Gastronomie

Döner in Gefahr

Die Corona-Krise bringt die Dönerläden in der Stuttgarter Innenstadt in eine schwierige Lage.
20. Mai 2021
Schon seit über einem Jahr ist die Stuttgarter Innenstadt nachts wie leergefegt. Neben Clubs und Bars leiden auch die Dönerläden unter den Einschränkungen. Müssen die Studierenden um ihren heißgeliebten Döner fürchten?

Kennst du das noch? Nach einer langen Nacht in Clubs oder Bars hast du gemeinsam mit deinen Freunden nur noch ein Ziel: den nächsten Dönerladen. Das von Alkohol oder anderen Substanzen betäubte Gehirn ist wie im Tunnel. Das Gefühl des ersten Bisses in die zauberhafte Mischung aus saftigem Gemüse und fettigem Fleisch ist unbeschreiblich. Ich vermisse es.

Versteh mich nicht falsch. Ich esse immer noch Döner und er schmeckt immer noch gut. Zum Glück haben die meisten Dönerläden tagsüber offen und man kann sich seinen Döner oder seine Falafel dort abholen. Aber von der gemeinsamen letzten Ausfahrt der Nacht, in der alle glücklich und zufrieden um einen Tisch sitzen, ihren Döner mampfen und das verrückte Treiben beobachten, ist nichts geblieben. Es schmerzt.

So geht es auch dem Student Deniz Kasisari, dessen Vater einen Dönerladen betreibt: „Es war immer so, dass ich mir noch fünf Euro in der Tasche gelassen hab, dass ich mir ‘n Döner kaufen kann.“ Wenn er nicht selbst im Stuttgarter Nachtleben unterwegs war, half er meistens seinem Vater im Kebap Haus am Berliner Platz aus. Das Kebap Haus war dafür bekannt bis sechs Uhr morgens seine Pforten für Nachteulen geöffnet zu haben. So war es für viele Studenten, die aus dem Lehmann, dem Freund & Kupferstecher, dem Mash oder dem Max-Kade-Wohnheim getorkelt kamen, die letzte Rettung. „Die, die am Wochenende spät zum Essen kamen, waren immer besoffen“, erinnert sich Deniz. „Manche haben Streit gesucht, manche waren richtig lustig drauf, es war ‘ne schöne Zeit.“

Doch diese Zeit ist lange her. Schon seit über einem Jahr steht Stuttgarts Nachtleben still. Für das Kebap Haus eine Katastrophe. Vor allem in der Zeit des ersten Lockdowns litt das Geschäft enorm: „Es war wie, als hätten wir den Laden gerade frisch eröffnet. Wir hatten keine Stammkunden, die Leute kannten den Laden nicht, obwohl es ihn schon seit über 20 Jahren gibt. Wir saßen von 10 bis 18 Uhr da und es kamen gefühlt 20 Kunden“, erzählt Deniz. Sein Vater bekam die staatliche Corona-Hilfe und meldete für seine Mitarbeiter Kurzarbeit an. Manche davon haben mittlerweile gekündigt, weil ihnen die Sicherheit und Perspektive fehlt. Seitdem arbeitet Deniz immer häufiger im Laden: „Der Laden ist für meinen Vater sein Ein und Alles, er hat ihn großgezogen, deswegen werde ich da auch alles tun, um meinem Vater zu helfen.“

Deniz Kasisari bei der Arbeit mit seinem Vater im Kebap Haus

Dönerläden in der Innenstadt am stärksten betroffen

Mit Deniz’ Hilfe hat der Dönerladen bis jetzt überlebt, doch über den Berg sind sie aufgrund der wieder geltenden Beschränkungen nicht. Für Deniz und seine Familie ist das eine belastende Situation: „Es geht immer wieder hoch und runter, aber meistens runter“, stellt er fest. „Es kommt drauf an, wie lang es noch geht, wie lang die Läden noch überleben müssen.“ Ähnliche Befürchtungen hat auch Serdar Oguz, Inhaber des Kebaphaus am Feuersee.

“Es kann sein, dass die Pleitewelle noch kommt. Wie lang sollen sie das aushalten?”

Serdar Oguz, Inhaber des Kebaphaus am Feuersee

Auch sein Laden machte laut Oguz zwischenzeitlich 80 Prozent weniger Umsatz. Er nutzte die Zeit für einen Umbau und bringt bald einen eigenen Lieferservice an den Start. Im Moment liefert der Laden noch über Lieferando, wovon 30 Prozent des Umsatzes an die Plattform gehen. Wer die Dönerläden oder andere Gastronomen in der Krise unterstützen will, sollte immer schauen, ob der Laden einen eigenen Lieferservice anbietet – oder sein Essen selbst abholen. Für den fleißigen Oguz ist das Liefergeschäft trotz der Abgabe an Lieferando ein wichtiges Standbein. Dank der steigenden Einnahmen aus den Lieferungen sind die Umsätze seines Ladens sogar schon wieder auf Vor-Corona-Niveau. Aber Oguz macht sich Sorgen, um die Läden in der Innenstadt: „Es kann sein, dass die Pleitewelle noch kommt. Wie lang sollen sie das aushalten?“

Das belegt auch eine Studie des Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und creditreform. 25. 000 kleine Unternehmen, darunter viele aus der Gastronomie, die 2020 noch gerettet werden konnten, stehen 2021 vor der Insolvenz. So könne sich die Zahl der Pleiten im Vergleich zum Vorjahr verdoppeln, schätzen Experten.

Neben den finanziellen Sorgen bringt die Krise auch psychischen Stress mit sich. Der Umgang mit den Kunden hat sich verändert: „Leute, die davor jeden Tag bei uns gegessen haben, waren dann auf einmal sauer auf uns, wenn wir ihre Hand kurz berührt haben beim Geld rausgeben,“ erzählt Deniz. Allerdings waren auch vor Corona nicht alle freundlich und gerade nachts schlugen manche über die Stränge:

Trotz solcher Geschichten blickt Deniz wehmütig zurück: „Wenn ich gewusst hätte, dass es Corona geben würde, hätte ich damals noch Videos abends gemacht“, so der Student. „Es ist gefühlt schon so lange her, dass ich mir denke, hey was war das für ‘ne coole Zeit.“

Hoffentlich kommt diese Zeit bald wieder. Denn um langfristig zu überleben, brauchen die Dönerläden uns, die Student*innen, die nachts um vier ihr letztes Kleingeld für einen Döner zusammenkratzen. Und wenn es in hoffentlich naher Zukunft wieder losgeht mit dem Nachtleben, brauchen wir sie und können nur hoffen, dass sie dann noch da sind. Denn nachts schmeckt der Döner am besten.

Um das Video anzuzeigen müssen Sie zuvor der Nutzung von Marketing Cookies zustimmen.