaupt habe. Wenn‘s drauf ankommt, fehlt ohnehin immer einer.“
Ein etwas anderer Blick auf einen LEGO-Turm.
Andreas‘ LEGO-Projekt „SteamPunkCityBlues“ setzt sich mit der Frage auseinander, wie es wäre, wenn die Dampfmaschine die Welt beherrschen würde. Der Dampf wird von LEGO als Eiskugeln verkauft.
Damit seine Konstruktionen leuchten, legt Andreas sein Smartphone im Taschenlampen-Modus in den LEGO-Turm.
Nach dem Fertigstellen von „Toa Punk Desert Hole“ wurde dieses Projekt für ein paar Wochen unter Andreas‘ Bett gelagert, damit sich eine echte Staubschicht darüber legte.
Die Konstruktionen von Andreas haben nur noch wenig mit dem „LEGO-Bauen“ unserer Kindheit zu tun. Sie sind komplex und anspruchsvoll.
Ausstellung in der Stadtteilbibliothek Weilimdorf: Andreas stellt seine Bauten regelmäßig in verschiedenen Locations im Umkreis Stuttgart aus.

Das Wichtigste an seinem Hobby ist für Andreas der Kontakt zu seinem Publikum, weshalb für ihn Ausstellungen im Vordergrund stehen. Denn dort kann er Menschen mit dem erreichen, was er macht, sie mit seinen Konstruktionen begeistern und Kinderaugen zum Glänzen bringen. Für Andreas ist die Beschäftigung mit LEGO eine sehr emotionale Angelegenheit. Ein Schlüsselmoment war für ihn der Tod seines Sohnes im Jahr 2012. Sein Kunstwerk „Da ist mein Lieber ja!“ widmet er allen Kindern, denen er mit seiner Kreativität eine Freude bereitet.

Bei seinem Werk „Da ist mein Lieber ja!“ hat sich Andreas vom spanischen Kurzfilm „La Cabina“ inspirieren lassen.

LEGO-geplagte Partner

Doch Andreas muss zugeben: LEGO-Bauen kann in einem solchen Ausmaß durchaus „familieninkompatibel“ sein. Im LEGO-Jargon gibt es die Abkürzung „LGP“, das steht für LEGO-geplagte Partner. „Wer einen Partner hat, der das volle Pulle mitmacht, der ist ein glücklicher Mensch“, meint er. Es gäbe aber auch viele Männer, die könnten sich nur ab und zu mal auf einer LEGO-Ausstellung austoben und dort die Batterien aufladen – was dann für die nächsten zwei Jahre ohne LEGO wieder reichen muss. Außerdem muss man für dieses Hobby tief in die Tasche greifen.

„Die Frage nach meinen Ausgaben für LEGO-Steine ist in etwa so sexy wie die Frage nach Geschlechtskrankheiten.“

Andreas Reikowski

Die Steine, die aktuell in seinem Atelier liegen, haben wohl den Gegenwert eines Mittelklassewagens. Und dabei sind nicht nur die Steine selbst ein Kostenfaktor. Häufig unterschätzt würden auch die Ausgaben für die Boxen, in die das LEGO daheim sortiert wird. Und die Transportkosten, falls man seine Bauten auf einer Ausstellung präsentieren will. Um seine Türme ausstellen zu können, bräuchte er schon einen ganzen LKW.

Um sein Hobby organisierter betreiben zu können, hat Andreas 2015 zusammen mit Daniel Schäfers den Stuttgarter LEGO-Verein „Schwabenstein 2x4“ gegründet. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der zur Kulturförderung beitragen möchte. Einmal im Monat treffen sich die LEGO-Fans auch zum Vereinsstammtisch. Da werden dann bei einem Bier die neuesten, selbstgebauten Werke vorgestellt und bewundert. Neben AFOLs richtet sich der Verein aber auch an LEGO-begeisterte Jugendliche.

LEGO als Teenager - cool oder peinlich?

Ein Mitglied des „Schwabenstein 2x4“ ist auch der fünfzehnjährige Hüseyin. Sein Spezialgebiet sind historische Bauten, er hat viele Modelle aus dem Zweiten Weltkrieg gebaut und will sich nun den napoleonischen Kriegen widmen. Doch was halten andere Jugendliche von seinem Hobby?

Hüseyins Mutter war am Anfang nicht so begeistert und noch immer stört sie manchmal die Unordnung zuhause. Das Haus sei voll mit LEGO – nicht nur in Hüseyins Zimmer, auch im Korridor und im Gästezimmer werde es nun schon gelagert. „Ich schimpfe manchmal, wenn er nicht aufräumt“, sagt sie. Dann lacht sie aber und gibt zu: „Er hat ein schönes Hobby, das gefällt mir.“ Ihr Sohn habe sich auch positiv weiterentwickelt, sei viel kreativer geworden. Und auch Andreas und Daniel freuen sich über so motivierte, junge Mitglieder.

Der Kaffee ist ausgetrunken und Andreas verabschiedet uns herzlich. Er versichert uns, dass er und sein Verein noch viele Jahre eine Anlaufstelle für LEGO-Liebhaber jeden Alters sein werden. Und wer weiß, vielleicht entdeckt ja auch der ein oder andere von euch seine LEGO-Leidenschaft beim Aufräumen des Dachbodens wieder? Ob ihr das Zeug zum richtigen AFOL habt oder doch lieber bei DUPLO-Steinen bleibt, könnt ihr in unserem Quiz testen!

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