Forstwirtschaft

"Der Wald braucht uns nicht"

Forstrevierleiter Wolfgang Heckel zeigt mir seinen Wald.
20. Febr. 2020

Nah und unnahbar, bekannt und geheimnisvoll. Der Wald ist ein beliebter Erholungsort für viele Menschen. Doch das Wissen über den Lebensraum, der sich vor unserer Haustüre befindet, ist oft verschwindend gering. Gemeinsam mit Forstrevierleiter Wolfgang Heckel bin ich unterwegs, um die Geheimnisse des Waldes zu lüften.

Die festen Lederschuhe quietschen, das Laub knistert unter unseren Sohlen. Immer wieder bleibe ich mit meiner Kleidung an den Dornen von Brombeerbüschen hängen oder umgefallene Bäume versperren den Weg. Mitten im Stuttgarter Stadtwald der Natur ganz nah sein. „Der Wald fasziniert die Menschen und weckt Emotionen…“, stellt Forstrevierleiter Wolfgang Heckel fest und läuft bedacht durch das Unterholz. „…aber das Wissen über den Wald ist bei vielen relativ gering“. 

Mit dem Auto fahren wir von Waldstück zu Waldstück. Die Stuttgarter Wälder sind durchzogen von Straßen, Siedlungen und Bahngleisen. Eine der wichtigsten Aufgaben der Förster hier ist daher die Verkehrssicherung. „Das ist der große Unterschied zwischen Stadt und Land“, meint Heckel. Im Schönbuch beispielsweise seien die zusammenhängenden Waldflächen viel größer, sagt der Forstrevierleiter. Städtische Infrastrukturen sind in Stuttgart eng mit dem Wald verflochten. Gerade die Waldränder, die an Wohngebiete und Straßen grenzen, kontrollieren die Förster regelmäßig. Bäume, die auf Gebäude oder Straßen stürzen könnten, werden markiert und in naher Zukunft gefällt. 

Fast ein Drittel der deutschen Landesfläche ist von Wald bedeckt. Ein Lebensraum für heimische Tierarten, ein Naherholungsgebiet für die Menschen und die Quelle eines wichtigen Rohstoffes: Holz. 76 Millionen Kubikmeter Holz werden pro Jahr in Deutschland geerntet – nachhaltig (Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft). Mit dieser Menge könnte man 30 Tausend olympische Schwimmbecken füllen. „Der Begriff Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft“, erklärt der Fortsrevierleiter. Es werde immer nur maximal so viel Holz in einem Jahr geerntet, wie auch in gleicher Zeit wieder nachwächst. 

Quelle: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Auch Bäume bekommen Sonnenbrand

Zurück im Wald bleibt das Auto am Wegrand stehen, der Förster hat etwas entdeckt und schnappt sich die Axt aus dem Kofferraum: Eine Rotbuche, an deren Stamm ein Pilz wächst. „Der Baum ist kaputt, sonst würde hier kein Pilz wachsen“, erklärt er: „…Vorsicht“. Mit der Axt trennt er kleine Teile der Rinde ab, ich gehe in Deckung vor herumfliegenden Holzsplittern. „Bei einem gesunden Baum ist der Stamm unter der Rinde weiß“, zeigt Heckel. Hier ist er schwarz. Zu wenig Wasser, das vermutet er als Ursache. Weil der Baum direkt am Wegrand steht, muss er zum Schutz der Menschen gefällt werden, sonst könnte er irgendwann auf den Weg stürzen und im Ernstfall Menschen verletzen. Mitten im Wald wäre das anders. „Der Baum wäre ziemlich wertvoll als Kleinbiotop für zum Beispiel Spechte und Insekten.“, meint Wolfgang Heckel. Kaputte Bäume wie diese Rotbuche gehören zum sogenannten Totholz, ebenso zählen umgefallene Bäume, Holzreste von Fällarbeiten und Wurzelstöcke dazu. Diese Bäume dienen als Lebensraum für andere Waldbewohner und sind so auch nach ihrem Tod noch ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems.

Nicht nur zu wenig Wasser macht vielen Bäumen zu schaffen, auch hohe Temperaturen beeinträchtigen den Wald – denn auch Bäume bekommen Sonnenbrand. Wolfgang Heckel zeigt mir ein Waldstück bei Ostfildern. „Hier hat der Wald begonnen sich aufzulösen“, erklärt er. Am Anfang des Waldwegs lassen sich die Probleme noch nicht erahnen. Doch schon bald nähern wir uns dem Waldrand und es gibt ein unwirkliches Bild ab. Dass hier einmal dichter Mischwald stand kann man kaum glauben. 

Wenn man in diese Richtung sieht, erscheint der Wald nahe Ostfildern ganz normal.
Blickt man in die andere Richtung, sieht man wie der Wald sich auflöst.

Der Weg führt durch eine von Gebüsch geprägte Landschaft, der Wald hört beinahe abrupt auf. „2003 gab es hier einen extrem trockenen Sommer, vor allem die Buchen leiden seither immer wieder unter Sonnenbrand“, sagt Heckel. Erkennbar werde das, wenn die Baumkronen abbrechen und sich die Rinde vom Stamm löst. Ein Zeichen für Hitzeschäden. Wolfgang Heckel hat kein gutes Gefühl, wenn er sich den Wald ansieht. „Das macht mir ziemliche Sorgen, man muss sehen wie sich das entwickelt“. Dem Klimawandel die Schuld geben, das will der Förster nicht. „In diesem Wald wurden seit Jahrzenten keine Bäume gefällt. Man kann die Entwicklung nicht schlüssig der Klimaerwärmung zuschreiben“, sagt er. 

Im Autoradio läuft SWR1, Wolfgang Heckel ärgert sich, seit 30 Jahren laufe die gleiche Musik. Einen anderen Sender wählt er aber nicht. Auch die Gebäude des Stuttgarter Forstamts wirken ein bisschen wie in der Zeit stehen geblieben. In den Regalen stehen zahlreiche Ordner, Aufträge werden per Papier verteilt. Man ärgert sich über die Trägheit des Forstamts. Die Zeiterfassung funktioniert handschriftlich, für Wolfgang Heckel unverständlich. „Wenn ich im Büro arbeite, dann kann ich Arbeitszeiten gut erfassen. Aber wenn ich im Wald bin, dann mach ich was anfällt“, sagt er. Das dauere manchmal länger, manchmal nicht, genau aufschreiben sei schwierig. 

Die Jagd ist wichtig für den Wald

An den Wänden hängen große Jahreskalender, Urlaub und Termine finden hier ihren Platz. Daneben hängen Geweihe, denn jeder Förster ist auch Jäger. „Die Jagd ist für einen gesunden Wald sehr wichtig“, erklärt Wolfgang Heckel. Er zeigt mir junge Eichen die gerade einmal kniehoch sind. „Wenn es zu viele Rehe gibt, dann schaffen es die kleinen Bäume nicht.“ Denn das Wild frisst ganz besonders gern die Knospen und Blätter junger Bäume. Rehwild ist sehr anpassungsfähig und intelligent – und hat in Deutschland keine natürlichen Feinde mehr. Die Förster sind verantwortlich dafür, dass das Verhältnis zwischen Wald und Wild stimmt.

Warum es so wichtig ist, den Jungwald vor zu viel Rehwild zu schützen, zeigt er anhand eines Waldstücks mit massiven Sturmschäden. „Der Wald verjüngt sich selbst wenn es genug junge Bäume gibt“, so Heckel. Vor dem Sturmtief Wibke im Jahr 1991 standen hier überwiegend Fichten. Als diese dem Sturm zum Opfer fielen, nahmen die jungen Bäume deren Platz ein. „Hier wurden keine neuen Bäume gepflanzt, der Wald hat sich von selbst regeneriert.“

Wo der Borkenkäfer den Wald kaputt macht

Wolfgang Heckel bleibt bei seinen Ausflügen durch den Wald selten auf befestigten Wegen. Immer wieder biegt er links oder rechts vom Weg ab und sieht sich seine Bäume ganz genau an. Durchforsten, so der Fachbegriff, gehört zu seinen Aufgaben. Das Wort, das sich längst auch in unserem alltäglichen Sprachgebrauch wieder findet, beschreibt eine wichtige Aufgabe für Förster. Heute zieht es ihn in ein Waldstück, das dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen ist. Der Schädling wird in immer mehr Wäldern zum Problem. Dabei ist Borkenkäfer nicht gleich Borkenkäfer, es gibt viele verschiedene Arten und nicht alle sind gleich gefährlich: „Jeder Baum hat seinen eigenen Borkenkäfer“, erklärt Heckel. Die Fichte ist besonders gefährdet. Kaputte Bäume erkennt man am Stamm, große Teile der Rinde fehlen, der Stamm darunter ist schwarz. Wolfgang Heckel markiert sie mit oranger Farbe. 

Links: Die Löcher an denen sich der Borkenkäfer einbohrt sind gut zu sehen. Rechts: So sieht ein Baumstamm aus, der vom Borkenkäfer zerfressen wurde.

Im Stamm befallener Bäume erkennt man kleine Löcher. „Hier bohren sich die Käfer ein“, sagt Heckel und zeigt auf die betroffenen Stellen. Sind die Schädlinge einmal unter der Rinde fressen sie ihre Gänge in die Wachstumsschicht des Baumes – das unterbricht die Wasserzufuhr aus dem Boden. In diesen Gängen legen sie auch ihre Eier ab, aus denen später die Larven schlüpfen. Ein wirklich wirksames Mittel gegen die Käfer gebe es nicht: „Natürlich kann man das Problem mit Chemie behandeln, aber das wäre dann nicht nur gegen die Schädlinge sondern gegen alle Insekten. Das wollen wir nicht“, meint Heckel. Die kaputte Rinde lässt sich leicht vom Stamm weg brechen. Die einzig natürliche Lösung gegen das Problem wäre laut Heckel, wenn es im Frühjahr lange kalt bliebe und im Herbst sehr früh kalt würde. Denn bei niedrigen Temperaturen befinden sich die Käfer im Waldboden. Je länger die Wärmeperiode, desto mehr Zeit haben sie zur Fortpflanzung.

Erholungsort Stadtwald

Gerade in Großstädten wie Stuttgart dienen die Wälder als Naherholungszentren. Doch nicht immer gehen die Menschen achtsam mit dem Wald um. Immer wieder müssen die Förster Müll einsammeln, den die Menschen im Wald entsorgt haben. Von Autoreifen über Waschmaschinen bis hin zu großen Batterien ist alles dabei. „Menschen sind dann schwierig im Wald, wenn sie mit dem Auto hinein fahren, Feuer machen oder ihren Müll liegen lassen“, stellt Wolfgang Heckel fest. Er wünscht sich, dass die Besucher den Wald von sich aus schützen.

Der Förster bietet auch Waldführungen an, bei denen Interessierte mehr über den Lebens- und Wirtschaftsraum lernen können. „Da halte ich den Menschen auch gerne Mal den Spiegel vor“, meinte Heckel. Zum Beispiel beim Papierverbrauch, der lag in Deutschland 2018 bei 242 Kilogramm pro Person (Quelle: Antwort der Bundesregierung auf kl. Anfrage der Grünen/FAOSTAT). Platz eins unter den G20 Ländern. „Da staunen viele, wenn man ihnen zeigt, was für ein Baum für ihren Papierkonsum gefällt werden muss“, so der Förster.

Denn der Wald ist ein sensibles System, das schnell kaputt gehen kann und lange braucht um sich wieder zu regenerieren. Wenn jeder Waldbesucher diesen Lebensraum und dessen Bewohner mit Rücksicht und Interesse entgegentritt, ist schon vieles getan. „Der Wald braucht uns nicht“ – Das stellt Wolfgang Heckel auf dem Weg zurück zum Auto fest. Der Wald braucht nur die Rücksicht derer, die ihn nutzen. 

Immer wieder laden die Menschen ihren Müll rücksichtslos im Wald ab.