Lieferkettengesetz

Lieber auf Menschenrechte verzichten?

Die Lieferketten von deutschen Unternehmen erstrecken sich oft über den ganzen Globus. Die Situationen vor Ort kennen die Firmen jedoch eher weniger oder ignorieren sie. Symbolbild
25. Juni 2020

Kippt die Corona-Krise jetzt auch noch das Lieferkettengesetz? Die weitere Planung des Gesetzes, das Standards für Arbeitsbedingungen und Umweltschutz in den Produktionsketten deutscher Unternehmen setzen soll, wurde nun erst einmal gestoppt. Dabei muss auch während einer Pandemie die Bekämpfung von Ausbeutung, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen – ganz gleich wo – eine Priorität bleiben. Ein Kommentar.

Eigentlich sollten am 12. März die ersten Eckpunkte für das neue Gesetz vorgestellt werden. Dann kam Corona und aufgrund der unsicheren wirtschaftlichen Lage der Aufschub. Jetzt besteht die Gefahr, dass das Lieferkettengesetz bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 nicht mehr beschlossen wird.

Deutsche Firmen nehmen Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörungen in ihrer Produktion weltweit in Kauf. Das geplante Gesetz verpflichtet Unternehmen mit mehr als 500 Angestellten und Sitz in Deutschland dazu, ihre Wertschöpfungsketten auf die Arbeitsbedingungen und den Umweltschutz hin zu überprüfen. Dazu sollen vor Ort Risikoanalysen durchgeführt und daraus entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. So lässt sich die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben kontrollieren. Wenn Unternehmen sich nicht an die Forderungen halten, müssen sie beispielsweise mit einem Bußgeld von bis zu fünf Millionen Euro rechnen.

Widerstand aus der Wirtschaft

Die Bundesregierung einigte sich im Koalitionsvertrag darauf, ein Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen, wenn weniger als 50 Prozent der betroffenen deutschen Unternehmen auf die Einhaltung der Menschenrechte achten. Und danach sieht es leider aus. Bei einer Kontrollerfassung wurden die Unternehmen zum Stand ihrer Sorgfaltspflichten im Bereich der Menschenrechte befragt, um zu überprüfen, ob sie sich freiwillig an die Vorgaben halten. Obwohl man die Frist verlängert und 3000 deutsche Firmen zweimal angeschrieben hat, meldeten sich lediglich 464. Nur 17 bis 19 Prozent dieser Unternehmen erfüllten die Vorgaben des nationalen Aktionsplans nach der zweiten Phase. Das sind wirklich herzlich wenige.

Wirtschaftsverbände versuchten immer wieder, die Befragung zu verzögern und ihre Aussagekraft zu schmälern. Des Weiteren warfen sie den beiden zuständigen Ministern Gerd Müller (CSU) und Hubertus Heil (SPD) vor, mit der Gesetzesinitiative „verfrüht“ und „ins Blaue“ zu schießen. Der Entwicklungsminister und der Arbeitsminister wollen nicht die Veröffentlichung der zweiten Befragungsrunde abwarten und arbeiten parallel bereits an einem Entwurf. Und das ist auch gut so. Immerhin haben sie für den Gesetzesbeschluss nur noch bis zum Ende der Legislaturperiode im nächsten Jahr Zeit. Auch die bisherigen vernichtenden Ergebnisse geben ihrem Vorhaben recht.

Auf die Bedenken der Arbeitgeber, man könne alle Lieferketten gar nicht genau nachvollziehen, konterte Müller in einem Interview mit der Berliner Zeitung: „Wer das sagt, lebt immer noch im 19. Jahrhundert.“ Es gebe Buchführungssysteme wie „Blockchain“, mit denen „Lieferketten komplett kontrolliert werden können“.

Langsam läuft die globale Wirtschaft wieder an. Der richtige Zeitpunkt, um sich für die Menschenrechte und den Umweltschutz in der Produktion einzusetzen.

Auch in der Krise realisierbar

Die Organisation "shift" hat herausgefunden, dass die Situation von zwei Milliarden Menschen verbessert werden könnte, wenn Unternehmen existenzsichernde Löhne in ihrer Produktion durchsetzen würden. Im Übrigen: Welches deutsche Gesetz eignet sich besser dafür, Fluchtursachen zu bekämpfen, als ein Lieferkettengesetz, das faire Löhne, die Einhaltung der Menschenrechte und bessere Arbeitsbedingungen sichern will?

Laut einer Studie der EU-Kommission würde eine Umsetzung der Mindeststandards große Unternehmen im Durchschnitt nur 0,005 Prozent ihres Gewinnes kosten. Also dürften die Ausgaben ihnen auch in der Corona-Krise nicht sehr wehtun.

Wollen wir es verantworten, dass der Wohlstand im eigenen Land immer noch auf Ausbeutung, Zwangsarbeit, Umweltzerstörungen und Kinderarbeit in anderen Ländern der Welt fußt? Frankreich beschloss ein ähnliches Gesetz schon 2017. Es ist Zeit, dass die Bundesregierung nachzieht und das Lieferkettengesetz endlich auf den Weg bringt – trotz Corona-Pandemie.