Kolumne 3 Minuten 30 Sekunden

Die Angst soll ausziehen!

Eine schwach beleuchtete Unterfühung.
Über 50 % der Frauen meiden im Dunkeln Unterführungen, Parks oder Seitengassen. | Quelle: Canva

Mal zum Schreien, mal zum Kotzen - die Architektur unserer Städte gleicht einer Achterbahnfahrt, nur mit weniger Spaß. In dieser Kolumne berichte ich darüber, stadtistisch betrachtet. 

Da ist sie wieder, pünktlich mit der Zeitumstellung. Wenn sich im Winter die Schatten schon nachmittags immer länger strecken und bis zum Ende meiner Vorlesung alles ins Dunkle hüllen, bin ich auf dem Nachhauseweg öfters in unerwünschter Gesellschaft. In den Menschenmengen am Bahnhof schüttle ich sie noch gekonnt ab. Aber spätestens, wenn es durch die erste sparsam beleuchtete Gasse geht, geht sie mit. Die Angst.

Ich weiß nicht genau, warum sie da ist, nur dass sie nicht sehr groß sein kann. Sonst würden wir nicht beide durch die schmalen dunklen Gassen passen. Auf jeden Fall deutlich kleiner als ich. Ungefähr auf Höhe einer Babyente. Deswegen kann ich sie auch nicht sehen, wenn ich mich zur Sicherheit schnell nach hinten umgucke. Auch watschelt sie mir genauso beharrlich hinterher. Manchmal bin ich schneller, es ist immerhin nur eine Babyente, aber manchmal auch nicht. Tatsächlich gibt es ein Wort für die Orte, an denen sie mich immer einholt. Angsträume, sind öffentliche Stellen, an denen sich viele Menschen nicht sicher fühlen. Zu den Klassikern zählen Unterführungen und düstere Stadtparks bei Nacht. Sowie zu jeder Zeit unansehnliche Tiefgaragen.

Durch die Abwesenheit von Menschen werden Angsträume plastisch. 

Als Frau finde ich mich besonders oft in Angsträumen wieder. Das geht aus einer 2020 durchgeführten Umfrage des Bundeskriminalamts mit fast 50 Tausend Teilnehmern hervor. Muss am Orientierungssinn liegen. Mehr als die Hälfte meiner Geschlechtsgenossinnen gab an, abends bestimmte Straßen, Plätze oder Parks zu meiden. Ein Teufelskreis, denn durch die Abwesenheit von Menschen werden Angsträume plastisch. Wenn mir die Furcht auf jedem meiner Schritte folgt, dann hallt ihr Echo stärker wider, je leerer es um mich herum ist. Manchmal ist es so laut, dass mir davon die Ohren klingeln. Wo Angsträume belebt sind, herrscht hingegen soziale Kontrolle. Bereits das Gemurmel einer kleinen Menschenmenge, dämpft die Furcht ab. 

Ich würde gerne ohne die Babyente nach Hause gehen. Auch durch Angsträume. Mich nicht wie mindestens jede zweite Frau von ihr einschränken lassen, schließlich geht nicht sie voran, sondern ich. Und einer zielsicheren Umschiffung aller Angsträume über ausschließlich sichere Häfen wäre ich sowieso nicht gewachsen, Stichwort Orientierungssinn. 

Angsträume sind nicht permanent. Wenn ich mal früher aushabe, macht mir der Nachhauseweg schließlich keine Angst, die zieht erst ein, wenn es dunkel ist. Aber wo Angst einziehen kann, da kann sie auch wieder vertrieben werden. Durch eine Stadtplanung, die die Perspektiven von Frauen und Mädchen mit einbezieht. Eine Lösung sind belebte Innenstädte. Wenn Restaurants, Kinos und andere Freizeitmöglichkeiten in einem Stadtteil noch lang für reges Treiben sorgen, werden die Angsträume in ihm so voll mit Menschen, dass die Angst keinen Platz mehr hat und ausziehen muss. Das ist nicht bei allen Angsträumen immer möglich, wer verbringt schon freiwillig Zeit in Tiefgaragen? Trotzdem könnte die Stadtplanung den Menschen auch hier mehr entgegenkommen. Existierende Gebäude ausreichend beleuchten und beschildern, in Zukunft weniger verwinkelt und mit mehr freien Sichtachsen bauen. Der öffentliche Raum gehört schließlich uns allen, und wir sollten uns alle darin sicher fühlen.

Aber selbst, wenn man der Angst im gesamten öffentlichen Raum morgen die fristlose Kündigung überreichen würde, wäre das nur Symptombekämpfung. Schließlich sind es nicht wirklich die Unterführungen, Parks und Tiefgaragen, die mir nachts allein im Dunkeln Angst machen, sondern die Möglichkeit, dass ich eben doch nicht ganz allein bin. 

Ebenfalls stadtitisch betrachtet: 1000 tausend frische Landeier, Großstadterzeugnis.