„Seit ich Stand-up-Comedy mache, verstehe ich zum ersten Mal, was es heißt, eine Leidenschaft zu haben.”
Hey Stuttgart, kennst du schon Stand-up?
Es ist 19 Uhr an einem normalen Mittwochabend in Stuttgart. In der Leonhardstraße im traditionellen Rotlichtviertel der Stadt öffnet die Tür zur Uhu Bar. Drinnen umrahmt ein schwerer roter Vorhang die zweite Eingangstür. Einmal hindurch, findet man sich in einem kleinen gemütlichen Raum wieder – die Farbe rot ist allgegenwärtig. Leise Hintergrundmusik empfängt die etwa 40 Personen, die nach und nach auf Sitzwürfeln, Holzstühlen und Barhockern Platz finden. Direkt in der ersten Reihe sitzt ein großer Mann. Seine Füße hat er auf das knapp zwei Quadratmeter große Podest – die Bühne an diesem Abend – gestellt. Hier bekommt Publikumsnähe eine ganz neue Bedeutung. Von hinten schallt es laut: „Habt ihr Bock auf Comedy?” Dann kündigt die Moderatorin des Abends den ersten Comedian an.
Das Haus, in dem die Uhu Bar heute das Untergeschoss mit Leben füllt, hat viel Geschichte. „Ursprünglich war es das erste offizielle Bordell in Stuttgart”, erzählt Markus, der neue Pächter des Hauses. Seit Oktober 2023 führt er die Bar als Quereinsteiger. Trotz fehlender Vorerfahrung erkannte er das Potenzial: „Ich habe damals mit meiner Freundin gewitzelt und gesagt: Komm, lass uns den alten Puff übernehmen und wir machen daraus Kunst- und Kulturprogramm”, erinnert er sich. Nur ein paar Monate später wurde aus dieser anfänglichen Alberei Wirklichkeit. Neben Drag Bingo, Burlesque und dem normalen Barbetrieb veranstalten die „Comedy Cuties” dort seit Anfang 2025 jeden Mittwoch ihr Open-Mic für Stand-up-Comedy.
Schon gewusst?
Bei Stand-up-Comedy steht ein*e Komiker*in alleine auf der Bühne und erzählt Geschichten – mit dem obersten Ziel, dass sie lustig sind. Der britische Comedy-Experte Oliver Double definierte in seinem Buch „Getting the Joke" zudem drei Merkmale, die im Stand-up entscheidend sind:
- Persönlichkeit: Die Person tritt als sie selbst auf – oder als übertriebene Version von sich. Aber nicht, wie z. B. im Theater, als fiktive Figur.
- Direkte Kommunikation: Das Publikum wird direkt angesprochen und miteinbezogen. Eine Aufführung ist kein Monolog.
- Gegenwart: Die Performance wirkt spontan, auch wenn das Material einstudiert ist. Zudem muss ein*e Künstler*in jederzeit auf die Stimmung und Situation im Raum eingehen können.
Ein Kollektiv mit Leidenschaft – die „Comedy Cuties”
„Seit ich Stand-up-Comedy mache, verstehe ich zum ersten Mal, was es heißt, eine Leidenschaft zu haben”, schwärmt Stephie Zöllner. Vor etwa eineinhalb Jahren schloss sich die 24-jährige mit zwei weiteren Stuttgarter Nachwuchs-Comedians zusammen – Joni Zwick und Raytschel*. Der Wunsch: mal eine gemeinsame Comedy-Show veranstalten. Comedy selbst machen alle drei schon rund zwei Jahre.
Nach ihren ersten gemeinsamen Shows als „Comedy Cuties” in einem Hinterhof und auf einem Boot in Bad Cannstatt – manchmal auch nur vor zwei Gästen – entstand der Kontakt zur Uhu Bar. „Ab da haben wir das auch alle ein bisschen ernster genommen, weil wir einfach Bock hatten auf diese Location und seitdem läuft die Show“, erklärt Stephie.
Stand-up, Stuttgart – Zeit zu lachen!
Es ist noch gar nicht so lange her, seit es die Stand-up-Szene nach Stuttgart geschafft hat – den Anfang machte 2017 „Kessel Comedy”. Vorgemacht haben es Städte wie Hamburg, München und Berlin. Raytschel erzählt, sie sei besonders auf Berlin ziemlich neidisch gewesen, bevor sie vor etwa drei Jahren entdeckt habe, dass sich Stand-up auch in Stuttgart etabliert. In der wachsenden lokalen Szene zählen sich die „Comedy Cuties” mittlerweile selbst zur dritten Generation.
Stand-up-Comedy als Form des Entertainments entstand ursprünglich von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA – als Ausläufer verschiedener Unterhaltungsformen. Mit der Eröffnung des „Quatsch Comedy Clubs” in Hamburg brachte Entertainer Thomas Hermanns die Kunstform 1992 nach Deutschland.
In Stuttgart selbst sei es aktuell noch schwer, mit Stand-up Geld zu verdienen. Dafür müsse man, so Joni, den Kessel noch gegen Bühnen in anderen Städten eintauschen. Aber er betont: „Wir merken, dass wir auf jeden Fall mit Comedians aus anderen Städten mithalten können – und wir werden auch gesehen, in der großen Comedy-Szene.”
Von kleinen Open-Mics und dem Wert des Scheiterns
Dass Witze witzig sind, passiert nicht einfach so. Gerade in Stuttgart, wo die Szene noch dabei ist, sich als kulturelle Größe zu etablieren, fehle manchmal das Verständnis für die Kunstform. „Dass ein Witz so wirkt, als erzähle man einfach kurz eine Story, das ist Arbeit, das ist Kunst – und das checken ganz viele nicht”, bemerkt Raytschel.
Das Handwerk Comedy lebe davon, dass man ausprobiert, wie weit man mit seinen Formulierungen und Prämissen gehen kann, betont Stephie. Um Witze zu testen, gibt es in der Stand-up-Comedy neben kostenpflichtigen Shows spendenbasierte Open-Mics. Auch in Stuttgart haben sich über die Jahre einige etabliert. Joni erklärt: „Das schwächt den Druck bei uns Comedians, weil die Erwartungen kleiner sind. Außerdem gibt man so jeder Person die Möglichkeit, eine Show zu besuchen.”
„Dass ein Witz so wirkt, als erzähle man einfach kurz eine Story, das ist Arbeit, das ist Kunst – und das checken ganz viele nicht.”
Anders als die großen Shows in Hallen, Theatern oder gar Arenen, finden Open-Mics meist an kleinen Orten wie Bars, Cafés – oder im Fall der „Comedy Cuties” – Hinterhöfen und Booten statt. Für Joni schaffen solche Räume eine einzigartige Atmosphäre: „Das ist irgendwie besonders, wenn man weiß, hier sind nur 30 oder 40 Leute und wir arbeiten alle zusammen für die Show.” Das Schlimmste, was dabei passieren kann: dass niemand lacht. „Aber irgendwie ist es auch lustig, auf so kleinen Bühnen zu scheitern und alle fühlen mit. So nach dem Motto: Okay, er hat's probiert, naja, schade”, schmunzelt Joni. Raytschel ergänzt: „Wir wollen ja auch trainieren. Wenn es auf der kleinen Bühne klappt, dann auch auf der großen.”
Humor braucht Raum
In erster Linie gehe es bei Comedy darum, Menschen zum Lachen zu bringen, betont Stephie. Eine 2022 veröffentlichte Untersuchung der University of Oxford kommt zu dem Ergebnis, dass gemeinsames Lachen das Zugehörigkeitsgefühl und die Bindung innerhalb sozialer Gruppen steigert. Dass Stand-up-Comedy ein gewisses Gemeinschaftsgefühl hervorrufen könne, bestätigt auch Joni.
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Doch auch für die Kulturlandschaft in Städten ist die Bedeutung von Stand-up-Comedy nicht zu unterschätzen. Je nach Comedian können Witze mal mehr und mal weniger Message enthalten. Raytschel erklärt: „Comedy wächst automatisch mit der Gesellschaft – und mit dir und deinen Ansichten, deinem Alter und deinen Lebensumständen.”
Damit lokale Comedians ihre Witze auch zukünftig in Stuttgart aufführen können, brauche es Raum, betont Stephie. Denn aktuell kämpfe man im Kessel noch vermehrt mit Skepsis gegenüber der Kunstform. „Wir müssen noch viel Grundsatzarbeit machen – in anderen Städten herrscht da schon mehr Common Knowledge”, erklärt Joni. Stephie wünscht sich, dass erkannt wird, „dass Comedy auch ein kulturelles Angebot ist – neben Satire und Kabarett und normalem Theater”. Als „Comedy Cuties” haben sie in Uhu Bar-Chef Markus einen Unterstützer gefunden. Er appelliert: „Gebt jungen Leuten eine Chance – das ist der Nachwuchs.”
In der Uhu Bar wurde der letzte Witz des Abends bereits mit Applaus belohnt. Während die Gäste ihre Getränke leeren, verstauen Stephie und Raytschel die kleine Bühne im Keller – bevor es nächsten Mittwoch wieder heißt: „Habt ihr Bock auf Comedy?”
*Es handelt sich um einen Künstlernamen. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.