Fußball ohne Rennen
Neben dem Sportlichen auf dem Platz geht es natürlich auch um die Geselligkeit. Die Gespräche sind locker. Es wird gescherzt. Die Spieler erzählen von vergangenen Tagen, als sie zusammen in der Jugend gespielt haben. „Weißt du noch damals…“. Zwischendurch immer wieder ein Trinkspruch. „Zum Wohl“ - und die grünen Bierflaschen klimpern aneinander. Die Zeit nach dem Training wird genossen. Sie dauert meist länger als die sportliche Anstrengung. "Die Kameradschaft pflegen", nennen sie es.
Es ist 18.40 Uhr. Autos und Fahrräder verschiedenster Hersteller fahren durch das grüne Eingangstor auf den Parkplatz des Sportplatzes. Ein Amateursportplatz, wie er wahrscheinlich vielen bekannt ist. Silberne, teils rostige, abgenutzte Metallstangen als Begrenzung um den gesamten Platz. Darunter Metallbanden mit Werbung lokaler Unternehmen. Zwei Fußballfelder mit Flutlichtmasten. Der Rasen gezeichnet von Löchern und nicht akkurat gemäht. Aus den Autos steigen Männer, auf den Köpfen teils nur noch wenig und lichtes, meist graues Haar.
Man könnte meinen, sie seien gekommen, um sich ein Spiel der aktiven Mannschaft im Ligabetrieb anzuschauen. Dabei sind sie nicht hier, um zuzuschauen, sondern selbst gegen den Ball zu treten. Sie spielen heute Walking-Football. Auf Deutsch: Gehfußball. Noch einfacher: Fußball, ohne zu rennen. Manche von ihnen waren einst begnadete Fußballer in der 2., bzw. 5. Liga. Andere haben die Liebe zum runden Leder erst wieder im fortgeschrittenen Alter entdeckt. Eins eint sie aber alle: Sie wollen Fußball spielen!
Fußball im Schritttempo
Einige Minuten später stehen sie auf dem Grün. Herzliche Umarmungen, gepaart mit vertrauten Handschlägen sind beim Betreten des Spielfeldes zu beobachten. Trikots aus verschiedensten Jahrzehnten zieren die teils kaum zu übersehenden Bierbäuche der Männer. Sechs Spieler pro Spielhälfte im Team. Umgeben sind sie von vier orangenen Pylonen, die das Spielfeld eingrenzen. Eigentlich gibt das Regelwerk auch ein klares Mindestalter von 55 Jahren vor, doch beim Training wird das auch mal ignoriert.
Zwischen den älteren Herren tummeln sich auch junge Männer auf dem Spielfeld. Dichte Gesichtsbehaarung und volles Haar auf dem Kopf der Mittdreißiger. Sie tragen Trikots und Trainingsshirts des lokalen Vereins. Der Schriftzug "FV Sandweier" prangt schwarz auf gelb auf ihren Rücken. Man könnte meinen sie wären aktive Spieler der 1. Mannschaft. Doch auch sie tragen wie viele ihrer älteren Mitspieler, hellgraue Bandagen am Knie und an den Schienbeinen. „Wir Jungen sind alle gebeutelt von Verletzungen, deswegen spielen wir hier ein bisschen mit den Älteren. Das macht uns wirklich Spaß“.
Vor einer kurzen Ansprache im Kreis rennt einer der Spieler noch hektisch in einen Busch am Spielfeldrand und kehrt daraus einige Momente später, sichtlich erleichtert zurück. Dann beginnt die Trainingseinheit. „Die Berlin-Fahrer auf die rechte Seite und die anderen auf die linke. Sechs gegen Sechs“ heißt es aus dem Rund, gesprochen vom ernannten Organisator der Walking-Football-Truppe. Hans-Peter Geiger. Er ist schon seit 1987 im Verein FV Sandweier aktiv. Die verschiedensten Funktionen vom Trainer bis zum Verwaltungsmitglied hat er dabei schon begleitet.
Berlin? Gemeint ist damit die Deutsche Meisterschaft im Walking-Football. Diese findet in wenigen Wochen in Berlin statt. Dort treten 24 Mannschaften aus allen Bundesländern gegeneinander an. Ein echtes Highlight für die Kicker aus dem 5.000 Seelen-Dorf. Qualifiziert haben sie sich dafür über die lokalen Meisterschaften. Natürlich sind sie mächtig stolz darauf. Das gibt es auch immer wieder während der Trainingseinheit zu hören. „Weiter so. Dann holen wir in Berlin die Deutsche Meisterschaft“.
Ein richtiges Training mit verschiedenen Übungen gibt es nicht. Mal ehrlich: Was will man einem 72-Jährigen, der jahrelange Fußballerfahrung auf professionellem Niveau mitbringt, noch beibringen? Warm gemacht wird sich individuell. Der eine schießt auf das Tor, der andere passt sich den Ball locker mit seinem Mitspieler hin und her. Immer wieder klatschen die Spieler ab und scherzen miteinander. Pure Freude ist in ihren Gesichtern zu erkennen. Sie kennen sich meist länger. Haben teilweise schon als Kinder und Jugendliche zusammen auf dem Fußballplatz gestanden. Nun sind sie froh, wieder miteinander zu kicken. Dabei gehen sie, „der schönsten Nebensache der Welt“, dem Fußball nach.
Geschichte des Walking Footballs
Walking Football wurde 2011 in England ins Leben gerufen, um älteren Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität weiterhin die Freude am Fußballspiel zu ermöglichen. Bereits 2016 entstand dort mit der Walking Football Association (WFA) ein eigener Dachverband, dem inzwischen 366 Clubs angehören. Zwei Jahre später wurde sogar eine Nationalmannschaft gegründet. In Deutschland ist diese noch junge Sportart erst seit wenigen Jahren bekannt, gewinnt jedoch kontinuierlich an Popularität.
Schweiß, Spaß und Kampfgeist
Ein kurzes Abstimmen der Positionen und ein Blick auf die schwarze Fitnessuhr von einem der Spieler. Los geht es! Auf den ersten Blick ist nur ein schmales Spielfeld mit kleineren Toren zu erkennen. Die Tore vergleichbar mit Handballtoren, die umgedreht wurden. In Wahrheit sind es aber spezielle Tore. Circa hüfthoch. Sie wurden extra für knapp 800€ das Stück angeschafft, so der Organisator.
In der ersten Aktion wird der Ball mit einer lockeren Bewegung vom Anstoß weg über den Rasen zwischen den Mitspielern gepasst. Besonders wird dabei auf die Passgenauigkeit geachtet. Denn anders als beim klassischen Fußball darf beim Walking-Football nicht gerannt werden. Dauerhaft muss ein Bein den Boden berühren, ansonsten wird die Aktion abgebrochen und die gegnerische Mannschaft erhält einen Freistoß. Mit großen langen Schritten gehen die Männer über das Feld. Dabei schleift ein Bein dauerhaft über den grünen Rasen. Sie sagen selbst: „Es sieht bescheuert aus“. Die Arme sind in ungewöhnlicher Manier ausgestreckt, um die Balance bei diesen besonderen Bewegungen zu halten.
„Gerannt, der ist gerannt“, hallt es in fast schon regelmäßigen Abständen über das Spielfeld. Dann herrscht zunächst Uneinigkeit über die Situation. Nach kurzer Diskussion ist das Vergehen aber geklärt und das Spiel wird mit einem Freistoß fortgeführt.
Hackentricks im Schritttempo
Beim Spiel mit dem Ball werden die Männer kreativ. Der Ball wird locker mit der Hacke gespielt. Es werden gezielt Beinschüsse abgegeben. Begleitet von hämischem Lachen, sobald der Ball die Beine eines Spielers passiert. Fast am laufenden Band. Neben der filigranen Technik, welche die meisten noch aus ihrer vergangenen Laufbahn als aktive Fußballer mitbringen, geht es ab und an auch robuster zu. Bei Pressschlägen. Zwei Fußballschuhe der Marke Adidas. Modell: Adidas Kaiser. Sie treffen fast aufeinander. Zwischen Ihnen noch das runde Leder. Ein lauter dumpfer Knall. Der Ball springt in die Luft. „Hoch! Hoch! Der Ball war zu hoch.“ wird von den Spielern reklamiert. Das Spielgerät darf nämlich nicht höher als Hüfthöhe oder ca. einen Meter gespielt werden.
Die Bewegungen auf dem Platz wirken teils schwer und nicht sehr flüssig, was aufgrund des fortgeschrittenen Alters mancher Spieler allerdings nicht weiter verwunderlich ist. Schaut man ihnen zu, sieht man trotzdem die Freude auf dem Platz stehen zu können. Was sie aber alle vereint, ist der Siegeswille. So trainieren sie nicht nur zu Freude, sondern wollen auch gewinnen, wie sie verraten. „Wenn dir das Gewinnen über Jahrzehnte eingeimpft wurde, verlierst du das nicht.“ Er lacht, „da ändert auch das Alter nichts dran.“ Ein weiterer fügt hinzu, dass sie nicht nach Berlin fahren bräuchten, wenn der Siegeswille nicht mehr da wäre.
Regelmäßig zappelt der Ball in den Maschen des Tores, das von einem Halbkreis umgeben ist und wie beim Handball nicht betreten werden darf. 14 zu 13 steht es am Ende der Trainingseinheit. Knappes Ergebnis. „Heute haben wir euch mal gewinnen lassen“, ruft einer der älteren Spieler den Mittdreißigern zu. Die Gesichter rot gefärbt. Der Schweiß tropft den Spielern von der Stirn. Von außen betrachtet sieht der Sport nur bedingt anstrengend aus. Bei einem Blick in die Gesichter der Spieler wird diese Annahme allerdings schnell relativiert.
Zu Beginn der in Deutschland erst seit wenigen Jahren bekannten Sportart, herrschte selbst bei den nun aktiven Gehfußballern Skepsis. „Wir scherzten am Anfang, ob man für diesen Sport Gehstöcke brauche“. Sie wollten es aber dennoch ausprobieren. Nach den ersten Selbstversuchen waren sie begeistert von der Sportart. Begeistert davon, auch im Alter weiter Fußball spielen zu können. Heute spielen sie wöchentlich Walking Football. Immer montags um punkt 19 Uhr. Dabei laufen sie pro Trainingseinheit mit ihrer schwarzen Casio-Uhr handgemessene drei bis fünf Kilometer.
Die wichtigesten Regeln im Überblick:
- Alle Spieler beider Teams müssen mindestens 55 Jahre alt sein.
- Gespielt wird in zwei Teams mit jeweils sechs Spielern.
- Die Tore haben eine Höhe von ca. einem Meter und eine Breite von ca. drei Metern.
- Walking Football bedeutet, dass sich die Spieler jederzeit nur gehend fortbewegen dürfen. Dabei muss stets mindestens ein Fuß den Boden berühren. Befinden sich beide Füße gleichzeitig in der Luft (Flugphase), erhält die gegnerische Mannschaft einen indirekten Freistoß.
- Torhüter gibt es nicht, Handspiele sind nicht erlaubt.
- Der markierte Strafraum darf nicht betreten werden.
- Eine Abseitsregel existiert nicht.
- Grätschen und Tacklings sind verboten.
- Der Ball darf höchstens auf Hüfthöhe gespielt werden.
Die dritte Halbzeit
Nach diesen Sportlichen gut 60 Minuten, gehen die Männer in gemütlichen Schritten auf das weiße Clubhaus zu. „Heute bei dem Wetter, setzen wir uns aber nicht in die dunkle Kabine“, ruft einer der Spieler mit seinem tiefen Organ. Damit beginnt die berüchtigte dritte Halbzeit. Ein Halbkreis wird gebildet. Betonmauer und Holzbalken des Vordaches dienen als Stütze, damit niemand umfällt. Im Hintergrund rauschen die Duschen im Kabinentrakt. Auf dem Rasenplatz fahren die Rasensprenger aus dem Boden. Ein dumpfes Zischen, dann das leise Ploppen eines Kronkorkens, der anschließend über den Betonboden rollt.
Die Sonne ist längst vom Horizont verschwunden. Eine weitere Kiste Bier wird in die Mitte getragen. Die verschwitzten Trikots noch immer am Körper der Männer. In der Runde zufriedene Gesichter. Man musste nur wenig Zeit mit den Männern verbringen, um zu verstehen, dass es Ihnen neben dem sportlichen auch um die Geselligkeit und das gemeinsame Biertrinken geht.