Klinik-Clowns

Lachen als Medizin

Dr. Praline von der Schachtel (links) und Dr. Lametta.
11. Dez. 2018

Als Dr. Praline von der Schachtel zaubert Marla Levenstein hauptberuflich kranken Kindern ein Lächeln ins Gesicht. Die Amerikanerin, geboren in der Bronx, erstaunt und fasziniert die kleinen Patienten mithilfe von bunten Seifenblasen, lustigen Liedern und Tänzen. Doch es gibt auch Schattenseiten. An welche leidvollen Momente kann sich die Klinik-Clownin nach über 15 Jahren Berufserfahrung besonders erinnern? Ein Interview.

Warum bist du 2001 Klinik-Clownin im Olgahospital in Stuttgart geworden?

Es gab eine große Nachfrage und eine Art Casting. Das Thema Klinik-Clown hat mich immer interessiert, vor allem auch, weil es das in den Staaten schon gab, und ich viele Artikel dazu gelesen habe. Ich fand es spannend, wie man denn in der Klinik arbeiten kann. Dann habe ich bei diesem Casting vorgesprochen und die haben mich genommen. Seit 18 Jahren arbeite ich nun im Kinderkrankenhaus als Klinik-Clownin.

In deiner Heimatstadt New York hast du Theater Studies am Hunter College gelernt. Hilft dir die Schauspielausbildung bei deiner Arbeit?

Ich glaube das hilft schon. Besonders die Art ,wie ich schauspiele, weil sie sehr auf die Gefühle reduziert ist. Gefühle zu zeigen ist sehr wichtig, vor allem als Clown. Die Art Clowns, die wir verkörpern, dürfen alle möglichen Gefühle zeigen.

Das heißt, Praline ist auch mal traurig?

Sie kann sehr traurig sein. In manchen Situationen sind wir auch mal nicht witzig und lachen nicht. Wir haben geweint in manchen Zimmern oder singen Lieder. Clowns können auch sehr poetisch sein, manchmal so sehr, dass Eltern dann weinen.

Benötigt man für diesen sensiblen Beruf eine Ausbildung?

Eine Ausbildung ist schon hilfreich. Heutzutage gibt es Angebote, aber als ich angefangen habe, gab es die noch nicht. Viele Kolleginnen kommen vom Improvisationstheater, weil man sehr spontan sein muss. Man muss auch spüren: Wie nah bin ich zum Kind oder zu einem Erwachsenen und wie weit weg soll ich sein? Oft hindert einen das Schauspielern daran. Wenn man auf der Bühne ist, ist da diese vierte Wand, die es in der Klinik überhaupt nicht gibt. Wir gehen direkt zu den Menschen und schauen bei jedem Kind, was es in diesem Moment braucht.

Wie sieht euer Programm aus?

Wir haben kein festes Programm. Es ist spontan, aber wir haben alle Obsessionen, jeder Clown. Praline zum Beispiel hat Schwierigkeiten damit, die Türe aufzumachen – ist die Tür zu, dann läuft sie dagegen.

Die „Olgäle-Clowns“ arbeiten immer in Zweierteams.

Erzähle mal etwas von deiner Rolle.

Dr. Praline von der Schachtel ist schon sehr lange unterwegs. Sie denkt, dass sie intelligent ist, aber andere würden das anders beschreiben. Sie liebt die Farbe pink, sie ist verrückt nach „Hello Kitty“ und Einhörnern, sie denkt, dass 1 + 1 = 3 ergibt und ist überzeugt von ihrem Wissen. Außerdem singt sie gerne. Sie ist sehr liebevoll und cholerisch, wenn Dinge nicht ihren Weg gehen. Und sie kann viel Lachen. Kurz: she brings joy.

Wie viel von Praline steckt in Marla?

Ich würde sagen, ich bin auch cholerisch. Natürlich habe ich Anteile von Praline, sonst würde das nicht gehen. Wir Clowns spielen zwar eine Rolle, aber die ist nicht so weit weg von uns als Menschen, das ist keine Show. Ich glaube, als Marla bin ich unsicherer und denke, dass ich manche Sachen nicht schaffe. Praline denkt das nicht.

Dein typischer Arbeitsalltag?

Wir sind drei Stunden unterwegs, meist ein bis zwei Mal in der Woche. Wir treffen uns, ziehen uns um, machen eine kleine Aufwärmung und dann gehen wir auf die Stationen. Dort findet erst eine Übergabe statt, bei der besprochen wird, wie es den Kindern geht. Außerdem bespaßen wir auch ein bisschen die Krankenschwestern. Danach gehen wir normalerweise von Zimmer zu Zimmer. Wir sind auf insgesamt sieben Stationen und bei jedem Kind maximal zehn Minuten. Nach den drei Stunden ziehen wir uns um. Oft gehen wir dann Essen und besprechen, was gut war und was wir besser machen könnten.

Ihre pinken „Hello Kitty“-Schuhe bewahrt Marla im Krankenhaus auf. Die Eindrücke jedoch begleiten sie mit nach Hause.

Welche Gefühle entstehen in den Krankenzimmern?

Ich glaube, das ist die wahre Liebe, das ist die bedingungslose Liebe und es klingt komisch, aber manchmal spüren wir schon, dass diese Liebe einfach da ist.

Gibt es bestimmte Patienten, mit denen du bevorzugt arbeitest?

Ich mag alle. Besonders mag ich Teenager, weil es mit ihnen nicht immer so leicht ist. Wenn wir zum Beispiel in die psychosomatische Abteilung gehen, sind die Jugendlichen dort in einer Wohngruppe untergebracht. Oft sind sie sehr beschäftigt mit dem, was sie zu tun haben und wollen uns nicht. Das ist schon eine Herausforderung. Wenn wir sie dann erreichen, ist das wirklich toll. Und wenn nicht, dann lernen wir davon.

Fühlst du dich manchmal überfordert?

In manchen Situationen, wenn uns jemand abweist. Oder wenn wir sehen, dass eine Mutter uns nicht da haben möchte, aber das Kind trotzdem interessiert guckt, dann sind wir im Konflikt. Manchmal hat das Kind eigentlich keine Angst, aber es bekommt welche, denn die Eltern fürchten sich.

Wie gehst du mit negativen Reaktionen auf Praline um?

Das finde ich eigentlich nur schade. Ich denke, das kommt auf die Art Humor eines Menschen an. Manche Leute haben einfach einen anderen Stil als wir. Es tut mir leid, wenn jemand nicht lachen kann, vor allem in sehr traurigen Situationen. Denn die besten Witze entstehen, wenn man leidet. Man muss dann über sich lachen können. Manche Leute wollen das nicht, sie sehen nur das Tragische. Dabei ist das Leben eigentlich ein Yin und Yang, es gibt beides, auch Schattenseiten.

Welche extremen Schattenseiten hast du bisher erlebt?

Wir arbeiten auch auf der Onkologie, der Krebsstation, was manchmal sehr traurig ist. Dort haben wir erlebt, dass Kinder versterben und wir dabei sein dürfen, ganz kurz vor dem Tod. Ich habe eine besondere Erinnerung: Eine Mutter hat die Augen eines Kindes mit ihren Händen weiter geöffnet, sodass das Kind uns sehen konnte. Wir haben „Old MacDonald“ mit der ganzen Familie gesungen, ich glaube, dass es eine kurdische Familie war. Alle haben mitgesungen und da war richtig Liebe in diesem Zimmer.

Beschäftigt dich deine Arbeit auch privat?

Manchmal schon. Es gab ein Mädchen, das wir bis zu seinem Tod sehr viel begleitet haben. Ihr großer Wunsch war es, dass wir an ihrem Geburtstag zu ihr nach Hause kommen. Sie lag im Sterben und konnte nichts mehr sehen. Wir waren da, haben tschüss gesagt und gesungen. Danach haben wir von einer Krankenschwester gehört, dass wir ihre letzte Erinnerung waren. Ich denke oft an sie, auch jetzt noch.

Verändern solche Erlebnisse deinen Blick auf die Welt?

Jeder Tod macht das. Natürlich denke ich oft an viele Kinder, die verstorben sind und nicht richtig leben konnten. Das bringt natürlich eine Sensibilität und die Erkenntnis: Das Leben ist wundervoll und ich bin dankbar, dass ich lebe und diese Arbeit machen kann.

Geburtsstunde der Klinik-Clowns

Wo arbeiteten die ersten Clown-Doktoren? Wie Marla kommen sie ursprünglich aus den USA. Von der ersten Idee, die Lachen als Medizin ins Spiel brachte, bis hin zur Etablierung in Deutschland, dauerte es über zehn Jahre. Hier eine kurze Historie:

Die Geschichte der Klinik-Clowns.