Reerdigung: Nachhaltig bis über den Tod hinaus?
In Deutschland wird derzeit eine neue Form des Abschieds erprobt: die Reerdigung. Bei dieser Art der Bestattung wird der Körper einer verstorbenen Person kontrolliert kompostiert und nach 40 Tagen als fruchtbare Erde beigesetzt. Ursprünglich stammt das Verfahren aus den USA. Dort wurde die Reerdigung 2019 erstmals im Bundesstaat Washington erlaubt und ist heute in 14 US-Bundesstaaten legalisiert. In Deutschland wird sie seit 2022 in einem Pilotprojekt in Schleswig-Holstein von dem Anbieter „MEINE ERDE“ getestet. Es handelt sich dabei um eine alternative Form der Naturbestattung. Bisher muss Naturbestattungen stets eine Einäscherung vorausgehen, bevor die Beisetzung in der Natur erfolgen kann. Das soll sich mit der Reerdigung ändern.
Als Naturbestattung bezeichnet man eine Form der Beisetzung, die in der Natur stattfindet. Die bekanntesten Formen der Naturbestattung sind die Baum-, See- und Wiesenbestattung. Wegen der strengen Bestattungsgesetze waren sie in Deutschland lange Zeit nicht möglich. Inzwischen haben sich manche Gesetze gelockert, sodass heute etwa Wald- und Seebestattungen in ausgewiesenen Gebieten erlaubt sind.
Bei der Reerdigung wird der Körper mit pflanzlichen Materialien in ein sargähnliches Behältnis gelegt, in dem natürlich vorkommende Mikroorganismen das Weichgewebe innerhalb von 40 Tagen zu Erde zersetzen. Anschließend werden die verbliebenen Knochen gemahlen, bevor das Material auf dem Friedhof beigesetzt wird. Durch die Beigabe des pflanzlichen Substrats entsteht bei einer Reerdigung circa 100 Kilogramm neue Erde. Während die Reerdigung nur in Schleswig-Holstein durchgeführt werden darf, kann die Erde auf Friedhöfen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern beigesetzt werden.
Doch was macht die Reerdigung so nachhaltig?
Die Reerdigung wird als ressourcenschonendes Verfahren beschrieben. Der Prozess kommt ohne fossile Brennstoffe aus und es entfallen die Abgase, die bei einer Kremation entstehen. Die für den Prozess notwendige Wärme von rund 70 Grad wird durch die Aktivität der Mikroorganismen im Kokon erzeugt. Hinzu kommt, dass Reerdigungen nur wenig Fläche benötigen und der Ort der Beisetzung flexibel gestaltet werden kann. Auch der Materialaufwand ist gering, weil weder Sarg noch Urne eingesetzt werden müssen.
Die Qualität der entstandenen Erde wurde durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig untersucht. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass das Material Eigenschaften von Humus aufweist. Die Erde ist braun-schwarz gefärbt und enthält, wie für Humus typisch, abgestorbene Pflanzenteile und Fasern in unterschiedlichen Zerfallsstadien. Zudem gilt das Substrat als hygienisch unbedenklich. Es befindet sich in einem optimalen Zersetzungszustand, deshalb ist davon auszugehen, dass es bereits nach kurzer Zeit von Bodenorganismen besiedelt wird. Nach der Einbringung soll die Erde einem Hortisol, also einem Gartenboden, ähneln. Auch mögliche Umweltbelastungen wurden geprüft: Alle gesetzlichen Grenzwerte für Schwermetalle werden eingehalten und von Medikamentenrückständen bleiben nach dem Prozess nur minimale Spuren zurück. Dadurch ist eine relevante Belastung des Bodens oder des Grundwassers nicht zu erwarten. Olga Perov, die Pressesprecherin des Anbieters „MEINE ERDE“, beschreibt die entstandene Erde zudem als „langfristigen Bodenverbesserer“. Sie gebe über einen längeren Zeitraum Nährstoffe ab und könne so die Bodenqualität aufwerten.
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Hürden bei der Legalisierung
Trotz der ökologischen Vorteile ist die Reerdigung in Deutschland bisher nur in Schleswig-Holstein im Rahmen einer gesetzlichen Erprobungsphase zugelassen und bleibt weiterhin umstritten. Bislang existieren nur wenige wissenschaftliche Studien über die neue Methode. Die Untersuchung der Universität Leipzig begleitete lediglich zwei Reerdigungen des Anbieters „MEINE ERDE“. Kritische Stimmen bemängeln daher die geringe Datenbasis und äußern zudem Vorbehalte hinsichtlich Würde, Hygiene und praktischer Umsetzung.
Auch strukturelle und rechtliche Hürden erschweren die Einführung. Eine neue Bestattungsform zu etablieren sei generell schwierig, sagt Perov. Die letzte neue Methode, die Kremation, ist vor rund 150 Jahren entstanden. Seitdem hat sich die Bestattungslandschaft nicht viel verändert. Viele Bundesländer, die überwiegend Erd- oder Feuerbestattungen zulassen, zögern daher, ihre Regelungen zur Bestattung anzupassen. Perov hofft jedoch, dass ein Bundesland den Anfang macht. Denn wenn ein Land den Prüfprozess erfolgreich abgeschlossen und die Reerdigung gesetzlich verankert habe, könnten andere folgen.
Ob die Reerdigung langfristig Bestandteil der deutschen Bestattungskultur wird, ist noch offen. Die Methode bietet ökologische Vorteile, doch rechtliche Unsicherheiten, kulturelle Bedenken und die bislang geringe Datenlage bremsen ihre Verbreitung. Klar ist jedoch: In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit in vielen Lebensbereichen zunehmend wichtig wird, wird auch die Frage nach umweltfreundlichen Bestattungsformen weiter an Gewicht gewinnen.