Techno 5 Minuten

Die Entwicklung der TikTok-Raver*innen

Mit Netzhemd, Kettenharnisch und schneller Brille sind TikTok-Raver*innen in den Clubs der Republik unterwegs. | Quelle: Johannes Sawko
11. Dez. 2023

Harte Bässe, 130 BPM und tanzende Leute – Techno bewegt die Menschen und ist wahrscheinlich so angesagt wie noch nie. Doch nicht nur in den dunklen, lauten Technobunkern ist der Rave angekommen, sondern auch auf TikTok. Warum ist Techno momentan so beliebt und wie hat sich die Szene verändert? 

Wer in letzter Zeit auf einem Rave oder im Techno-Club war, kennt den Dresscode: schwarze Kleidung, schillernde Chromketten und schnelle Brillen. Die Schlangen vor den Locations werden immer länger, der Techno-Trend ist in ganz Deutschland vertreten. Auf Social-Media reißt der Hype nicht ab: #techtok, #ravetok – willkommen auf TikTok. Das soziale Netzwerk hat eine neue Facette in die Entwicklung der ehemaligen Underground-Musikrichtung gebracht – und das spaltet zum Teil die Szene. Gerade die Frischlinge unter den Techno-Anhänger*innen kleiden sich, wie in den bekannten TikToks: freizügig und mit vielen Accessoires. Woher kommt der Hype der letzten Jahre für dieses Genre? 

Corona und das Phänomen der TikTok-Raver*innen

Entstanden ist die Bewegung auf dem sozialen Netzwerk in der Corona-Pandemie. Da die Türen der Clubs und Technobunker geschlossen waren, suchte ein Teil der Szene eine neue Plattform, um Raven zu können: TikTok. Besonders die Generation Z machte die Tanzvideos zu den harten Techno-Tracks zum Trend. Diese Videos sind schnell geschnitten, kurzlebig und mit basslastigen Remixen hinterlegt. Der Kleidungsstil ist dabei auffällig: dicke, glänzende Chromketten sind oft vertreten, aber auch freizügige Oberteile, wie Netzhemden, Bodys oder Harnische. Ebenfalls gern gesehen sind schnelle Brillen. Früher noch ein Accessoire von Familienvätern auf Radtouren, sind sie heute für viele Raver*innen ein Bestandteil, um im Club seiner Wahl „stampfen“ zu gehen. Außerdem sind auch Piercings, Ohrringe und Tattoos wieder im Trend. Gerade Tribal-Motive sind beliebt und erinnern an die 90er. Die Kleidung, die Menschen, die Musik haben sich in der Szene stark verändert, aber wie sah es zum Beispiel vor zehn Jahren aus? 

Sebastian Groth ist einer der gefragtesten Hard Techno DJs in Deutschland und seit über 20 Jahren begeistert von der elektronischen Musik. Aufgewachsen in einer Kleinstadt in Rheinland-Pfalz, hat er unter anderem schon im Berliner Kult-Techno-Club „Tresor“ aufgelegt. Auch im Lehmann in Stuttgart und auf dem Ikarus-Festival hat er bereits seine Sets gespielt, mit den er sein eigenes Subgenre erschaffen hat: Power-Techno. Seine Liebe zur elektronischen Tanzmusik entbrannt in den 90ern, während der Eurodance-Phase, die ihn dazu gebracht hat, selbst Techno zu kreieren. 

Einer der bekanntesten Tracks von Sebastian Groth | Quelle: Sebastian Groth

Zu seinen Anfängen seien noch weit fallende Schlaghosen auf Raves im Trend gewesen, so Groth. Zeitweise hätte es auch keinen klaren Stil gegeben. Heutzutage ist der Look rauer und freizügiger, dadurch sehr Industrial angehaucht, teilweise geht es schon in die Fetisch-Richtung. Das sorgt innerhalb der Techno-Szene für Diskussionen. Sebastian Groth sieht dahinter aber trotzdem einen wichtigen Effekt für die Szene: „Solange es den Leuten gefällt, finde ich es cool. Gerade, weil im Moment wieder eher ein Community-Gedanke da ist“. Die freie Entfaltung innerhalb der Szene ist seit Jahrzehnten ein Bestandteil der Szene, der gerade 1989 besonders zum Ausdruck gekommen ist. 

„Solange es den Leuten gefällt, finde ich es cool. Gerade weil im Moment wieder eher ein Community-Gedanke da ist“ 

Sebastian Groth

Blitzlichtgewitter und Darkroom

Im Jahr des Mauerfalls ging die freie Entfaltung mit dem Techno Hand in Hand durch die Straßen von Berlin: Die Loveparade fand mit nur 150 Raver*innen statt. Zehn Jahre später waren es 1,5 Millionen. Berlin war damals wie heute eine Stadt der Entfaltung für Liebe, Musik und Sexualität. Ein Paradebeispiel dazu ist das sagenumwobene Berghain. Der Club ist nicht nur wegen seiner harten Türpolitik bekannt, sondern auch für die Kombination aus Techno-Musik und Fetisch-Partys. Neben normalen Dancefloors gibt es dort unter anderem auch Darkrooms. In den spärlich beleuchteten Räumen können sich die Partygäste anderweitig näherkommen und ihren Fetisch ausleben. Der Kleidungsstil auf diesen wilden Feiern ist schlussendlich von den heutigen TikTok-Raver*innen teilweise aufgegriffen worden. Maßgebend für diese Entwicklung sei auch der Berliner Fetisch-Club "KitKat" gewesen, so Pascal Ahrens. Er ist TikTok-Raver und begeistert regelmäßig über 70 Tausend Follower. Anfangen hat er damals auf der Vorgängerplattform „musical.ly“. Vor zwei Jahren, mitten in der Corona-Pandemie, entschied er sich Rave-Content zu posten und das macht er immer noch mit Leidenschaft. In seinen Videos zeigt er sich eher dezent: Sein Dresscode ist schwarz, er trägt gerne Ketten als auch Ringe und hat mehrere Piercings und Tattoos. Seine TikToks sind meist über zehn Sekunden lang und in diesen tanzt Ahrens zu den Techno-Remixen, die angesagt sind. Hier ist beispielsweise sein bekanntestes Video mit rund einer Million Klicks:

Auch er hat mitbekommen, dass es wegen einiger TikTok-Raver*innen zu Streit in der Szene kommt. Ein Problem sei, dass Leute im Club fotografieren oder sogar filmen. Ahrens kann den Ärger durchaus nachvollziehen: „Ich kann die Leute verstehen, denn eigentlich darfst du teilweise in den Clubs gar nicht filmen – und mit Blitzlicht schon mal gar nicht“. In einigen Locations, in denen es auch Fetisch-Bereiche gibt, werden Handykameras bereits am Eingang abgeklebt: absolutes Filmverbot. Doch in der Vergangenheit wurde das nicht immer eingehalten.

Ich kann die Leute verstehen, denn eigentlich darfst du teilweise in den Clubs gar nicht filmen – und mit Blitzlicht schon mal gar nicht

Pascal Ahrens

Das Ausleben hat in den Clubs und auch im Techno schon immer eine zentrale Rolle eingenommen. Es ist praktisch in der DNA des Genres tief verankert. Besonders klar wird das, wenn ein Blick auf die Herkunft der ehemaligen Underground-Musikrichtung geworfen wird.

Eine Geschichte von Bass und Kick Drum

Ab 1985 entstand Schritt für Schritt Techno-Musik in der ehemaligen Autometropole Detroit im US-Bundesstaat Michigan. DJs, wie Juan Atkins, mischten damals musikalische Vorläufer, wie House und New Wave zusammen und legten noch eine Bass Drum auf den 4/4-Takt: fertig waren die ersten Techno-Tracks. Bereits in den 70er hat beispielsweise die deutsche Band „Kraftwerk“ Pionierarbeit geleistet. Mit ihren Synthesizer-Sounds ebneten die Düsseldorfer den Weg für die spätere elektronische Tanzmusik. Wirklich populär wurde das Genre in Deutschland zur Zeit der Wende. Die musikalische Entwicklung ging Mitte der 90er weiter, als zum ersten Mal Eurodance in die Charts eingestiegen ist. „Blue (Da Ba Dee)“ von Eiffel 65 und „Be My Lover“ von der Band La Bouche, sind nur zwei Beispiele, die Musikgeschichte geschrieben haben. In den Nullerjahren gab es eine Art musikalische Rückbesinnung: Minimal-Techno betritt die Dancefloors der Technobunker. Das Erfolgsrezept des Subgenres ist schlichter Minimalismus. Mitte der 2000er war dadurch das Berghain, für die Raver*innen der „Place to be“, um von Freitagabend bis Montagmorgen durchzutanzen. Über die Dekade hinweg entwickelte der Berliner-Techno wieder ein internationales Standing. Auch in den 2010er Jahre geht der Aufschwung weiter, wobei der Techno der vergangenen Jahre aus dem Fokus des Mainstreams fällt. Dafür erobern große Namen, wie Avicii, Swedish House Mafia oder auch David Guetta mit ihren Hits die Bühnen dieser Welt. Der Underground-Techno hat daraufhin gut zehn Jahr Verschnaufpause. Bis eine Pandemie dafür sorgt, dass die Generation Z über TikTok einen Hype, um Netzhemden, Ketten, schelle Brillen und vor allem Hard Techno auslöst… 

Die Geschichte des Techno gibt es hier auch nochmal in einer interaktiven Infografik:

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| Quelle: BPB/Lexikon für Musik