„Die Komplexität für Vorgesetzte nimmt zu.“
„Empathie kann man lernen“ - Was sich für Führungskräfte ändert
Mit der Pandemie war auf einmal alles anders. Mitarbeitende sitzen vom einen auf den anderen Tag zu Hause vor dem Laptop und kämpfen sich durch den Dschungel der Online-Konferenz-Tools. Für viele eine schwierige Umstellung. Kein Plausch mehr mit den Kolleg*innen, kein Sprint zur S-Bahn am Morgen. Stattdessen totale Überforderung im Homeoffice. Für andere wiederum eine willkommene Abwechslung: Länger Ausschlafen, eigenes Zeitmanagement, Online-Konferenzen in der Jogginghose und Mittagspause mit der Familie in der heimischen Küche.
„Das Individuum steht mehr im Mittelpunkt“
Für Empathie-Coachin Birgit Schwinn ist das ein Beweis dafür, dass die Ansprüche an Jobs individueller werden und für viele Menschen mittlerweile zum generellen Lebensentwurf passen müssen. Für Arbeitgebende kann das bedeuten, dass sie bei der Fachkräftegewinnung mehr Flexibilität bieten müssen.
Birgit Schwinn ist 62 Jahre alt und hat BWL und Kommunikation studiert. Über 35 Jahre lang hat sie in der „Fast Moving Consumer Branche“ mit Schwerpunkt auf Marketing gearbeitet. Unter anderem bei „Procter & Gamble“. Bei „Bella“ war Sie auch Teil der Geschäftsführung. Mit der Zeit hat Schwinn angefangen, sich über zwischenmenschlichen Umgang Gedanken zu machen und absolvierte eine Ausbildung zur Gestalttherapeutin und eine Weiterbildung zur Resilienztrainerin. Heute ist sie Teil der „Akademie für mentale Gesundheit“ und gibt Workshops und Impulsvorträge in unterschiedlichsten Unternehmen. Gleichzeitig hat sie mit der Resilienzmanufaktur ihr eigenes Unternehmen.
Schwinn beobachtet so einige Veränderungen im Berufsleben. Es sei heute auch akzeptierter, das Unternehmen zu wechseln, als noch vor einigen Jahren. Sie erklärt: „Die Bindung zu Unternehmen ist häufig nicht mehr so groß wie früher.“ Ein Grund für fehlende emotionale Bindung kann laut einer GALLUP-Studie die fehlende Möglichkeit zu Mitbestimmung im Unternehmen sein.
Geringschätziges Verhalten von Führungskräften, wie man es von „Ekelchef Bernd Stromberg“ aus der gleichnamigen Serie kennt, gibt es laut Schwinn heute immer seltener. Laut einer Studie der „vividia bkk“ steht für 85 Prozent der 14- bis 34-Jährigen das Privatleben an erster Stelle. Viele Befragte fühlen sich durch die Arbeit gestresst. Allerdings verwundert: Über Work-Life-Balance möchte Birgit Schwinn eher weniger sprechen. Wichtiger ist ihr, dass im Job auf das Leben Rücksicht genommen wird. Für sie ist klar, dass das Individuum heute mehr im Mittelpunkt steht als früher.
Viele junge Menschen definieren sich heute mehr durch Privates. Anderen sei es einfach wichtig, dass ihre Leistung gesehen und anerkannt würde. Lange seien Arbeitgebende auf diese Unterschiedlichkeit nicht genügend vorbereitet gewesen. Aktuell sieht Schwinn aber viele Unternehmen, die sie begleitet, wieder auf einem guten Weg.
Lernen Führungskräfte Empathie?
Trotzdem erlebt Schwinn immer noch häufig, dass sich die Führungskräfte bei ihren Workshops ausklinken. „Dann bringt alles nichts“, sagt sie. Wenn man sich mit Empathie beschäftige, gehe es um Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen. Unabhängig von Hierarchien. Leitende Personen könnten nicht erwarten, dass irgendjemand perfekt ist. Viel mehr haben junge Menschen laut einem Bericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages das Bedürfnis nach einem guten Arbeitsklima im Beruf und den Wunsch, dass ihre Leistungen anerkannt werden.
Als Sinnbild für ein schlechtes Arbeitsklima lassen sich Szenen aus der Serie „Stromberg“ verwenden. Im Großraumbüro einer Versicherungsfirma spielen sich Dialoge ab, die auf überspitzte Art und Weise an altertümliche Machtfantasien und Rollenbilder erinnern. Im Zentrum der Serie: Bernd Stromberg, der seine Mitarbeitenden eher wie Sklaven behandelt, anstatt sie als wichtige Kolleg*innen zu respektieren. Auf die Frage, welche Folgen wenig wertschätzendes Verhalten von Führungskräften im Stil einer „Stromberg-Attitüde“ für Mitarbeitende hat, sagt Schwinn: „Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Wenn alles nur von oben herab passiert, kommt man nie zum erwünschten Ziel.“
Herausforderungen für Führungskräfte
„Die Komplexität für Vorgesetzte nimmt zu“, sagt Antje Hansen. Sie ist selbst Führungskraft und beim weltweit agierenden Unternehmen „Bosch“ im Bereich Leadership Development und Enabling zuständig. Auch Hansen beobachtet eine Individualisierung der Mitarbeitenden. Sie reagiere darauf, indem sie nicht mehr standardisiert auf Mitarbeitende zugeht, sondern versucht, proaktiv auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden einzugehen. Beispielsweise umfasse die Führungsrolle heute weitaus mehr als das bloße Zuweisen von Aufgaben. Es gehe darum, den tieferen Sinn zu vermitteln und auch eine kleinere Handlung in den strategischen Kontext des Unternehmens einzuordnen.
Antje Hansen ist wichtig herauszustellen, dass ihr diese Themen nicht neu sind, und sie sich sowohl selbst als Führungskraft damit beschäftigt als auch, dass ihr Konzern den Menschen in den Mittelpunkt stellen möchte. Aber ist das überall so? Birgit Schwinn, die schon viele Unternehmen von innen gesehen hat, erzählt: Sie habe auch schon erlebt, dass Führungskräften die Teilnahme an ihren Empathie-Workshops von der obersten Geschäftsleitung untersagt wurde. Ein Indiz dafür, dass das Thema Empathie noch nicht überall so präsent ist wie bei Antje Hansen von Bosch.
Hansen ist der Meinung: „Man kann Empathie definitiv lernen“. Dazu gehöre das aktive Zuhören, aber auch das Hineinversetzen in die Perspektive der Mitarbeitenden sowie regelmäßig konstruktives Feedback zu geben. Bei „Bosch“ sei dieses Thema in alle Führungskräfteschulungen integriert.
Neue Perspektiven für Unternehmen
Dass junge Fachkräfte immer weniger das Ziel haben, ein Leben lang im gleichen Unternehmen zu bleiben und dort Karriere zu machen, muss auch Antje Hansen anerkennen. Sie sieht aber auch Chancen darin: „Wenn neue Menschen kommen, bringen diese ihr Wissen und frische Perspektiven mit.“ In ihrer Branche nimmt sie den möglichen Verlust an Erfahrungswissen gelassen: „Durch die Digitalisierung wird Erfahrungswissen tendenziell weniger relevant, da Wissen heute leichter zugänglich ist als früher. Vor 30 Jahren hätte uns eine hohe Fluktuation vor größere Probleme gestellt.“
Es bleibt die Frage: Geht durch die Veränderungen im Berufsleben der Respekt vor Führungskräften verloren? „Nein“, sagt Antje Hansen. Respekt hätten ohnehin alle Mitarbeitenden gleichermaßen verdient. Egal ob Führungskraft oder nicht. Der Wunsch nach Mitbestimmung im Arbeitsalltag sei aber beispielsweise bei der „Generation Z“ stärker ausgeprägt, betont sie. Das bestätigen auch Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung. Hierarchien würden durch die Digitalisierung und damit größerer Transparenz laut Hansen flacher werden. Birgit Schwinn erinnert sich, dass der Respekt vor leitenden Personen zu ihrer Anfangszeit im Job selbstverständlich war. Heute müssten sich auch diese ihren Respekt erst mal durch empathisches Verhalten erarbeiten.
Insgesamt rücken Empathie, Achtsamkeit und gegenseitiges Verständnis heute mehr in den Fokus von Unternehmen. Es scheint, als hätten beide Seiten verstanden, dass dies ein Schlüssel zum Erfolg sein kann.