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Quarter-Life-Crisis: Ersticken im System

Illustration eines Spiegelbilds einer Person
Weicht der eigene Weg von der Norm ab, stellen wir oft unsere eigene Identität infrage. Doch die Lücke im Lebenslauf ist kein Fehler des Charakters. | Quelle: Can Bilici
10. Dez. 2025

Endlich den Bachelor in der Tasche – dir liegt die weite Welt zu Füßen und trotzdem herrscht große Panik anstelle des Hochgefühls der großen Freiheit. Warum die Quarter-Life-Crisis kein persönliches Versagen ist, sondern viel mehr eine logische Antwort auf eine überforderte Welt darstellt. Eine Forderung für mehr Mut zur Lücke im Lebenslauf.

Der Moment, in dem du das Abschlusszertifikat endlich ausgehändigt bekommst, nach Jahren voller Anstrengungen, sollte ein Moment purer Freude sein. Doch immer mehr junge Menschen berichten von zunehmender psychischer Belastung.

Früher war der Lebensweg statisch: Schule, Studium/Ausbildung, Karriere, Familie. Heute gilt: Vielfalt statt Linearität. Wir als junge Erwachsene entscheiden uns heute nicht mehr für ein „für immer“. Vielleicht wechselst du den Ausbildungsplatz oder ziehst sogar in ein anderes Land. All diese Möglichkeiten sind nicht nur Folgen von Freiheit, sondern bringen auch große Verantwortung mit sich.

Veränderte Lebenswege

In deinem Hinterkopf klingelt da dann diese alte Stimme und ruft: „So langsam musst du doch wissen, was du willst, oder?“. Diese Stimme stammt aus der Zeit, in der die Lebenswege noch klar vorgezeichnet waren. Wer mit 24 noch nicht im Leben „angekommen“ ist, scheitert nicht. Veränderung darf nicht als Rückschritt betrachtet werden. Es klingt absurd, dass „Umwege“ im Lebenslauf überhaupt als solche bezeichnet werden. Ein Umorientieren wird oft als Stillstand angesehen. Die Wahrheit ist: niemand verliert etwas, nur weil man sich umentscheidet. 

Laut Hochschulrektorenkonferenz (HRK) konnte man im Wintersemester 2024/25 zwischen 22.143 Studiengängen wählen. Vor 15 Jahren waren es nur knapp halb so viele. Ein Umorientieren erscheint da nur logisch. Wer heute noch so tut, als gäbe es einen statischen Lebenslauf, ignoriert die Realität. Eine Identitätskrise in den Zwanzigern entsteht nicht, weil wir versagen, sondern weil wir unter bestimmten Bedingungen leben, die keine Generation vor uns erlebt hat: maximale Unsicherheit verknüpft mit maximaler Freiheit.

Zwischen Wahlfreiheit und Wahlstress

Unzählige Möglichkeiten zu haben klingt erst einmal nach einem Luxusproblem. Doch genau hier liegt das Dilemma. Wenn dir jede Tür offensteht und du alles wählen kannst, spürst du den Druck, direkt durch die richtige Tür zu gehen. Schaffst du es aber nicht, stehst du still. Mit Mitte zwanzig weißt du bestenfalls genau, wer du bist, welcher Job dich erfüllt und wen du später heiratest. Wer bringt uns aber bei, in einer Welt voller Möglichkeiten zu entscheiden? Aus dem Gefühl der Freiheit entsteht ein lähmendes Gefühl. Dann gibt es noch einen Ort, an dem dieser Druck am stärksten zu spüren ist: Social Media.

Das „perfekte“ Bild auf Social Media

In den sozialen Medien zeigen sich täglich Menschen von ihrer besten Seite. Sie scheinen alles im Griff zu haben: Traumjob, Traumbeziehung und eine geplante Weltreise. Du stehst daneben und fragst dich: „Wieso ich nicht?“. Die FOMO macht sich breit.

Fear Of Missing Out“ bezeichnet die Befürchtung, spannende Erlebnisse zu verpassen, die andere gerade erleben. Vor allem ausgelöst durch Inhalte auf Social Media.

Quelle: Cambridge dictionary

Das Wichtigste lassen diese Inhalte aber aus: Keiner zeigt die vulnerablen Momente vor der nächsten Klausur oder des letzten Beziehungsstreits. Kein Wunder, dass deine Erfolge klein wirken. Durch die Sozialen Medien ist der Vergleich nicht mehr auf den Arbeitsplatz beschränkt, du konkurrierst mit der ganzen Welt – verpackt in Reels und Urlaubsvlogs. Logisch, dass kein Raum für echte Entwicklung bleibt, wenn wahrer Erfolg nur dann sichtbar wird, wenn er auch perfekt wirkt.

„Je weniger wir auf Social Media sind, desto weniger vulnerabel sind wir für die Quarter-Life-Crisis!“

Dr. Rüdiger Maas, Generationenforscher und Autor von „Generation Arbeitsunfähig“.

Die Quarter-Life-Crisis ist kein Scheitern, sondern eine Reaktion, in einer Welt aufzuwachsen, die dauerhaft Erwartungen fordert, aber mit keinem Beispiel zeigt, wie anstrengend es sein kann, diesen gerecht zu werden. Doch das härteste Urteil fällt oft gar nicht von außen: Veraltete Karriere-Ideale älterer Generationen und der Social-Media-Vergleich führen zu einer gnadenlosen Selbstkritik. Anstatt junge Menschen auf der Suche nach dem richtigen Weg als „unentschlossen“ abzustempeln, sollte ihnen Akzeptanz entgegengebracht werden. Die Quarter-Life-Crisis ist kein persönliches Versagen – sie ist ein logischer Protest. Atme durch, und denk immer daran: Dein Lebenslauf darf Lücken haben!

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