Spaziergangsthemen 3 Minuten

Einfach mal fühlen

Gefühle bei Spaziergängen rauslassen
Gefühle verdrängen bis zum Geht-Nicht-Mehr: Statt sie zu unterdrücken, kann man im Wald alle rauslassen. | Quelle: Tabea Blume und Alice Kärcher
28. Febr. 2024

Ein Spaziergang kann vernachlässigte Gefühle aufwirbeln. Aber richtig aufregen will man sich dann doch nicht, das entspricht eben nicht dem positiven Mindset, das auf Social Media so beliebt ist. Dabei ist es wichtig, sich einfach mal zu ärgern. Eine Kolumne.

 

Meditieren, Yoga, am besten noch ein Journal führen. Und wenn du es ganz gut machen willst, kaufst du dir ein Büchlein, in dem du festhältst, wofür du dankbar bist. Und dann atmest du durch, schluckst deinen Frust runter und erinnerst dich selbst daran: „Immer positiv bleiben. #Goodvibesonly. Ich bin die Ruhe selbst.” Der Optimismus wartet förmlich an jeder Straßenecke, zückt fröhlich seinen Hut und weist den Weg. Auf die eigene For-You-Page, das Umfeld oder die nächste Postkarte. 

Meine Freundin und ich laufen zusammen durch den Wald. Unsere Spaziergänge sind Routine, doch immer öfter erwischen wir uns beim Sich-Beschweren, beim Sich-Aufregen. Meine Freundin stöhnt; sie hatte einen langen Tag und jetzt auch noch dieses Wetter! Schließlich sagt sie: „Ich hasse es, dass ich mich aufrege. Ich will nicht die Person sein, die immer meckert.” Verständlich. Niemand will diese Person sein, die, um es in Millennialsprache auszudrücken, toxische vibes verbreitet, oder gar – Gott bewahre – die gute, alte Meckerliese ist. 

Kinder schreien, wenn sie frustriert sind, Hunde knurren, Katzen fauchen. Doch wir als Erwachsene der Gattung homo sapiens haben unsere Gefühle immer unter Kontrolle. Denn auf die Nachfrage : „Wie geht es dir eigentlich?” kommt nur selten vom Gegenüber: „Ich hab einen auf Bridget Jones gemacht, „All by yourself” gehört und mir übrigens überlegt, wie wenig Bock ich darauf habe, morgen aufzustehen.”  Öfters klingt die Antwort dann so: „A bissl gestresst, aber es könnte ja schlimmer sein…”. 

Unerzogen wie ein Junghund

Im Beruflichen, Öffentlichen sind wir die gefassten Erwachsenen und halten vorbildlich die Fassade aufrecht. Negative, nicht erzogene Gefühle bleiben zuhause, eigenhändig in den Zwinger gesteckt. Ja, es ist schön, positiv zu sein, die vermeintlich gut trainierten Emotionen nahezu anzuflehen, bei uns auf unserem Schoß zu bleiben und die fauchenden eigenen bad vibes aus der Ecke zu ignorieren. Viel schöner als die untrainierten Gefühle. Doch kann es nicht genauso schön sein, sich mit Freunden auf einen Spaziergang zu treffen und die Gefühle rauszulassen? Zugegeben, das mag auf der Instapage nicht ganz so ästhetisch sein; wenn man in Jogginghose durch den Matsch stapft und sich laut über den Stress aufregt, während auch gerne mal wild mit den Armen durch die Luft gefuchtelt wird. Wenn man auf die Frage „Wie geht es dir?” einfach mal ehrlich antwortet oder wenn man seinen knurrenden Gefühlen im angemessenen Raum Freilauf bietet. Bevor die Gefühle die Stäbe des Zwingers durchknabbern. Denn der Ansatz des Optimismus kann zu toxischer Positivität werden und Gefühle zu lange zu unterdrücken hat selten jemandem auf Dauer gutgetan. Das belegen auch Studien.

Wenn ich also demnächst ein Dankbarkeitsjournal kaufe, dann bitte nur mit einer „Alles ist gerade scheiße” Spalte. 

Aber jetzt geh ich erstmal spazieren, denke über meine Gefühle nach, kotz alles raus und wer weiß, vielleicht mache ich danach Yoga und überlege, wofür ich dankbar bin. #forgetgoodvibesonly.

Eine weitere Folge meiner Kolumne „Spaziergangsthemen” findet ihr hier.