Seniorenstudium

Studieren mit über 60

Trotz seines hohen Alters ist Anton Seitz einer der Jüngsten in seinem Seniorenstudium.
11. Dez. 2018
Jung, verplant und für jede Party zu haben. So stellt man sich einen Studenten vor. Aber nicht alle entsprechen diesem Bild. An deutschen Hochschulen befinden sich auch immer mehr Senioren im Hörsaal. Was motiviert Menschen im fortgeschrittenen Alter dazu, noch zu studieren?

Vor der Ludwig-Maximilians-Universität in München treffe ich den 64-jährigen Anton Seitz. In der einen Hand trägt er seine Tasche, in der sich sein Laptop befindet, in der anderen ein Gehstock. Wir setzen uns in die Cafeteria der Uni, um uns bei einem Cappuccino über sein Studium zu unterhalten.

Warum haben Sie sich entschieden, nochmal zu studieren?

Auch in meiner Karrierelaufbahn war ich ständig am Lernen. Wenn man mal in so einem „Lernrad“ drinnen ist, kann man nicht mehr aufhören. In der Uni kann ich mich von morgens bis abends mit neuen Sachen „vollstopfen“, mitreden und Fragen stellen. Ich kann das Studium Generale quer über alle Gebiete machen, in denen ich teilweise noch gar nicht war. Ich sehe an den Senioren, die nichts mehr gemacht haben und nur noch fernschauen, dass sie komische Verhaltensweisen entwickeln. Außerdem möchte ich soziale Kontakte beibehalten.

Was haben Sie vor dem Studium gemacht?

Mein Abitur habe ich 1973 gemacht und studiert habe ich anschließend in Regensburg. Anfangs Physik. Das hat mir jedoch nicht gefallen. Danach habe ich Volkswirtschaft, mit Wirtschaftsinformatik und Statistik, sowie Politik studiert. Insgesamt zehn Semester. Nach dem Diplom war ich in einem Start-up, anschließend bei Infratests in der Wirtschaftsforschung. Zuletzt war ich bei Siemens. Seit 2010 studiere ich hier.

Welche Kurse oder Vorlesungen besuchen Sie?

Ich mache zum Beispiel Grundkurs Zivilrecht, Jura, Philosophie, Geschichte, Medizin, Psychologie, BWL und VWL. Das alles kann ich in meinem Alltag nutzen. Medizinisch zum Beispiel kriege ich immer mehr ein Problem. So kann ich mit meinen Ärzten auf Augenhöhe reden. Als Patient sollte man nicht einfach alles schlucken. Ärzte verdienen ihr Geld mit Übertherapie. Wenn man das Wissen nicht hat, kann man sich nicht wehren.

Wie hat Ihre Familie reagiert?

Meine Familie war froh, dass ich mein normales Verhalten beibehalten konnte und nicht verrückt geworden bin. Meine Frau arbeitet schließlich selbst und meine Kinder studieren und sind aus dem Haus.

Merkt man den Altersunterschied im Verhalten?

Die Jüngeren sind genervt, wenn die Älteren nach der Vorlesung so viele Fragen stellen, da der Prof in dieser Zeit etwas erzählen könnte. Nachdem die Älteren jedoch ihre Fragen gestellt haben, trauen sich dann oftmals auch die jungen Studenten. Ansonsten ist die Unruhe nervig. Da werde ich auch mal blöd angemacht, wenn ich für Ruhe sorgen möchte.

Gibt es Unterschiede der Studenten von früher und heute?

Unsere Generation war viel aufsässiger. Wir waren mit den Professoren per du und haben auch wirklich mitdiskutiert und nicht einfach alles hingenommen. Heutzutage lernen die Studenten einfach alles auswendig, was ihnen erzählt wird.

Waren Sie mal auf einer Studentenparty?

Ja. Erst kürzlich fand eine Studentenparty für Senioren statt. Das war lustig.

Wie viele Stunden Vorlesung haben Sie in der Woche?

Ich habe das volle Programm. Ich kann mir immer aussuchen, wo ich hinwill. Früher war ich unter der Woche jeden Tag von 8 bis 18 Uhr in der Uni. Inzwischen fange ich um zehn an und gehe zum Teil um vier. Semesterferien sind der Horror für mich. Was soll ich da machen?

Schreiben Sie Prüfungen?

Man kann zum Teil Klausuren mitschreiben, da die Professoren ein Feedback haben möchten. Diese werden auch zum Spaß bewertet. Zählen tun sie jedoch nicht. Ich mache ja keinen Abschluss.

Wie gehen Sie mit der heutigen Technik um?

Ich habe 1975 in meinem Wirtschaftsinformatikstudium mit Lochkarten angefangen. Damals gab es noch keine Computer. Ich habe auch Programme geschrieben. Ich bin quasi ein „Computernerd“ von Anfang an. Heute habe ich meinen Laptop, in dem sich alles befindet. Das ist jedoch bei vielen anderen Senioren nicht der Fall.

Was gefällt Ihnen an dem Studium, was nicht?

Gut gefällt mir die Breite und dass ich mir meinen eigenen Stundenplan erstellen kann. Mir wird nichts vorgeschrieben. Wenn mir ein Prof nicht gefällt, weil ich ihn nicht souverän finde, dann muss ich auch nicht in seine Vorlesung. Negativ finde ich, dass manche Profs ihre Folien zu vollpacken und nicht fertig werden. Hinterher lassen sie dann kaum mehr Fragen zu.

Wie viel kostet das Studium für Sie? Und wie finanzieren Sie ihr Studium?

Das Studium kostet für mich 300 Euro im Semester. Für mich ist das kein Problem, da ich während meiner Arbeitszeit genug verdient habe.

Was halten Sie davon, dass sich heutzutage vor allem junge Studenten so hetzen?

Ich halte nicht viel davon. Mein Sohn hat auch lange studiert und ich habe ihm da keinen Druck gemacht. Es geht ja nicht darum, so schnell wie möglich fertig zu werden.

Wem würden Sie ein Studium mit über 60 noch empfehlen?

Jedem. Der Schnitt im Seniorenstudium liegt bei 70. Ich bin einer der „Jüngsten“. Man sollte sogar während der Arbeitszeit anfangen sich weiterzubilden, wenn man die Zeit hat.

Was würden Sie den Studierenden mit auf den Weg geben?

Nicht nur auf die Noten zu achten. Die besten Praktikanten und Werkstudenten, die ich in meiner Karrierelaufbahn hatte, waren die, die in ihrer Freizeit mehr gemacht haben, als für die Schule zu lernen. Man kann keinen Einser-Schnitt haben, wenn man noch mehr Interessen hat. Sonst muss man alles in die Schule „reinbuttern“. Der Schullehrplan ist jedoch nicht alles, was man für einen Job braucht. Mitmachen in Vereinen, Parteien und Jugendgruppen ist wichtig. Außerdem sollte man nach Interesse studieren. Die Lebenszufriedenheit kommt nicht durch das Geld.

Der 64-jährige Student Anton Seitz vor der LMU in München.