„Ich bin quasi in der Werkstatt groß geworden."
Ein Leben rund ums Puppenspiel
Heute ist Premierentag. Nur wenige Meter vom Trubel des Waiblinger Marktplatzes entfernt, steht eine unscheinbare, dunkelbraune Haustüre einen Spalt breit geöffnet. Ein rotes Schild verweist auf die Stufen, die hinab in die Tiefen des Gewölbekellers führen. Dort unten, direkt neben dem hölzernen Tresen, steht Veit Utz Bross – von den meisten freundschaftlich Utz genannt. Sein Hemd in dunklem Rot, die langen, weißen Haare locker zu einem Zopf gebunden. Mit herzlichem Lächeln im Gesicht heißt er die nach und nach eintrudelnden Gäste in seinem Reich willkommen: Dem Marionettentheater „Theater unterm Regenbogen“.
Eine Kindheit zwischen Puppen und Figuren
Schon von klein auf kam der Figurenkünstler mit dem Puppenbau in Kontakt. „Ich bin quasi in der Werkstatt groß geworden", erinnert sich Utz. Seinem Vater, dem deutschen Puppenbauer und -spieler Fritz Herbert Bross, konnte er hier über die Schulter gucken.
Aus Zuschauen wurde schnell Mithelfen: „Ich war eigentlich immer seine rechte Hand“. Als sein Vater altershalber keine Detailarbeiten mehr ausführen konnte, übernahm Utz. Lidstriche setzen, Lippen aufmalen und den Figuren ihr Leben einhauchen.
Nach dem Tod seines Vaters führte Utz dessen Stelle als künstlerischer Leiter eines Marionettentheaters fort. Dazu zählte auch die Ausbildung dessen internationaler Schüler*innen. Bei den Aufführungen liefen Musik und Text vom Tonband ab. Für die Puppen selbst sprechen, das kam dort keinesfalls infrage. Utz, dem Stimme und Sprache auf der Bühne schon damals besonders wichtig waren, konnte das nicht verstehen: „Man hat nicht das Lebendige“. Also ging er seinen eigenen Weg: Lehraufträge, Bühnenauftritte und Auslandsaufenthalte zählen zu seinem Lebenslauf. Im Jahr 1998 war es dann endlich so weit – die Eröffnung des „Theaters unterm Regenbogen“ stand an.
Eigenes Marionettentheater – und das allein?
Auf den Gedanken des Theaters kam Utz dank seines Schwiegervaters. Utz selbst war gerade zu seiner Frau in deren elterliches Haus gezogen, als er von dessen Idee, ein Theater in den Gewölbekeller zu bauen, hörte. „Ich hab ihn dann mal darauf angesprochen, er hatte es aber längst vergessen. Aber jeder hat mir diesen Traum von ihm erzählt. Da sag ich: das kannst du haben, ich mach das jetzt.“ Gesagt, getan: Nach einem Jahr des Ausräumens standen die Räume endlich leer und dem „Theater unterm Regenbogen“ nichts mehr im Weg.
„Heute kann ich zu allem stehen, was ich mache."
Hier arbeitet Utz seither allein, und das ganz bewusst. Die Erkenntnis dazu entwickelte sich aus seiner Berufserfahrung: Gerade im künstlerischen Bereich möchte sich jede*r selbst verwirklichen. Kompromisse, mit denen er sich nicht mehr identifizieren kann, wollte Utz im eigenen Theater vermeiden: „Heute kann ich zu allem stehen, was ich mache.“ Auch finanziell sei das Arbeiten alleine sinnvoll. Am Ende müssten schließlich alle Beteiligten von dem Geld leben. Von seiner Rente könne er das nicht querfinanzieren, fügt er lachend hinzu. Ganz auf sich gestellt ist Utz im Theater aber trotzdem nicht. Gelegentlich bekommt er tatkräftige Unterstützung von seiner Frau, Sybille Bross, und Freund*innen.
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Ein Mann, ein Theater
Der Alltag als Alleinverantwortlicher im Theater hält so einige Aufgaben bereit. Doch es ist gerade diese Vielfalt, die Utz begeistert: „Ich wollte immer mal viele Künste zusammenbringen.“ Auch deshalb legt er besonderen Wert auf selbstgestaltete Puppen. Die detailreichen Figuren sind überall, an Wänden des Theaters oder im kleinen „Museum“ im Dachgeschoss. Dort findet sich auch das ein oder andere Bühnenbild. Viele davon stammen von seiner Frau, die selbst als Künstlerin tätig ist.
Neben dem künstlerischen Handwerk zählt zu Utz‘ zahlreichen Aufgaben auch die Bühnentechnik. Hierbei beschränkt sich der Puppenspieler gerne auf das Wesentliche. Licht an, Licht aus, alles per Hand an einem Regler. Mehr braucht es nicht, davon ist er überzeugt. Mit der Musik sieht es ähnlich aus: Anstelle von aufgenommenen Liedern läuft die Musik live vor Ort, indem er Drehorgel spielt oder selbst singt. Auch außerhalb des Bühnengeschehens ist im Theater einiges zu tun. So zählt immer wieder sogar Bewirtung zu den Aufgaben des Allrounders. Zu „Don Quijote“ beispielsweise servierte er spanisches Essen. „Manchmal hab ich sogar selbst gekocht. Für 40 Leute kochen ist gar nicht so ohne“, meint er lachend. Erst letztens habe es mal wieder ein „Bauernvesper“ gegeben. Dabei entstanden schon beim Aufschneiden der Brote tolle Gespräche, freut sich der Puppenspieler.
„Rapunzel“ zum ersten Mal auf der Bühne
Eine solch nahbare Atmosphäre entsteht hier aber durch weit mehr als Essen. Während sich der Zuschauerraum immer mehr füllt, steht Utz im Vorraum und begrüßt herzlich einen nach dem anderen. Auf den Premierenabend für das neue Kinderstück „Rapunzel“ hat er sich über die gesamte Sommerpause vorbereitet. Ein Luxus, den sich der Puppenspieler als Rentner leisten könne, meint er schmunzelnd. Texte lernt er dabei nicht mehr Wort für Wort. Wenn man sich bei Aufführungen nur haargenau an das Skript halte, wirke es schnell „hölzern“, erklärt Utz. Sobald die Eingangsmelodie erklingt, ist ihm auch so klar, was er zu tun hat.
Als Utz auf die Bühne steigt, wird es leise. Mal als Erzähler, dann Rapunzel oder Prinz führt er sein Publikum durch das Märchen. Dass die Melodie „nur“ gesummt oder das Licht am Schalter an und ausgeknipst wird, scheint niemanden zu stören. Im Gegenteil: Ganz still und gebannt verfolgen Klein und Groß jede Bewegung auf der Bühne. Als das Licht wieder angeht, gibt es begeisterten Applaus. Gemeinsam stoßen Utz und seine Gäste im Anschluss auf die erfolgreiche Premiere an. Schon fast 28 Jahre führt er nun seine Stücke hier im „Theater unterm Regenbogen“ auf. Noch zwei weitere Jahre fände er schön. Dann könne er immerhin sagen: „30 Jahre Theater unterm Regenbogen.“