Sanfter Tourismus 5 Minuten

Nachhaltig ins nächste Reiseabenteuer

Wandern abseits ausgetretener Pfade ist eine „sanfte Reisepraktik“, die es erlaubt, die natürliche Umgebung zu erleben und zu schützen. | Quelle: Kevin Wollert
15. Mai 2024

Nachhaltigkeit spielt beim Reisen eine immer größere Rolle. „Sanfter Tourismus“ verspricht ein naturnahes, authentisches und nachhaltiges Reiseerlebnis. Doch was macht den Gegenentwurf zum Massentourismus aus und was bedeutet es, „sanfte*r Tourist*in“ zu sein? 

Auf Reisen mit dem Flugzeug fliegt bei zahlreichen Tourist*innen das schlechte Gewissen mit. Nicht selten geht die Reise an eine von Menschenmassen überlaufene Mittelmeermetropole. „Sanften Tourist*innen“ hingegen wird ein authentischer Urlaub und ein intensives Reiseerlebnis ganz ohne Trubel, Kommerzialisierung und großen internationalen Hotelketten versprochen. Doch was genau versteht man unter „Sanftem Tourismus“?

Der Begriff entstand im Jahre 1980 und wurde von dem Zukunftsforscher und Journalisten Robert Jungk geprägt. Seine Idee basiert darauf, das Reisen so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Themenschwerpunkte wie Umweltaspekte und soziokulturelle Entwicklungen des Reiselandes sollen dabei berücksichtigt werden. Diese Form des Tourismus stellt einen Gegenentwurf zum weitverbreiteten Massentourismus dar.

Der „Sanfte Tourismus“ hat das Ziel, die Natur des Urlaubsortes möglichst wenig zu beeinträchtigen. Er strebt danach, die Natur und das Reiseziel so intensiv wie möglich zu erleben und sich bestmöglich an die Kultur des bereisten Landes anzupassen. Gleichzeitig sollen die Bedürfnisse des Reisenden mit denen der Bevölkerung vereint werden. Diese Ziele basieren auf John Elkingtons Dreieck der Nachhaltigkeit. Das Dreieck berücksichtigt die Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichwertig.

Ökologie, Ökonomie und sozialer Kontext sind die Erfolgsfaktoren für Nachhaltigkeit.
Quelle: Kevin Wollert

Wie sieht der „Sanfte Tourismus“ in der Praxis aus?

Wie man einen „sanften Urlaub“ gestaltet, ist jedem selbst überlassen. Voraussetzung ist, den Grundgedanken des „Sanften Tourismus“ verinnerlicht zu haben und die Dimensionen des Nachhaltigkeitsdreiecks gleichermaßen zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich bei Auslandsreisen, die Landessprache in ihren Grundzügen zu beherrschen, um sich der Landeskultur anpassen zu können. Auf große Hotelkomplexe und importierte Lebensmittel sollte verzichtet werden. Den Flieger meidet man am besten ganz! Denn auch in der Umgebung gibt es sehenswerte Orte zu erkunden, die mit der Bahn zu erreichen sind. Sollte es doch mal in die Berge gehen, bietet sich Carsharing mit anderen wanderlustigen Touristen an, empfiehlt die Umweltmission.

Auf der Suche nach nachhaltigen Reiseangeboten hilft der Tourismus-Label-Guide weiter. Dieser bietet eine Übersicht an Labels, die Reiseangebote auszeichnen, welche natürliche Ressourcen schonen, Menschenrechte respektieren und der Landesbevölkerung einen Nutzen bringen. 

Lenny Baluschek liegt Nachhaltigkeit sehr am Herzen. Er wollte Europa auf „sanftem Wege“ bereisen und hat sich für eine Fahrradtour entschieden. In einem Interview erzählt er, wie er die Ziele und den Grundgedanken des „Sanften Tourismus“ dabei berücksichtigt hat. 

Der Verzicht auf das Flugzeug ist für ihn der größte Faktor, um weniger CO2 zu produzieren. Zur Fortbewegung nutzt er neben dem Rad noch Bus, Bahn und war schon per Anhalter unterwegs. Geschlafen wird im Zelt auf einem Campingplatz oder in der Wildnis. Näher könne man der Natur gar nicht kommen, findet Lenny, wobei Schlafmöglichkeiten häufig schwer zu finden sind. „Man liegt in der Natur und hört morgens die Vögel zwitschern, die Geräusche des Waldes oder des Wellenrauschens“, schwärmt der Weltenbummler. Um die Natur nicht zu beeinträchtigen „wird jedes kleine Fitzelchen Plastik und Papier mitgenommen“. Ohne diese Rücksicht kann man diese Art des Reisens laut ihm nicht gutheißen. Gerade wenn man auf einer Radtour häufig den Ort wechselt, ist es schwierig der Kultur näher zu kommen. Das gelingt am besten, wenn man länger an einem Ort verweilt. Kleine geführte Touren eignen sich, um die Kulinarik, Architektur und die Kultur des bereisten Landes kennenzulernen, so Lenny.

Lenny auf dem Weg von Montpellier nach Marseille.
Lenny auf dem Weg von Montpellier nach Marseille. | Quelle: Lenny Baluschek
Ein Abschiedsfoto einer zweiwöchigen Radtour auf Menorca.
Ein Abschiedsfoto einer zweiwöchigen Radtour auf Menorca. | Quelle: Lenny Baluschek
Ein Schlafplatz am Strand unter freiem Himmel im Gargano Nationalpark, Italien.
Ein Schlafplatz am Strand unter freiem Himmel im Gargano Nationalpark, Italien. | Quelle: Lenny Baluschek

Ein kritischer Blick auf den „Sanften Tourismus“ und seine Zukunft

Auf nachhaltigem Wege die Welt zu erkunden, scheint ausschließlich Vorteile zu haben. Der Tourismusexperte Georg Heisler nimmt im Interview direkt vorweg: „Es gibt keinen nachhaltigen Tourismus. Es gibt nur Möglichkeiten, durch Maßnahmen, wie dem Sanften Tourismus, das Reisen nachhaltiger zu gestalten.“ Würden jedoch alle Menschen auf Angebote der Reisebüros verzichten und sanft reisen, wären zahlreiche Arbeitsplätze bedroht. Manche Orte seien sogar vom Tourismus abhängig, erklärt Heisler. Ebenso befürchte er, dass viele Menschen aus gesundheitlichen Gründen gar nicht die Möglichkeit haben, beispielsweise auf dem Rad zu reisen. Nachhaltige Reiseangebote aus dem Reisebüro sind zudem meist teurer als herkömmliche Angebote und bleiben daher ein Nischenprodukt. Heisler sieht zwar ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit – einen Trend zum sanften Tourismus in der Reisebranche kann er jedoch nicht erkennen.

„Sanfter Tourismus“ steckt noch in den Kinderschuhen. Reiseanbieter und die lokale Bevölkerung müssten dieses Konzept noch weiter unterstützen, um den Massentourismus zu bezwingen. Wirtschaftlich schwache Länder sind jedoch häufig nur an kurzfristigen Gewinnen orientiert, betont die Umweltmission. Es müssen also Anreize für die lokalen Tourismusanbieter geschaffen werden und Reiseanfänger über diese Möglichkeit zu reisen informiert werden. Würden wir ab morgen allerdings alle sanft reisen, hätten wir wieder eine neue Form des Massentourismus.