Selbstversuch

Blutspenden während der Corona-Pandemie

Blutspenden zu gehen ist lebensrettend - auch in Krisenzeiten.
24. Juni 2020

Vom Unfallopfer bis zum Krebspatienten: Viele Menschen sind auf Blutspenden angewiesen. Aber immer weniger Menschen in Deutschland spenden regelmäßig Blut und die Anzahl der Spender*innen ist weiter rückläufig. Woran liegt das und wie beeinflusst die Corona-Pandemie das Blutspenden? Ein Selbstversuch.

Es ist Dienstagmittag kurz vor elf und der Geruch von Desinfektionsmittel steigt mir in die Nase. Ich lege meinen Mundschutz an, als ich die Tür öffne. Ich bin schon sieben Mal über diese Schwelle gegangen, aber ich merke sofort, dass heute vieles anders ist als sonst. Noch bevor ich die Räumlichkeiten betreten darf, wird meine Temperatur gemessen. 36,6 Grad Celsius. Passt. „Ab 37,5 wird es kritisch“, bemerkt die Schwester im Foyer. Ihr Lächeln kann ich unter der blauen Maske nur erahnen. „Heute ist ein guter Tag, ein paar Leben zu retten! - Spende Blut!”, steht in großer Schrift am Infotisch. Na dann los!

Das Problem

Nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes sind 80 Prozent der Bevölkerung im Verlauf ihres Lebens auf eine Blutkonserve angewiesen. Pro Tag werden etwa 14.000 Blutspenden benötigt. Aber nur rund drei Prozent der deutschen Bevölkerung spenden regelmäßig Blut. Das kann zum lebensbedrohlichen Problem werden, da es für Blut noch keinen künstlich hergestellten Ersatz gibt. Corona verschärft den Mangel an Blutspenden in manchen Einrichtungen noch zusätzlich.

Auch ich habe meine Bedenken: Ist es sinnvoll, trotz der aktuellen Pandemie Blutspenden zu gehen? Besteht ein zusätzliches Risiko für mich als Spender oder den Empfänger? „Nein“, sagt Dr. med. Beate Luz, ärztliche Direktorin der Blutspendezentrale Stuttgart am Klinikum Stuttgart. Die momentane Blut-Knappheit an manchen Standorten liegt nicht an einer mangelnden Spendenbereitschaft aus Angst, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Vielmehr fallen viele Gelegenheiten oder wechselnde Örtlichkeiten wie Unis oder Turnhallen weg.

Der Fragebogen

Der Wasserspender im Warteraum gluckert vor sich hin und erinnert daran, einen Schluck aus meiner Glasflasche zu nehmen. Um den Flüssigkeitshaushalt des Körpers auf die Blutspende vorzubereiten, sollte man vorher viel trinken. Bis zu den empfohlenen drei Litern fehlt noch ein bisschen, aber meine Blase drückt jetzt schon. Vor jeder Blutspende wird die Spendentauglichkeit festgestellt. Hierfür füllt man einen Fragebogen über den aktuellen Gesundheitszustand aus. Es geht harmlos los: „Fühlen sie sich krank oder sind Sie krankgeschrieben?“ - Nein. Dann wird es persönlicher: „Hatten Sie in den letzten vier Monaten Sexualverkehr, für den Sie Geld oder andere Leistungen bezahlt haben?“ Auf den ersten Blick bin ich verunsichert, ja sogar empört. Doch diese pikanten Fragen haben ihren Grund: Über den Sexualverkehr können Infektionen, wie zum Beispiel HIV oder Hepatitis, übertragen werden. Direkt nach der Ansteckung mit diesen Krankheiten kann ein Spender, ohne es zu wissen, infiziert sein und durch sein Blut den Empfänger der Spende anstecken. Labortests können eine Infektion zum Teil erst bis zu vier Monate nach der Ansteckung nachweisen. Daher sind ehrliche Antworten auf diese Fragen essenziell wichtig, um den Empfänger vor einer Übertragung zu schützen.

Der Gesundheitscheck

Der Bogen ist fertig ausgefüllt und ich darf zum Gesundheitscheck. Ich muss meinen Arm bis zum Anschlag durch die Öffnung der ungewohnten Plexiglasscheibe strecken, damit die Schwester an meinen Arm kommt. Jetzt werden der Blutdruck, der Puls und der Hämoglobinwert, also der rote Blutfarbstoff des Blutes, gemessen. Verfügt ein Spender über zu wenig roten Blutfarbstoff, besitzt er keine ausreichenden Eisenreserven, um die Bildung neuer roter Blutkörperchen zu erhöhen. Ein kleiner Piks in den Mittelfinger - für mich das Schlimmste des heutigen Tages. Mein Puls beschleunigt sich. Wenn mein Hämoglobinwert nicht hoch genug ist, wird das heute nichts mit dem Spenden. Das Testblättchen mit meiner Blutprobe kommt in die Messmaschine. Die Spannung steigt. 13,1 g/dl! Ein super Wert für meine flexitarischen Verhältnisse, trotzdem gibt mir die Schwester Eisentabletten mit.

Eine letzte Hürde trennt mich von meinem Ziel. Ich gehe mit dem Fragebogen zur Ärztin und wir besprechen ihn zügig. Viel Zeit bleibt nicht, denn die nächsten Spender*innen warten bereits. Ich müsse mich sofort melden, wenn mir innerhalb der nächsten Wochen Corona-ähnliche Symptome auffallen sollten. Getestet auf SARS-CoV-2-Viren wird das Blut laut Dr. Luz nicht. Der Grund: Nach derzeitigen Erkenntnissen ist der Erreger nicht über das Blut übertragbar.

Die Abnahme

Endlich darf in den Spendenraum. Ich lege mich auf die blaue Liege und erzähle besorgt, dass meine Venen am linken Arm womöglich zu dünn für die Nadel sind. Die Schwester lacht und zieht das Stauband fester. „Das wollen wir doch mal sehen, Frau Rösch. Ihre Venen haben bestimmt ordentlich Druck.“ Und sie behält Recht. Einmal kurz Luft holen, ein schneller, geübter Stich und die Nadel sitzt wie angegossen. Es tut nicht weh, es ist nicht einmal unangenehm. Die Schwester plaudert ausgelassen mit mir, während sie die drei Blutproben für das Labor nimmt.

Die Blutproben kommen ins Labor, wo die Blutgruppe und der Rhesusfaktor bestimmt wird. Dort wird das Blut unter anderem auf die Krankheiten Hepatitis-A, -B und -C, HIV sowie Syphilis untersucht.

Während sich das Blut seinen Weg in den Beutel bahnt, schaue ich mich um. Fast jede Liege ist belegt. Trotz der Masken kann ich erkennen, dass ich hier mit Abstand zu den Jüngsten gehöre. Der Rückgang an Blutspendern kommt unter anderem daher, dass viele ältere Spender*innen die maximale Altersgrenze überschreiten und weniger junge Menschen nachkommen. Woran liegt es, dass weniger junge Leute Blutspenden gehen?

Das Gerät fängt an zu piepsen, 500 Milliliter sind erreicht - und das unter sechs Minuten! Meine persönliche Bestleistung. Die Nadel wird gezogen, ich muss noch zwei Minuten liegen bleiben. Das Gefühlshoch lässt nicht lange auf sich warten. Es ist geschafft! Andere brauchen Bungee-Jumping, mir bringt auch eine Runde Blutspenden den ultimativen Kick.

Die Belohnung

Im Essensraum darf ich die Maske kurz absetzen. Endlich wieder frei atmen. Auch hier merkt man die Auswirkungen von Corona, wenn auch nur gering. Kostenlose Eistee-Trinkpäckchen stapeln sich in der Ecke, wo sonst Cola-Flaschen und Gläser stehen. Ein Schild weist freundlich darauf hin, dass man sein Essen auch gerne mitnehmen darf, da die Tische nur einfach bestuhlt sind, um den Mindestabstand zu gewährleisten. Also sitze ich heute allein und esse schweigend meine kostenlosen Saiten mit Brötchen. Schade! Sonst war es immer eine super Gelegenheit, um neue Leute kennenzulernen. Immerhin ist die energische Frau an der Essensausgabe dieselbe geblieben.

Während ich noch kaue, wird mein halber Liter warmes Blut schon weggebracht. Es gibt keine Zeit mehr zu verlieren, denn das Blut hat nach der Spende noch einen weiten Weg vor sich:

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Der Weg der Blutspende | Quelle: Dorothea Rösch

Ich schaue auf den Auszahlungsbeleg meiner Aufwandsentschädigung. In sechs Wochen darf ich wieder spenden. Und diesen Termin versuche ich auch einzuhalten. Denn laut Dr. Luz wird trotz aller blutsparender Maßnahmen in den Kliniken der Bedarf an Blutkonserven nie auf null sinken. Manche Blutbestandteile sind lediglich vier Tage haltbar. Deshalb ist es wichtig, dass Menschen regelmäßig Blut spenden.

Nach einer Stunde verlasse ich die Blutspendezentrale: mit 25 Euro, einem vollen Bauch und super Stimmung. Läuft bei mir. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Leben retten war noch nie so einfach.