Sporttherapie 5 Minuten

Stark trotz Krebs

Trainerin Gabi lehnt lächelnd an einem Sportgerät.
Montags und donnerstags trainiert Gabi Franke todkranke Menschen. | Quelle: Lilly-Marie Friemel
15. Mai 2024

Sport wird schon bei vielen Krebsarten, wie beispielsweise Brustkrebs, in die Therapie integriert. Doch ist das auch bei Patient*innen mit bösartigen Hirntumoren hilfreich? Damit beschäftigt sich die Sportstudie „Mobil mit Hirntumor“.

Es ist Donnerstagmorgen. Gabi Franke steht hinter der Theke im Fitnessstudio. Während sie auf ihre erste Krebspatientin wartet, begrüßt sie alle mit einem Lächeln. Ein freundliches Gesicht ist wichtig. Franke therapiert Glioblastom-Patient*innen.

Glioblastom-Patient*innen sind Menschen, die an einem bösartigen Hirntumor erkrankt sind. Glioblastome sind nicht heilbar. 

Seit Dezember 2022 ist Franke Trainerin der Sportstudie „Mobil mit Hirntumor“. Neben der Arbeit studiert sie Gesundheitssport im Master. Die 25-Jährige erklärt, es sei nicht leicht zu verarbeiten, dass es sich um schwerkranke Menschen mit einer schlechten Diagnose handele. „Von den Patienten, die ich bis jetzt betreut habe, ist keiner mehr da“, erzählt sie. Dennoch sei es ein gutes Gefühl zu wissen, dass man den Patient*innen zu einer besseren Lebensqualität verhelfe.

„Von den Patienten, die ich bis jetzt betreut habe, ist keiner mehr da.“

Gabi Franke

So läuft die Studie ab

Die Sportstudie „Mobil mit Hirntumor“ (MMH) beginnt 10 Wochen nach der OP, bei der man versucht, den Tumor zu entfernen. Zu dem Zeitpunkt startet auch die Chemotherapie für die Patient*innen. Die Chemo schwächt den Körper der Betroffenen. Die Sporttherapie soll die Lebensqualität der Patient*innen währenddessen erhöhen. Nach einem Eingangstest auf dem Ergometer trainieren die Erkrankten in einer eins zu eins Betreuung zweimal wöchentlich für eine Stunde. Alle Teilnehmenden trainieren nach einem individuell angepassten Trainingsplan. Es stehen abwechselnd Ausdauer, Kraft und Koordination an.

Zuerst legt Franke ihrer Patientin den Pulsgurt an und schaltet ihre Trainingsuhr ein. Beides ist mit einem iPad verbunden. Mit den Daten kann sie während des Trainings beobachten, wie es der Patientin geht. Manchmal muss sie die Trainingsintensität anpassen, um die Krebskranken nicht zu überfordern. Nach dem Aufwärmen auf dem Ergometer beginnt das Krafttraining an Maschinen. An der Beinpresse aktiviert die Patientin ihre Beinmuskulatur. „Stark gemacht“, lobt Franke währenddessen immer wieder und motiviert sie, ihre Leistung zu steigern. Wenn der Puls während des Trainings zu hoch ist, lässt Franke sie eine Pause einlegen und führt beruhigende Atemübungen mit ihr durch. Nach jeder Übung reicht sie der Krebspatientin ihre Wasserflasche, damit sie das Trinken nicht vergisst. Sie achtet darauf, dass sich die Erkrankten wohlfühlen.

Alle acht Wochen werden mittels eines Tests auf dem Ergometer die Fortschritte während der Therapie überprüft. Die erfassten Daten helfen dabei. Nach insgesamt 24 Wochen haben die Teilnehmenden die Studie durchlaufen. Auch nach der Studie dürfen die Patient*innen weiter im Vereins-Fitnessstudio trainieren.

Eine Frau sitz auf dem Ergometer.
Die Wattzahl der Ergometer wird an die Leistungsfähigkeit der Erkrankten angepasst.
Quelle: Lilly-Marie Friemel

Hintergrund der Sportstudie

Es gibt bereits Ergebnisse aus Studien, die zeigen, dass Sport und regelmäßige Bewegung das Risiko, an Krebs zu erkranken, senken können.

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Zu wenig Bewegung erhöht das Krebsrisiko. | Quelle: Deutsches Ärzteblatt

Die Glioblastom-Patient*innen hätten aufgrund des Tumors mit zwei Hauptproblemen zu kämpfen, erklärt Ralf Ketter. Er ist Facharzt für Neurochirurgie und Leiter der Neuroonkologie am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS). Zum einen seien sie körperlich belastet durch das Fatiguesyndrom, also chronische Müdigkeit. Zum anderen sei die psychische Belastung sehr groß, wodurch die Patient*innen sich häufig zurückziehen und vereinsamen würden. Zu vielen Krebsarten gibt es bereits Studien in Bezug auf Sport. Sie haben gezeigt, dass sich die Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Vor allem das Fatiguesyndrom könne durchbrochen werden, erzählt Ketter. Allerdings gibt es keine Sportstudien in Verbindung mit Hirntumoren. Ketter betont: „Erste Studien haben gezeigt, dass man Patienten körperlich so trainieren kann, dass sie in einen Zustand kommen, in dem sie eine Chemotherapie bekommen können“. Für die MMH-Studie kooperieren verschiedene Unikliniken in Deutschland miteinander. Auch dabei das UKS und das Universitätsklinikum Münster (UKM).

Erste Ergebnisse

Die Sportwissenschaftler*innen des UKM haben den Eingangstest und den Ergometer-Trainingsplan erarbeitet. Trainerin Gabi wendet den Plan an ihren Krebspatient*innen an. In der Studie wurde zuerst getestet, ob dieses Konzept für Menschen mit Hirntumor überhaupt machbar ist. Glioblastom-Patient*innen sind oft von Gleichgewichtsstörungen, Schlafstörungen und anderen körperlichen Problemen betroffen. Die ersten Ergebnisse zeigen, dass das Trainingsprotokoll bei den Patient*innen möglich ist. Jetzt wird ausgewertet, warum es funktioniert und wie es den Betroffenen unter dem Training ergeht. Ein Erklärungsansatz ist, dass der Sport das Herz-Kreislauf-System der Patient*innen stabilisiert. Dadurch kommt es trotz der giftigen Chemo auf lange Sicht zu weniger Komplikationen. Um genauere Aussagen treffen zu können, inwiefern Sport hilft, muss bei den Trainingsplänen näher ins Detail gegangen werden. Daran arbeitet die Studie momentan.

Gruppenfoto von Prof. Dr. Ketter, Prof. Dr. Urbschat und Prof. Dr. Oertel.
Prof. Dr. Ketter (links), Prof. Dr. Urbschat (Mitte) und Prof. Dr. Oertel (rechts) bilden das Homburger Team hinter der mehrfach ausgezeichneten Studie.
Quelle: Universitätsklinikum des Saarlandes

Krebs betrifft auch die Mitmenschen

Ein wichtiger Bestandteil der Studie sind die Angehörigen der Patient*innen. Sie sind durch die Krankheit ihrer Mitmenschen ebenfalls schwer belastet. Erkrankte haben nach der Hirn-OP drei Monate Fahrverbot. Die Angehörigen müssen sie somit zum Training fahren. Frankes Patientin wird von ihrer Mutter zum Training gebracht. Zusätzlich richten die Angehörigen beispielsweise die Medikamente, helfen ihnen durch den Tag, erinnern sie an wichtige Sachen und achten darauf, dass sie nicht stürzen, falls sie Koordinationsstörungen haben. Während die Betroffenen im Training sind, dürfen die Angehörigen ebenfalls das Studio nutzen. Andere sitzen gerne am Tresen und reden mit den Trainer*innen. Dabei erzählen sie von ihren Gefühlen oder reden über die Erkrankten. Solche Berichte sind wichtig, da die Trainer*innen erfahren, wie es den Betroffenen wirklich geht. Dadurch fallen auch Probleme auf, die in den Trainingseinheiten oder in den Sprechstunden in der Klinik nicht zur Sprache kommen.

Wieder eine Trainingseinheit geschafft

Frankes Patientin ist mit der heutigen Sitzung fertig. Sie trinkt nicht sehr gerne. Deshalb bereitet die Trainerin ihr ein Glas Wasser mit Geschmackssirup zu. Währenddessen unterhält sie sich mit der Mutter der Betroffenen. Nachdem das Glas leer ist, hilft Franke ihrer Patientin, ihre Jacke anzuziehen und verabschiedet sich bis zum nächsten Mal. Ihr Arbeitstag ist damit aber noch nicht vorbei. Die nächsten Stunden ist sie im Studio als Flächentrainerin unterwegs und erwartet nachmittags dann ihren nächsten Patienten.