Essen als Symbol 4 Minuten

Hört auf, Essen zu politisieren!

Oft wird Essen als politisches Symbol verwendet.
Essen wird oft als politisches Symbol verwendet. Das behindert eine wichtige Debatte. | Quelle: Laurin Flender
25. Febr. 2024

Ob Hafermilch, Schnitzel oder Nackensteaks – immer wieder wird Essen als Symbol für politische Forderungen benutzt. Das ist nicht nur unnötig, sondern behindert auch eine wichtige Ernährungsdebatte. 

Vegane Ersatzprodukte als Symbole für Faulheit und Verweichlichung, das Nackensteak als Beweis für harte Arbeit oder das Schnitzel als Zeichen des Widerstands: Essen wird immer wieder als Symbol für politische und gesellschaftliche Forderungen benutzt.
 

Das machen zumindest Fernsehmoderator Markus Lanz, der sich jüngst in einem Podcast über eine „Hafermilch-Gesellschaft“ und eine „Agavendicksafttruppe“ beschwerte, oder Ralph Brinkhaus, der als Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion Nackensteak-Esser als das „Rückgrat der Gesellschaft“ bezeichnete. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel geht noch weiter und versucht, dem Schnitzel eine rebellische Bedeutung im Kampf gegen eine „idiotische Regierung“ zu verleihen.

Unnötiger Eingriff in eine wichtige Debatte

Überspitzte Aussagen wie diese sind in der Politik nichts Besonderes und wären nicht weiter problematisch, wenn sie kein völlig unnötiger Eingriff in eine wichtige Debatte wären. Klimawandel, Wirtschaftskrisen und Kriege sorgen für eine historische Hungerkrise: Mit 345 Millionen Menschen sind fast doppelt so viele Menschen wie noch vor vier Jahren von Hunger betroffen. Laut WWF lässt sich fast ein Fünftel der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die Rodung von Flächen für die Viehzucht zurückführen, was vor allem an einem Fleischkonsum liegt, der sich seit den 1960er Jahren weltweit vervierfacht hat. Herausforderungen, die Politik und Verbraucher bewältigen müssen.

Nun tragen Lanz, Brinkhaus und Weidel weder die Schuld am Klimawandel noch an der Hungerkrise. Aber sie diskreditieren Menschen, die versuchen, diese Probleme zu lösen. Und sie vermischen ihre Ideen mit dem Thema Ernährung, die damit in keinem Zusammenhang stehen: Weidels Aussage kann noch als plumper Populismus abgetan werden, der auf billige Art und Weise ein „Wir-gegen-Die-Gefühl" erschaffen soll. Doch was hat die „Gefühligkeit“, die Lanz kritisiert, mit Hafermilch zu tun? Schließlich ist niemand dazu gezwungen, vegane Ersatzprodukte zu konsumieren oder zu mögen. Und was qualifiziert Nackensteak-Esser*innen zum "Rückgrat der Gesellschaft"?

Die Antwort ist: Nichts. Wenn Lanz schon über die angebliche Faulheit einer Generation herziehen muss, könnte er etwas Konkretes kritisieren, zum Beispiel dass sie weniger arbeitet oder keinen Wehrdienst mehr leisten möchte. Aber das hat nichts mit Agavendicksaft zu tun. Und wer das Rückgrat der Gesellschaft ist, könnte Brinkhaus über Beruf, ehrenamtliches Engagement oder ökonomisch über den Beitrag zum BIP definieren. Irgendwas, was man eben messen oder begründen kann. Aber nicht über Essen.

Die Politisierung ehemals wertfreier Alltagsgegenstände oder -gewohnheiten ist auch kein neues Phänomen. Gut zu beobachten ist sie zum Beispiel im Verkehrssektor, wo auch viele Feindbilder existieren: Während eine Seite SUV-Fahrer*innen als protzige und egoistische Machos mit zu viel Geld diffamieren, sind für die andere Seite Lastenfahrräder als bevorzugtes Fortbewegungsmittel von links-grünen Großstadt-Hippies zum Hassobjekt geworden.

Klingt wie schlechter Rap

In diesem Fall erklärt jedoch die Konkurrenz um wenig Platz in wachsenden Städten das übertriebene und oberflächliche Framing. Das, was Lanz, Brinkhaus und Weidel tun, ist vieles, aber definitiv keine ernstzunehmende Teilnahme an der eigentlichen Debatte. „Nackensteak-Esser sind das Rückgrat unserer Gesellschaft“ und vor allem „Niemand geht an mein Schnitzel“ erinnern literarisch und argumentativ eher an „Von Salat schrumpft der Bizeps“, einen ikonischen Deutschrap-Song von Kollegah und Majoe.

Einzelne Lebensmittel als Metaphern für politische Standpunkte und Forderungen einzusetzen führt zu nichts. Außer, dass Menschen sich im Restaurant Sorgen machen müssen, als AfD-Anhänger angesehen zu werden, wenn sie ein Schnitzel bestellen. Oder sich auf einmal rechtfertigen müssen, wenn sie ihren Kaffee mit Hafermilch bevorzugen. Oder dass Menschen mit hohem Bestätigungsbedürfnis in der Hoffnung auf Anerkennung nur noch Nackensteaks essen.

Redet so viel über eine faule Generation, über Helden der Gesellschaft und idiotische Regierungen, wie ihr wollt. Aber lasst das Essen auf dem Teller!