Hype-Ökonomie 5 Minuten

Unboxing the mind: Was hinter dem Hype um Blindboxen steckt

Handtasche mit den Blindbox-Sammelobjekten Labubus
Labubu trifft Luxushandtasche. Hier zeigt sich, wie Emotion zu Kapital wird. Ein stilles Machtspiel des Marktes. | Quelle: Jana Seibert
10. Dez. 2025

Kleine Box, großer Kick. Überraschung, FOMO und TikTok-Hype. Blindboxen wie Labubus verdrehen jungen Käufer*innen die Köpfe. Ein Trend, der zeigt, wie clever Emotion und Konsum heute zusammenspielen.

Alles begann mit einer kleinen, eigensinnigen Figurenwelt: „The Monsters“. Verspielt, leicht düster und sofort kultverdächtig. Hinter ihr stand der Hongkonger Künstler Kasing Lung, der 2015 mit der gleichnamigen Zeichentrickserie erstmals Aufmerksamkeit erregte. Wenig später folgte die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Unternehmen Pop Mart und aus den ersten Plüschfiguren wurden jene Blindbox-Sammelobjekte, die heute weltweit gehypt werden.

Spätestens, als Lisa von der K-Pop-Gruppe „Blackbin“ öffentlich von ihrer Labubu-Obsession sprach und „Rihanna“ und „Dua Lipa“ damit gesichtet wurden, ging der Hype weltweit durch die Decke. Auch in Deutschland wuchs der Trend rasant: die Influencerin „paulasenfkorn“ bezeichnete die Figuren in einer Dokumentation sogar als „Fashion Statements“. Und das stimmt, der Trend ist längst auf der Straße angekommen: zunehmend lassen sich Labubus beispielsweise als Anhänger an hochpreisigen Hermès Taschen beobachten. Damit sind die Plüschfiguren weltweit bekannt.

Was ist eine Blindbox?

Eine Blindbox ist ein Konsumprodukt, das in einer undurchsichtigen, äußerlich stets gleich gestalteten Verpackung angeboten wird. Der konkrete Inhalt, etwa verschiedene Figurenvarianten, bleibt bis zum Öffnen unbekannt. Man kennt lediglich die Produktserie, nicht jedoch das einzelne Modell. Gerade dieses Überraschungsmoment erzeugt ein belohnungsähnliches Erlebnis und macht den besonderen Reiz dieser Verkaufsform aus. Zudem sind Blindboxen limitiert und nicht unendlich verfügbar. 

Quelle: Yi Zhang und Tianqi Zhang

Der wirtschaftliche Erfolg von Blindboxen lässt sich vor allem durch die Kombination aus Unsicherheit, emotionaler Belohnung und geschicktem Markenaufbau erklären. Gerade die Ungewissheit darüber, welche Figur sich in der Box befindet, steigert den emotionalen und sozialen Wert eines Produkts deutlich. Der soziale Wert beschreibt dabei den zusätzlichen Nutzen, der entsteht, wenn ein Produkt durch Austausch, Anerkennung oder Zugehörigkeit innerhalb einer Gemeinschaft an Bedeutung gewinnt. Damit wird die Kaufbereitschaft erhöht, während der funktionale Nutzen zweitrangig wird. Dieses Prinzip bildet den Kern des Geschäftsmodells der Blindbox. 

Marken verkaufen nicht nur ein Produkt, sondern das Erlebnis der potenziellen Belohnung. Das bestätigt auch Wirtschaftspsychologin Prof. Dr. Mira Fauth-Bühler. Sie erklärt, dass die Erwartung auf eine mögliche Belohnung „bereits vor dem Kauf einen dopaminbasierten Spannungszustand erzeugt“ und damit die Motivation steigert, immer wieder zu kaufen. Blindboxen haben längst einen globalen Wachstumsmarkt. Die Branche wurde 2024 auf rund 7,2 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll bis 2031 auf etwa 13,5 Milliarden US-Dollar anwachsen, was einem jährlichen Wachstum von rund 9,5 % entsprechen würde.

Foto von Verpackungen verschiedener Blindboxen
Für diese Boxen stehen Käufer*innen oft stundenlang Schlange. „The Monsters“ Figuren von Pop Mart und anderen Blindboxen, gab es in einem Spielzeugladen in Stuttgart vermehrt zu finden. Labubus nicht.
Quelle: Jana Seibert

Besonders interessant ist dabei der spekulative Charakter des Systems, denn seltene Figuren erzielen auf dem sekundären Markt zum Teil extrem hohe Wiederverkaufspreise. Dieses Phänomen erzeugt wiederum zusätzlichen Hype und heizt die Erstverkäufe der Marken weiter an.

Dazu kommt die massive Präsenz auf den Social-Media-Plattformen. Marken setzen die Plattformen, wie TikTok, Instagram und YouTube gezielt ein, um eine breite Zielgruppe zu erreichen. Es entsteht ein User-Generated-Content, der durch Influencer wie „Paula Senfkorn“ oder die „Jindaouis“ verbreitet wird und so Millionen Aufrufe erzielt. Der Ursprung des heutigen Geschäftsmodells der Blindbox liegt im 17. Jahrhundert. Hier wurden in Japan zu Neujahr Überraschungstüten verkauft und es bildete sich die Tradition der Fukubukuro („Lucky Bags“). Mit dem Aufkommen sozialer Medien erhielt die lange Tradition der Fukubukuro eine völlig neue Dynamik. Das ursprünglich japanische Neujahrsritual wurde durch die digitale Vernetzung global hervorgehoben und verwandelte sich von einem regionalen Brauch zu einem international verbreiteten Vermarktungskonzept.

Zeitstrahl wie sich die Blindboxen verändert haben
Die Ursprünge der „Fukubukuro“ reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Der Zeitstrahl setzt ab den 1960er-Jahren an, weil sich ab diesem Zeitpunkt die moderne Blindbox-Kultur entwickelte und der heutige Hype seinen Verlauf nahm.
Quelle: Jana Seibert

Wieso kaufen wir Labubus oder andere Blindboxen?

Der Reiz von Blindboxen basiert auf einer Reihe tief verankerter psychologischer Mechanismen, die unser Entscheidungs- und Belohnungssystem besonders stark aktivieren. „Es ist der Reiz der Neugier (...) Das Gehirn will die Informationslücke schließen“, sagt Prof. Dr. Christian Fichter, Prorektor Angewandte Forschung & Entwicklung an der Kalaidos Fachhochschule Schweiz.

Warum der Mensch Informationslücken nicht erträgt

Erklären lässt sich dieses Phänomen mit der „Curiosity Gap“. Sie beschreibt die Spannung, die entsteht, wenn wir eine Informationslücke wahrnehmen, wie den unbekannten Inhalt einer Blindbox. Das Gehirn empfindet diesen Zustand als unvollständig und versucht aktiv, diese Lücke zu schließen. Diese Spannung wird von uns Menschen als positiv stimulierend wahrgenommen.

Vor allem Jugendliche wären davon besonders betroffen, denn deren Entscheidungsfähigkeit sei noch nicht vollständig ausgereift, sagt Prof. Dr. Mira Fauth-Bühler. Gleichzeitig befinden sich die präfrontalen Kontrollareale noch im Reifungsprozess. Diese neurologische Konstellation macht das Geschäftsmodell so wirkungsvoll. Unwissenheit über den Inhalt einer Blindbox steigert den emotionalen Wert eines Produkts und erhöht damit die Kaufmotivation.

Wie Fehlkäufe unsere Motivation steigern

Das Prinzip der variablen Verstärkung, also eine unvorhersehbare und zufällige Belohnung, wirkt dabei besonders motivierend und fördert Wiederholungskäufe. Bleibt diese erwartete Belohnung allerdings aus, bricht das Kaufverhalten nicht ab, sondern verstärkt den Impuls, erneut zu kaufen. Das Muster ist aus der Glücksspielpsychologie bekannt und entspricht dem sogenannten Loss Chasing. Beim Loss Chasing versuchen Menschen, den erlebten „Verlust“, also eine Box ohne den gewünschten Inhalt, durch erneuten Kauf auszugleichen. Man kann nicht aufhören, bis man seinen Verlust „ausgeglichen“ hat. Der häufig auftretende Near-Miss-Effekt, also wenn man „fast“ die richtige Figur gezogen hat, steigert die Motivation zusätzlich. Dieser Kreislauf wird durch die ständigen Unboxing-Videos verstärkt. Man misst sich mit anderen, was den inneren Druck, Teil der Community zu sein, noch weiter erhöht. Soziale Anerkennung und Vergleichsreize aktivieren das Belohnungssystem ebenfalls und senken die Hemmschwelle für erneute Käufe. Ein ewiger Kreislauf von Emotionen und Reaktionen, der die Blindbox so funktional macht.

„Was heute Blind-Boxen sind, waren früher Sammelsticker oder Überraschungseier und werden morgen vermutlich KI-personalisierte Überraschungsmechanismen.“

Prof. Dr. Mira Fauth-Bühler, Professorin für Wirtschaftspsychologie & Neuroökonomie am FOM Hochschulstudienzentrum Stuttgart 

Diese Erkenntnis bringt es auf den Punkt: Blindboxen sind nicht nur harmlose Sammelfiguren, sondern Teil einer sich ständig weiterentwickelnden Konsumlogik, die immer neue Wege findet, Spannung, Belohnung und Knappheit zu vermarkten – und das auch in der Zukunft.

Wenn Konsum zunehmend über emotionale Verwundbarkeit statt über tatsächlichen Bedarf gesteuert wird, wenn Überraschung zum Geschäftsmodell und Unsicherheit zum Kaufanreiz wird, dann zeigt sich, wie geschickt und zugleich problematisch unsere modernen Märkte geworden sind. Die Blindbox macht sichtbar, wie leicht Erwartung und Emotion zu ökonomischen Ressourcen werden können. Der Erfolg von Labubus zeigt exemplarisch, wie eng Marketing und Kapitalisierung heute ineinandergreifen. In einer Konsumwelt, die sich so rasant weiterentwickelt, sind Blindboxen nicht nur ein Symptom, sondern ein Vorgeschmack auf die digitalisierte Überraschungswelt von morgen.

Und genau darin liegt die eigentliche Schwierigkeit: Je perfekter Marken darin werden, unsere Neugier, unsere Unsicherheiten und unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit anzusprechen, desto schwerer fällt es Konsument*innen, sich diesen Mechanismen zu entziehen. Besonders junge Menschen geraten dabei schnell in ein System, das weniger auf Selbstbestimmung und mehr auf Reizreaktion baut. Der Erfolg von Labubus zeigt exemplarisch, wie eng Marketing, Emotion und Kapitalismus heute ineinandergreifen. In einer Konsumwelt, die sich so rasant weiterentwickelt, sind Blind-Boxen nicht nur ein Symptom, sondern ein Vorgeschmack auf die digitalisierte Überraschungswelt von morgen.

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