„Clankriminalität“- Wenn Schlagzeilen stigmatisieren
„Der Remmo-Clan und der Juwelenraub von Dresden“, der Titel einer Spiegel-TV-Doku, steht exemplarisch für die mediale Dramatisierung des Einbruchs ins Grüne Gewölbe, bei dem Kunst- und Schmuckstücke im Wert von mindestens 113,8 Millionen Euro gestohlen wurden. Schlagzeilen, Videos und Fahndungsbilder erweckten schnell den Eindruck, ein ganzer Clan sei verantwortlich. Zwar wurden in diesem Fall Mitglieder einer bekannten Großfamilie verurteilt, jedoch handelt es sich dabei um eine verschwindend kleine Gruppe von straffälligen Personen im Vergleich zu der gesamten Familienstruktur. Diese einseitige Darstellung trägt dazu bei, dass Vorurteile gegenüber diesen Menschen wachsen und ihre gesellschaftliche Integration erschwert wird. Man darf sich nicht nur auf Schlagzeilen stützen, sondern muss die Ursachen von Kriminalität differenzierter betrachten.
Das Problem beginnt beim Wort
Der Begriff „Clankriminalität“ wirkt auf den ersten Blick zwar eindeutig, ist aber juristisch nicht definiert. Auch in den Lagebildern von BKA und Bundesländern bleibt er verschwommen. Dort taucht er zwar im Kontext der organisierten Kriminalität auf, in der Praxis werden jedoch auch Fälle der Allgemeinkriminalität dazugezählt. In den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Berlin und Niedersachsen, in denen „Clankriminalität" in den vergangenen Jahren besonders im innenpolitischen Fokus stand, machten die dem Begriff zugerechneten Straftaten laut Mediendienst Integration 2022 lediglich 0,17 bis 0,76 Prozent aller registrierten Delikte aus. Der Großteil der erfassten Fälle hat jedoch nichts mit organisierter Kriminalität zu tun. Trotzdem arbeiten einige Landeskriminalämter mit Namenslisten von Familien, die durch ihre ethnische Herkunft oder verwandtschaftliche Strukturen darin eingeordnet werden. In NRW etwa reicht bereits ein bestimmter Nachname aus, damit selbst geringfügige Delikte anders bewertet werden. Ein Beispiel: Schwarzfahren gilt bei einer beliebigen Person als einfache Straftat, bei jemandem mit einem gelisteten Nachnamen oft als Fall von „Clankriminalität“. Diese Praxis führt zur Stigmatisierung ganzer Familien, wodurch unbeteiligte Angehörige in ein negatives Licht geraten. Dass es innerhalb dieser Familien einzelne Täter*innen gibt, steht außer Frage. Doch sie repräsentieren nicht die Gesamtheit.
Wenn Politik mit Angst Wahlkampf macht
Der Begriff „Clankriminalität“ ist aus der sicherheitspolitischen Debatte inzwischen kaum noch wegzudenken, insbesondere seit die Zuwanderungsdebatte in den letzten Jahren stark in den Fokus geraten ist. Die sogenannten Clans dienen dabei als ideale Zielscheibe, weil ein hartes Vorgehen vermeintlich schnelle Lösungen bietet und politische Handlungsfähigkeit signalisiert. Sichtbar wird diese Inszenierung in den mehr als 1600 öffentlichkeitswirksamen Razzien gegen Shisha-Bars oder Wettbüros. Eine Strategie, die NRW-Innenminister Reul selbst als „Politik der 1000 Nadelstiche“ bezeichnet. Besonders deutlich wird die politische Instrumentalisierung in Wahlkampfzeiten. Bei der letzten niedersächsischen Landtagswahl dominierten etwa Slogans der CDU, wie „Null Toleranz für Clans“ und 2020 warb die Hamburger AfD mit „Weltoffen! Aber nicht für Banden und Clans!“ Eine Botschaft, die Ängste schürt und einfache Antworten verspricht. In Niedersachsen fielen bei der Wahl 2022 lediglich etwa 0,6 Prozent der registrierten Straftaten auf Clankriminalität zurück. Niedersachsen ist kein Sonderfall, in den meisten Bundesländern liegt der Anteil unter einem Prozent.
Medien tragen erheblich zur Verzerrung der Wahrnehmung von „Clankriminalität“ bei. Spektakuläre Fälle, Machtdemonstrationen einzelner Familienmitglieder und dramatisch inszenierte Polizeieinsätze eignen sich perfekt für große Schlagzeilen, an denen sich Spiegel TV und Co. gerne bedienen. Diese Berichterstattung festigt jedoch ein verzerrtes Bild: Sie suggeriert, Menschen mit Migrationshintergrund seien grundsätzlich kriminell. Auffällig ist, dass die mediale Aufmerksamkeit in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, obwohl die zugrunde liegenden Zahlen weitgehend stabil geblieben sind. In vielen dieser Beiträge spielen Herkunft, Aussehen oder bestimmte Familiennamen, wie beispielsweise „Remmo oder Abou-Chaker“ eine zentrale Rolle. Dadurch entsteht ein mediales Feindbild, das weit über die eigentlichen Täter*innen hinausreicht und die überwiegende Mehrheit völlig unbeteiligter Familienmitglieder stigmatisiert. Es ist an der Zeit, dass Medien und Politik eine ausgewogenere und faktenbasierte Berichterstattung fördern, die nicht auf Vorurteilen, sondern auf den tatsächlichen Ursachen von Kriminalität beruht.
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