Streikrecht 3 Minuten

Lehrkräfte auf die Straße!

Ein leerer Stuhl in einem Klassenzimmer.
Für bessere Arbeitsbedingungen die Arbeit niederlegen? Dieses Recht bleibt verbeamteten Lehrkräften in Deutschland verwehrt. | Quelle: Dominik Türk
11. Dez. 2023
Für verbeamtete Lehrkräfte gilt in Deutschland das Streikverbot. Wenn Streiks nicht zum Nachteil der Schulkinder ausfallen, sollten auch Lehrende für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen dürfen. Ein Kommentar.

Zu große Klassen, alte Geräte, Überstunden: Das ist der Alltag von Lehrkräften in Deutschland. Für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gehen darf nur etwa ein Fünftel von ihnen. Verbeamtete Lehrkräfte zählen nicht dazu. Das geltende Streikverbot gehört dringend abgeschafft und die Gesetzeslage in das 21. Jahrhundert übersetzt. Dabei ergeben sich das Streikrecht sowie die Koalitionsfreiheit nicht nur aus dem Grundgesetz. Auch in der Europäischen Sozialcharta und im UN-Sozialpakt ist das Recht zum Streiken aufgeführt. Doch wenn es ums Beamtentum geht, halten die Deutschen an einer Verordnung fest, die noch auf preußischem Boden verabschiedet wurde. Das Beamtenstatusgesetz nimmt die Staatsdienenden von diesem Streikrecht bis heute aus. Angestelltes Lehrpersonal hingegen darf sehr wohl streiken.  

Ein bisschen weh tun muss es

Dass ein langfristiger Unterrichtsausfall zu Bildungsdefiziten führen kann, zeigten die Pandemiejahre, als der Rückstand der Lernenden etwa 35 Prozent eines Schuljahres entsprach. Doch mit diesen Erkenntnissen kann man dem Problem zuvorkommen: Dass keine klaffenden Wissenslücken entstehen, wäre es wichtig den Schulbesuchenden vorab entsprechende Lernmaterialien und Übungen zur Verfügung zu stellen. Für junge Kinder wären auch alternative Betreuungsangebote eine Lösung. Der Mittel- und Oberstufe ist zuzutrauen, einzelne Tage mit digitalen Lerninhalten zu überbrücken. Spätestens bei der Abwesenheit der Lehrkräfte wird deutlich, dass in der Schule viel mehr passiert, als nur Wissensübermittlung. Lehrkräfte sind nicht nur Lehrende, sondern auch Bezugspersonen, Zuhörende, Pädagog*innen. Für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken wäre also möglich, ohne die Bildung der Heranwachsenden zu gefährden. Ein bisschen weh würde es trotzdem tun. Aber das muss es auch, um etwas zu bewirken.

Das denken Lehrkräfte, die für bessere Bedingungen auf die Straße gehen würden:

„Ich finde alle Beschäftigten sollten streiken dürfen, auch Beamte. Bei uns an den Schulen gibt es einige verbesserungsbedürftige Punkte, die man angehen sollte. Aber wenn uns niemand „hört“, kann man diese Punkte auch nicht angehen.“

- Laura Baumann, 27, verbeamtete Grundschullehrerin

„Ich bin seit 27 Jahren Beamte im Schuldienst. Die Steigerung der Besoldung ist für diese Zeit zu gering. Dafür und für spontane und willkürliche Abordnungen würde ich schon auf die Straße gehen, wenn ich könnte.“

- Anette Speck, 56, verbeamtete Grundschullehrerin

 „Durch den Streik könnte man auf Missstände aufmerksam machen und Veränderungen herbeiführen. Es ist wichtig, dass Lehrkräfte ihre Stimme erheben und sich für ihre Rechte einsetzen, um eine qualitativ hochwertige Bildung für alle Schüler sicherzustellen.“

- Alina Helber, 22, Lehramtsstudentin

Nicht alle über einen Kamm scheren

Dass das Streikrecht nicht so einfach für alle Beamtengruppen durchgesetzt werden kann, ist klar. Es lohnt sich daher umso mehr, die Tätigkeit der Verbeamteten zu differenzieren. Auch wenn Gegenstimmen argumentieren, dass dies zu einer Klassenteilung in „Beamt*innen mit Streikrecht" und „Beamt*innen ohne Streikrecht" führen könnte. Ein Blick über die Ländergrenze zeigt, in vielen europäischen Staaten ist diese Diskussion Schnee von gestern. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: In Belgien, Frankreich und der Niederlande haben Lehrkräfte das Recht zu Streiken. Und dort gehen die Polizist*innen auch nicht auf die Barrikaden, weil andere Staatsbedienstete streiken dürfen. Ein wenig Rationalität ist den Verbeamteten da zuzutrauen. Gesetzeshütende, und Arbeitende für die Justiz, deren Präsenz für die Sicherheit der Gesellschaft unabdingbar ist, tragen eine andere Art der Verantwortung. Sollten sie ihre Arbeit niederlegen, dann wäre das Chaos vorprogrammiert. Umstritten ist zudem, ob Lehrkräfte „hoheitlichen Aufgaben“ erfüllen, wie etwa das Militär oder die Polizei. Denn offensichtlich können auch angestellte Lehrkräfte diese Aufgaben erfüllen.

Der Beruf muss attraktiver werden

Über 12.300 Lehrerstühle in deutschen Klassenzimmern seien unbesetzt, meldeten die Kultusministerien dem Redaktionsnetzwerk Deutschland Anfang 2023. Dem Deutschen Lehrerverband zufolge sei die Zahl sogar dreimal so hoch. Egal wie man es dreht und wendet:  Es muss dringend daran gearbeitet werden, den Beruf attraktiver zu gestalten. Das fängt bei besseren Rahmenbedingungen an. Doch wenn die Lehrkräfte ihre Stimme nicht erheben können, wer soll sie hören? Auch wenn das Streikrecht für verbeamtete Lehrende kommen sollte, heißt das noch lange nicht, dass davon willkürlich Gebrauch gemacht wird – im Gegenteil. Streiks unterliegen dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit. Nach diesem Prinzip ist der Streik auch oft das letzte Mittel, dass zur Besserung der Arbeitsbedingungen führen kann. Dieses Recht sollte allen Lehrenden zustehen. Auch denen, die für den Staat arbeiten. Das oberste Ziel sollte ohnehin sein, dass es gar nicht zu einer Arbeitsniederlegung kommt. Doch wenn bessere Arbeitsbedingungen durch Streiks erreicht werden können, bitteschön. Am Ende profitieren doch alle davon: Lehrende, Lernende und Nachwuchskräfte. Quasi eine Win-Win-Win Situation.

Dieser Kommentar ist Teil eines Themendossiers zur aktuellen Situation von Gewerkschaften in unserer Gesellschaft.