Kolumne

Ist das Müll oder kann das weg?

02. Febr. 2022
Eine Vorstadtgegend irgendwo bei Stuttgart, bewohnt von der oberen Mittelschicht. Außerdem: Vögel, die mit Würstchen davon fliegen, Plastikmüll in der Papiermülltonne und Plastikmüll im Lagerfeuer im Garten. Eine Kolumne über die Tücken des nachbarschaftlichen Zusammenlebens.

Wussten Sie, dass Elstern nicht nur diebische Vögel sind, sondern auch ein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen besitzen? So kann es schon mal vorkommen, dass ich aus dem Fenster schaue und sehe, wie eine gewitzte Elster ein Paar Wiener Würstchen aus der Mülltonne meiner Nachbarn schnappt und damit (mehr oder weniger) elegant davon schwebt. Was das mit der Gedächtniskapazität der Elster zu tun hat? Ganz einfach: Sie hat sich gemerkt, dass sich in den Mülltonnen unserer Nachbarn das Potenzial eines reichhaltigen Buffets verbirgt. Die Tierliebe geht sogar so weit, dass selbst in die Papiermülltonne Essensreste, Dosen und Flaschen gesteckt werden. Natürlich immer mit dem für die Mülltonne eigentlich gedachten Inhalt oben drauf, schließlich sollen die Vögel ihr Gehirn anstrengen müssen, wenn sie schon so schlau sind. Für genug Nachschub ist immer gesorgt. Täglich wird eine neue Tonne gefüllt. Darin landen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Unmengen an Verpackungsmüll sowie Haushaltsgegenstände oder Spielzeug. 

Konsummeister in einer Wegwerfgesellschaft

Eigentlich müssten meine Nachbarn einen Preis verliehen bekommen. Sie sind schließlich äußerst erfolgreiche Konsummeister. Konsumieren, wegwerfen, neu kaufen, konsumieren, wegwerfen. Die endlose Konsum-Wegwerf-Schleife. Oftmals wird jedoch nicht einmal konsumiert. Jedes Jahr werden laut einer Studie des Thünen-Instituts 12 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet. Das entspricht etwa 23 Kilogramm Lebensmitteln, die pro Minute in der Tonne landen. Meine Nachbarn machen vor, was es heißt, ein vollwertiges Mitglied der Wegwerfgesellschaft zu sein: Einkaufen im Überfluss, schließlich ist ja auch alles im Überfluss vorhanden. Das Mindesthaltbarkeitsdatum des Joghurts ist seit einem Tag abgelaufen? Ab in die Tonne damit! Der Apfel hat schon eine braune Stelle? Ab in die Tonne damit! Die Schuhe oder der Sessel entsprechen nicht mehr den neuesten Trends? Ab in die Tonne damit! Man kann ja alles neu kaufen. Am besten bestellen, das ist schließlich so bequem. 

Die heimische Müllvernichtungsanlage

Zu welch bizarren Auswüchsen das führt, zeigen die Lagerfeuer-Abende unserer Nachbarn. Nein, ich spreche hier nicht von einem gemütlichen Zusammensitzen vor dem heimeligen Feuer und Würstchen grillen (da wären wir wieder beim Anfang). Nein, ich spreche vom verzweifelten Versuch, den Müll loszuwerden, der nicht mehr in die Mülltonnen passt, weil sie schon überquellen und der auch nicht mehr in die Garage passt, die mit Kartons vollgestopft ist. Feuer an, Müll rein, fertig. Heimische Müllverbrennungsanlage sozusagen. Ist nur leider verboten. Und für einen Luftkurort könnten wir uns hier auch nicht mehr qualifizieren. 

Müllverbrennung im Garten, überquellende Mülltonnen und eine Gesellschaft, die von Überfluss und Konsumismus geprägt ist: Es ist an der Zeit, sich wieder bewusst zu werden, welche Leistung und welcher Ressourcen- beziehungsweise Energieverbrauch eigentlich hinter den vollen Regalen steckt. Und dass man die Würstchen, mit denen die Elster gerade davon geflogen ist, noch gut hätten essen können.

Eine weitere Episode der Kolumne "Die lieben Nachbarn" gibt es hier.